FDPMerkel-Phone-Affäre

Nicht alles was technisch möglich ist, ist auch politisch vernünftig

Amerikanische und EU-FlaggeDer amerikanische Botschafter muss im Auswärtigen Amt vorstellig werden
28.10.2013

Angesichts der Ausspähung von Wirtschaft, Bürgern und Politik durch den US-Nachrichtendienst NSA verschärft die Bundesregierung den Ton. Auf deutschem Boden gelte deutsches Recht - und zwar für jeden, machte Außenminister Guido Westerwelle unmissverständlich klar. Die Enthüllungen um das Ausspionieren der Kanzlerin bezeichnete der Liberale als politisch höchst schädlich“.

Das Handy der Kanzlerin Angela Merkel soll vom amerikanischen Geheimdienst abgehört worden sein. Außenminister Westerwelle reagierte sofort und bestellte den amerikanischen Botschafter John B. Emerson ein. Das Abhören unter Freunden und Partnern gefährde das Vertrauensverhältnis und drohe die Bindung zu untergraben, die beide Länder zusammenhalte. Genau diese sei aber  für die gemeinsame Gestaltung der Zukunft in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts unverzichtbar, mahnte der deutsche Außenminister. In Richtung Washington stellte er klar: „Nicht alles, was technisch möglich sein mag, ist auch politisch vernünftig.“

USA müssen Abhörvorwürfe lückenlos aufklären

Guido WesterwelleGuido Westerwelle

Westerwelle betonte, dass er gegenüber dem amerikanischen Botschafter "in aller Deutlichkeit das große Unverständnis der Bundesregierung" zu den jüngsten Abhörvorwürfen dargelegt habe. Er verwies darauf, dass es während seiner Amtszeit noch nie zur Einbestellung eines US-Diplomaten gekommen war. "Dass wir zu diesem schwerwiegenden diplomatischen Mittel greifen, das möge auch allen Beteiligten aufzeigen, wie ernst wir dieses nehmen", betonte Westerwelle.

Der Minister hob hervor, dass das Abhören von engsten Partnern für Deutschland in keiner Weise akzeptabel sei. "Das befremdet uns zutiefst. Wer einander vertraut, der hört sich nicht ab", stellte der Außenminister klar. Wer es dennoch tue, der belaste die Freundschaft. "Wir erwarten, dass jetzt endlich eine lückenlose, ehrliche Aufklärung dieser Vorgänge unternommen wird. Es müssen jetzt alle Karten auf den Tisch", verlangte er. Emerson habe zugesichert, das Befremden der Bundesregierung mit aller Dringlichkeit nach Washington zu übermitteln.

Auch der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher zeigte sich über die Vorwürfe erschrocken. "Wenn das stimmt, ist das ungeheuerlich", sagte er im Interview mit dem Bonner "General Anzeiger". Der Vorgang stelle die Frage: "Wenn man schon so mit der Bundeskanzlerin verfährt, worauf muss sich dann der deutsche Normalbürger einstellen?" Genscher räumte ein, er könne sich so eine Aktion in der Besatzungszeit vorstellen – das vereinte Deutschland sei aber ein "souveränes, in seiner Souveränität durch nichts mehr eingeschränktes Land", das zu den engsten und wichtigsten Partnern der USA gehöre. "Eine solche Partnerschaft verlangt gegenseitiges Vertrauen", unterstrich der Liberale. Es sei nun erforderlich, dass eine schonungslose Aufklärung zur Schadensbegrenzung innerhalb der Beziehung vorangetrieben werde.

Freiheitswerte nicht über Bord werfen

Sabine Leutheusser-SchnarrenbergerSabine Leutheusser-Schnarrenberger

Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger warf US-Präsident Barack Obama vor, den Wert der freien Kommunikation aus dem Blick verloren zu haben. Die USA müssten sicherstellen, dass sich ihre staatlichen Institutionen an Recht und Gesetz halten, forderte sie im Gespräch mit der "Passauer Neuen Presse". "Die NSA ist nicht Staat im Staate und darf sich nicht über gesetzliche Regelungen und internationales Recht hinwegsetzen", kritisierte die liberale Ministerin.

Die Justizministerin betonte, dass die ausstehenden Antworten des US-Justizministers nicht durch den anstehenden Regierungswechsel in Deutschland obsolet würden. Das Misstrauen der Bürger in die Politik und die heutigen Kommunikationsmittel werde durch Geheimniskrämerei und verzögerte Enthüllungen nur zusätzlich geschürt, warnte die Liberale. Sie konstatierte:  "Es ist absolut konsequent, dass das Europaparlament das Swift-Abkommen aussetzen will, Rat und Kommission sind jetzt gefordert, zügig zu entscheiden."

"No-Spy-Abkommen" einführen

Alexander Graf LambsdorffAlexander Graf Lambsdorff

Der FDP-Vorsitzende im Europaparlament, Alexander Graf Lambsdorff, kennt die Vorgehensweise in Washington aus seinen Jahren dort und zeigte sich im Interview mit dem "rbb-Inforadio" vom "Merkelphone"-Skandal wenig überrascht. "Kanzleramtschef Ronald Pofalla war tatsächlich etwas voreilig, als er im Sommer die Späh-Affäre für beendet erklärt hat. Das war ein grober Fehler, denn die Affäre geht gerade erst so richtig los", stellte Lambsdorff klar.

Die öffentliche Diskussion habe allerdings mit dem Abhören der Kanzlerin eine neue Qualität erreicht, so der Liberale. "Wir haben es hier mit einem Abhörvorgang innerhalb der NATO zu tun und zwar mit einem direkten Angriff auf das Kommunikationsgerät einer Regierungschefin", erklärte Lambsdorff. Als Antwort forderte er die Einführung eines "No Spy"-Abkommens mit den USA. Darin sollen sich die beiden Länder gegenseitig versichern, einander nicht auszuspionieren. "Jeder deutsche Regierungschef hat einen Anspruch darauf, dass seine offizielle Kommunikation geschützt ist vor solchen Angriffen", unterstrich Lambsdorff.

Hintergrund

Der Whistleblower Edward Snowden hatte im Sommer 2013 geheime Dokumente veröffentlicht, die beweisen, dass amerikanische und britische Geheimdienste flächendeckend die Telekommunikationsdaten von europäischen Bürgern, Politikern, Institutionen und Unternehmen ausgespäht haben. Die Aufklärung der Affäre dauert noch an, auch weil immer neue Details zu Methoden und Umfang der Geheimdienst ans Licht kommen.

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