03.04.2014FDPFDP

LINDNER/HOFREITER/SCHOLZ-Streitgespräch für „Die Zeit“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER, der Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen ANTON HOFREITER und der erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg OLAF SCHOLZ im Streitgespräch für die „Zeit“ (aktuelle Ausgabe). Die Fragen stellten MARC BROST und MERLIN THEILE:

Frage: Meine Herren, wir haben ihnen ein paar Zitate über den Liberalismus mitgebracht. Wer hat gesagt: „Ich sehe meine Partei seit jeher als starke Kraft der Freiheit“?

SCHOLZ: Das könnte auch Willy Brandt gewesen sein.

Frage: Es war Anton Hofreiter.

LINDNER: Ach.

Frage: Und wer hat gesagt: Meine Partei kann eine neue Heimat für viele Liberale werden, die von der FDP enttäuscht worden sind“?

HOFREITER: Na, Willy Brandt war’s nicht.

Frage: Sondern Olaf Scholz. Da so viele das Liberale für sich beanspruchen, Herr Lindner: Was verbindet Sie mit den Liberalen Scholz und Hofreiter?

LINDNER: Wir sind womöglich alle drei für Freiheit, für Gleichheit und für die Schonung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. In jeder Partei gibt es Liberale. Aber es gibt eben nur eine liberale Partei.

Frage: Was ist für Sie liberal?

LINDNER: Wenn jeder Mensch ein Recht auf ein selbst bestimmtes Leben hat. Dafür den staatlichen fairen Rahmen zu schaffen und innerhalb dieses Rahmens den Menschen zu ermöglichen, sich frei bewegen und ihre Chancen wahrnehmen zu können, das ist für mich liberale Politik.

SCHOLZ: Der Freiheitsgedanke wird von allen Parteien an diesem Tisch vertreten. Die Frage ist jedoch: Würden die heute bestehenden Parteien neu gegründet werden, wenn es sie nicht schon gäbe? Ich glaube, dass man das für die CDU/CSU, für die Grünen und auch für die SPD immer noch sagen kann, auch wenn wir dann vielleicht anders hießen. Bei der FDP bin ich mir nicht so sicher.

Frage: Weil auch die Grünen mittlerweile das Liberale für sich reklamieren, Herr Hofreiter?

HOFREITER: Es kommt immer darauf an, was man unter Freiheit versteht. Und da unterscheiden wir uns. Die FDP steht für den Freiheitsbegriff des Cowboys, des Stärkeren, der letztlich tun und lassen kann, was er will. Aber unser Freiheitsbegriff ist umfassender, er enthält nicht nur die Abwesenheit von Zwang. Freiheit gibt es nicht für alle, wenn wir sich nicht aktiv ermöglichen. Uns geht es auch um die Schonung unserer Lebensgrundlagen. Wer die zerstört, schränkt die Freiheit aller Menschen massiv ein.

LINDNER: Olaf Scholz hat eben die Daseinsberechtigung der FDP infrage gestellt. Da möchte ich ihm widersprechen. Sozialdemokratie, Christdemokratie und Grüne stellen nämlich in das Zentrum ihrer politischen Arbeit überwiegend Gemeinschaften, also nicht den Einzelnen. Die SPD hat im vergangenen Bundestagswahlkampf plakatiert: „Das Wir entscheidet“. Bei der FDP steht die oder der Einzelne im Mittelpunkt, die Eigeninitiative und Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Wer glaubt, das Individuum sei ein Cowboy, der nur durch den Staat erzogen werde, der muss Grün wählen.

SCHOLZ: Ich halte das für ein wenig überzeugendes theoretisches Konstrukt und auch für sehr ideologisch. Man kann den Einzelnen und seine individuelle Freiheit ohne die Gesellschaft nicht denken. Die Freiheit bezieht sich schließlich auf unser Verhältnis zu anderen Menschen. Die SPD steht jedenfalls bereit, das sozialliberale Erbe anzutreten. In der sozialliberalen Regierungszeit zwischen 1969 und 1982 wurden übrigens viele kollektive Rechte verbessert, etwa das Betriebsverfassungsgesetz, die Mitbestimmung in den Aufsichtsräten großer Unternehmen, die Rechte Homosexueller.

HOFREITER: Was Sie als Bürgermeister in Hamburg machen, zum Beispiel Sicherheitszonen einrichten, kommt mir aber nicht sehr liberal vor.

LINDNER: Und mit Blick auf die Vorratsdatenspeicherung und andere Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre handelt die SPD inzwischen so, dass man zwischen dem roten und dem schwarzen Sheriffstern kaum einen Unterschied sieht.

SCHOLZ: Wir glauben, dass es immer sorgfältig abgewogen werden muss, was nötig ist, um die Freiheit unseres Landes zu verteidigen. Sicherheitsfragen gehören dazu.

LINDNER: … die Freiheit unseres Landes? Geht es nicht um die Freiheit und die Würde eines jeden Einzelnen?

HOFREITER: Genau. Aus welcher liberalen Perspektive lässt sich rechtfertigen, die gesamte Bevölkerung unter einen Generalverdacht zu stellen, wie bei der Vorratsdatenspeicherung? Mit einer auf Freiheit zielenden Politik hat das nichts zu tun.

SCHOLZ: Da haben wir also drei sehr unterschiedliche gewichtete Antworten auf die Frage, wie wir die Freiheit und die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger garantieren können. Liberalität drückt sich meines Erachtens eher in einer Politik aus, die keinen Ressentiments folgt und nicht an der genauen Gewichtung dieser Frage.

Frage: Wir stellen fest: Der Liberalismus der SPD hört beim Datenschutz auf.

LINDNER: In Wahrheit geht es doch hier nicht nur um die Vorratsdatenspeicherung. Es geht um die vollständige Digitalisierung aller Lebensbereiche. Und ich stelle fest, dass die Sozialdemokratie, die das sozialliberale Erbe der siebziger Jahre antreten will, mit Blick auf Europa kaum bis keine Anstrengungen unternimmt, zu einem einheitlichen Datenschutzrecht zu kommen. Ich habe noch nichts aus der SPD gehört dazu, einen marktbeherrschenden Konzern wie Google zu disziplinieren.

HOFREITER: Das finde ich jetzt spannend, was Sie da von sich geben ...

LINDNER: Vielen Dank.

HOFREITER: Es ist ja noch gar nicht so lang her, dass Sie mit fast 15 Prozent mitregiert haