05.01.2016FDPFDP

LINDNER/SATTELBERGER-Doppelinterview: Es wird nur hinterherregiert

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER und der ehemalige DAX-Vorstand THOMAS SATTELBERGER gaben dem „Handelsblatt“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten THOMAS SIGMUND und PETER BRORS:

Frage: Herr Lindner, warum sollen die Anhänger des Liberalismus die FDP wählen?

LINDNER: Weil wir auf den einzelnen Menschen, sein Verantwortungsgefühl und seine Vernunft vertrauen. Deshalb heißen unsere Prioritäten Marktwirtschaft, Bildung und Bürgerrechte. Dieses Angebot gibt es sonst nirgends, weil sich Schwarz-Rot-Grün nur im Grad der Staatsgläubigkeit unterscheiden. Und die bräunliche AfD denkt sogar in völkischnationalistischen Kategorien.

Frage: Sie hätten jetzt auch sagen können: Wir haben mit der Geschichte der Westerwelle-FDP mit all ihren leeren Versprechungen endgültig abgeschlossen. Es gibt eine neue FDP. Die redet nicht nur. Sie liefert auch, was sie verspricht.

LINDNER: Bei der Selbstkasteiung mache ich nach über zwei Jahren Großer Koalition nicht mehr mit: Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist besser mit der Zukunft, der Freiheit und dem Geld der Bürger umgegangen als die jetzige. Wir haben Fehler gemacht, einen hohen Preis gezahlt und uns politisch und personell erneuert. 2017 werden wir als eine andere liberale Partei ins Parlament zurückkehren, als wir es 2013 verlassen haben.

Frage: Herr Sattelberger, als Mann aus der Wirtschaft: Nehmen Sie Herrn Lindner den Neustart ab, oder überwiegt noch die FDP-Verdrossenheit aus der schwarz-gelben Koalition?

SATTELBERGER: Ich kenne und schätze die FDP noch aus den Zeiten liberaler Vordenker wie Ralf Dahrendorf und Karl Hermann Flach. Das waren für mich Hoch-Zeiten des Liberalismus. Doch über so viele Jahrzehnte oben gibt es eben auch Abstürze und Tiefen. Entscheidend ist nur, wieder rasch aus dem Tal der Tränen rauszukommen. Krisen sind immer auch Chance, sich radikal zu erneuern – das weiß jeder Unternehmer. Mir fehlt außerdem eine politische Farbe im Parlament. Schauen Sie sich CDU, SPD und Grüne an. Die wirken nun wirklich nicht vital, sondern leben – teils sklerotisch – im Gestern. Die CDU ist sozialdemokratisiert, die SPD verharrt in alten Dogmen, die Grünen sind über weite Teile antiwirtschaftlich.

Frage: Herr Sattelberger, Sie waren Ihr Leben lang Top-Personalmanager. Die FDP hat Staatsmänner wie Theodor Heuss, Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff hervorgebracht. Sehen Sie das Potenzial auch heute noch ?

SATTELBERGER: Von außen hatte ich nach der Wahlschlappe 2013 den Eindruck, die Partei hat es so schwer erwischt, da fehlen die Persönlichkeiten für den Neuaufbau. Doch nach etlichen Treffen mit Vertretern der FDP war ich schon überrascht vom Ausmaß der intellektuellen Güte der Gespräche und Debatten. Dass noch mehr Unterstützer an Bord kommen sollten, ist eine ganz andere Frage. Auf der Bundesebene ist sicher Verstärkung notwendig, nicht nur aus der Wirtschaft. Ich will jedenfalls künftig mithelfen.

Frage: Wie genau wollen Sie mithelfen? Als Spitzenkandidat in Bayern?

SATTELBERGER: Ich spreche über Inhalte und Projekte, nicht Ämter oder Kandidaturen. Wie gestalten wir eine menschliche und zugleich wettbewerbsfähige Arbeitswelt in der digitalen Ära? Wie sieht Bildung, insbesondere berufliche Bildung der Zukunft aus? Wie fördern wir Innovation für etablierte wie Gründerunternehmen? Wie inspirieren wir Freiheitsideen statt Entmündigung des arbeitenden Menschen? Dafür brenne ich!

LINDNER: Wir haben etwa 54 000 Mitglieder, die jeden Tag ihre Frau oder ihren Mann im Beruf stehen. Wir sind also nicht aus Schwäche offen für neue Persönlichkeiten. Aber beispielsweise Thomas Sattelberger, Jürgen Hambrecht (BASF), Eckhard Cordes (Bilfinger) oder Jürgen Behrend (Hella) geben uns Impulse, die anderen Parteien fehlen. Uns verbindet der Eindruck, dass in Deutschland nur den Krisen hinterherregiert wird. Die Euro und die Flüchtlingskrise wurden groß, weil die ersten Anzeichen ignoriert wurden. Das darf sich bei unserer Wirtschaftskraft nicht wiederholen, weil wir sonst bald von einer Deutschlandkrise sprechen müssen. Die Wettbewerbsfähigkeit sinkt bereits durch Rente mit 63, Energiepreise und zu geringe Investitionen. Nötig wäre, an einem Update für den Standort zu arbeiten.

Frage: Auf welche Unterstützung bauen Sie ansonsten?

LINDNER: Unsere Partei vollzieht einen Wandel. Im letzten Jahr haben sich fast 2 500 Bürgerinnen und Bürger uns angeschlossen – obwohl wir gerade nicht im Bundestag sind. Das sind echte Überzeugungstäter. Mit über 1,8 Millionen Euro haben wir außerdem 2015 ein exzellentes Spendenergebnis erzielt - den bisherigen Höchstwert in einem Jahr ohne Bundestagswahl aus 2014 nochmals überboten. Ich bin darauf stolz, weil es wachsenden Rückhalt zeigt. Wir brauchen keinen Goldhandel wie die AfD, mit dem die Käufer und der Staat regelrecht betrogen werden. Wir haben stattdessen viele Freunde marktwirtschaftlicher Politik, die sich zu uns öffentlich bekennen und uns mit Spenden unterschiedlichster Höhe helfen, professionell Kampagnen zu führen.

Frage: Herr Sattelberger, welchen Tipp würden Sie denn dem FDP-Spitzenpersonal geben, um die Bürger wieder für sich zu gewinnen?

SATTELBERGER: Die FDP sollte sich nicht nur auf Freiberufler, Selbstständige, Mittelstand konzentrieren. Die Millionen in der Wissensgesellschaft, die als Experten und Expertinnen, als Akademiker, Meister und Techniker, hochqualifizierte Facharbeiter in Unternehmen und Verwaltung tätig sind, brauchen eine starke Stimme. Hier stoßen Begriffe wie Freiheit, Souveränität, Hochleistung, aber auch Balance in der Arbeit auf große Resonanz.

Frage: Herr Lindner, machen Sie genug für die Menschen in der Wissensgesellschaft?

LINDNER: Ich stimme Herrn Sattelberger zu. Wir machen Politik nicht für einzelne Berufsgruppen, sondern für Menschen mit Unternehmergeist. Wer anpacken will, der ist bei uns richtig. Das beziehe ich ausdrücklich auch auf Arbeitnehmer. Wir haben die am besten informierten und qualifizierten Beschäftigten der Geschichte, aber dennoch behandelt die Politik sie wie Mündel, die man vor sich selbst schützen muss.

Frage: Was meinen Sie damit konkret?

LINDNER: Beispiel Andrea Nahles, die bei der Digitalisierung der Arbeitswelt nur Gefahren der Ausbeutung und Selbstausbeutung sieht. Ich halte es hingegen für einen Gewinn an Freiheit, wenn Technologien es erlauben, selbst zu entscheiden, wann und wo ich arbeite. Ich traue Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu, verantwortungsbewusst damit umzugehen. Wenn man zum Beispiel wegen der Betreuung kleiner Kinder von zu Hause arbeiten kann, ist das eine Chance. Die an der alten Arbeitswelt mit ihrem Stechuhr-Denken ausgerichteten Gesetze sollte man flexibilisieren.

Frage: Herr Sattelberger, Sie haben als Personalvorstand ein E-Mail-Verbot nach Dienstschluss eingeführt.

SATTELBERGER: Nein, das machte VW. Wir haben Führungskräfte über Selbstverpflichtungen zum Respekt vor der Freizeit der Mitarbeiter aufgefordert.

Frage: Passt das zur Einschätzung von Herrn Lindner?

SATTELBERGER: Ja, es gibt Konzerne, die die Server um 17 Uhr abschalten. Das finde ich – gelinde gesagt – unmöglich. Es kann doch nicht sein, dass wir in einer globalen Wirtschaft das Arbeiten einstellen. Die Kundenprobleme sind ja noch immer da und warten auf eine Lösung. Flexibilität muss für alle gelten.

LINDNER: Kern des Problems ist doch: Deutschland diskutiert jede Woche eine neue Idee, wo Freiheit und Flexibilität eingeschränkt werden sollten. Aktuelles Beispiel Zeitarbeit und Werkverträge. Oder der Übergang ins Ruhestandsalter. Die Menschen werden hier überhaupt nicht ernst genommen. Die Rente mit 63 ist eine Stilllegungsprämie für Fachkräfte, obwohl wir eigentlich prämieren sollten, wenn Qualifizierte länger bleiben. Die Menschen haben Vertrauen verdient, deshalb sollte man über mehr Flexibilität statt weniger sprechen.

SATTELBERGER: Wir müssen auch erwägen, nicht mehr von Tagesarbeitszeiten, sondern von Monatsarbeitszeiten zu reden. Große Mittelständler bieten doch heute schon ihren Mitarbeitern an, alle drei Jahre über ihre Wunscharbeitszeit individuell neu zu verhandeln. Das können nicht nur Start-ups. Wenn man sich über Flexibilität auf Augenhöhe verständigt, dann sind die Chancen für alle Seiten gegeben. Die Digitalisierung ermöglicht für viele Menschen ganz andere Spielräume, wann, wo, wie und mit wem man arbeitet.

Frage: Herr Sattelberger, Sie sind ein großer Verfechter der Frauenquote. Schränken Sie da nicht die unternehmerische Freiheit ein?

SATTELBERGER: Die Konzerne sind ihrer freiwilligen Selbstverpflichtung jahrelang nicht gerecht geworden. Ich habe an meine überwiegend männlichen Kollegen Personalchefs immer wieder appelliert: Macht was, sonst tut es die Politik. Bei der Telekom sind wir damals 2010 vorangegangen. Zu meiner Enttäuschung haben sich die Dax-30-Unternehmen nicht angeschlossen. Wenn man 14 Jahre lang die Zeichen der Zeit ignoriert, muss man sich nicht wundern, wenn andere handeln.

Frage: Herr Lindner, hat er recht?

LINDNER: Ich war und bleibe skeptisch. Die mangelnde Repräsentanz von Frauen in den Top-Führungsetagen ist eine Folge der versäumten Frauen- und Familienförderung der 70er- und 80er-Jahre. Das hat sich glücklicherweise geändert. Die jetzige Generation von Frauen wird viel leichter und aus eigener Kraft in Spitzenpositionen kommen.

Frage: Herr Lindner, ist das nicht auch ein Problem der FDP. Sie schlagen die Schlachten der Vergangenheit. Nicht nur die Gesellschaft, auch die Wirtschaft ist bei der Frauenquote wie beim Mindestlohn schon viel weiter.

LINDNER: Sie haben mich zur Frauenquote gefragt, ich habe dazu geantwortet. Wäre Ihre Frage gewesen, welches Zukunftsprojekt verfolgt die FDP mit Priorität, hätte ich über die Modernisierung der Bildung mit neuen digitalen Methoden und einer Reform des provinziellen Bildungsföderalismus gesprochen. Unabhängig von angeblichen Mehrheitsmeinungen bleibe ich bei Markteingriffen skeptisch. Ich würde also lieber über unser Bürgergeld diskutieren als über einen Mindestlohn, der in die Tarifpolitik eingreift. Ohne zu wissen, welche Folgen er langfristig hat. Wir werden sehen, ob sich die Debatte dreht, falls gering qualifizierte Flüchtlinge vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind.

Frage: Herr Lindner, stimmt der Satz der Kanzlerin „Wir schaffen das“ in der Flüchtlingskrise?

LINDNER: Nicht pauschal. Wir können es schaffen, wenn die Politik stimmt. Hehre Motive allein reichen indessen nicht. Ich bin in Sorge, dass die Hoffnungen der Flüchtlinge enttäuscht und unsere Möglichkeiten überfordert werden. Die Magnetwirkung Deutschlands muss reduziert werden, indem wir unsere Verfahren an europäische Standards anpassen. Und die Regierung sollte die Lage der Flüchtlinge dort verbessern, wo sie schon sind, um den Druck zu nehmen, sich auf den Weg nach Europa zu machen.

SATTELBERGER: Mich quält die Frage, wie wir jedes Jahr Hunderttausende junger Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integrieren wollen. Wir brauchen quasi ein zweites Berufsbildungssystem. Der größte Teil kommt doch sonst in den Sozialtransfer. Diese Diskussion muss jetzt geführt werden. Was jetzt auch völlig vergessen wird durch die Flüchtlingskrise: Deutschland braucht angesichts des demografischen Wandels qualifizierte Zuwanderung. Das erreichen wir nur durch ein Einwanderungsgesetz.

LINDNER: Zustimmung. Die humanitäre Aufnahme von Flüchtlingen wird vermischt mit der Deckung des zukünftigen Fachkräftebedarfs. Kriegsflüchtlinge sollten aber im Prinzip nicht dauerhaft in Deutschland bleiben, sondern etwa nach Syrien zurückkehren, wenn dort wieder Frieden herrscht. Mit einem modernen Einwanderungsrecht könnten sich dann diejenigen, die bleiben wollen und in den Arbeitsmarkt integriert sind, darum bewerben.

Frage: Herr Lindner, die Alternative für Deutschland liegt in den Umfragen bei zehn Prozent. Ist das nicht ein Anreiz, die Gangart in der Flüchtlingspolitik zu verschärfen?

LINDNER: Nein. Unsere Überzeugungen sind unabhängig von Umfragen oder Wettbewerbern. Wir sind kritisch gegenüber der Regierung, aber radikalisierte und verrohte Fundamentalopposition ist unsere Sache nicht.

Frage: Im Frühjahr stehen im Südwesten wichtige Landtagswahlen an. Steht die FDP in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz für eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen zu Verfügung?

LINDNER: Die FDP will einen Politikwechsel. Ich sehe nicht, dass SPD und Grüne sich von ihrer bisherigen Politik verabschieden und das mit uns angehen wollen.

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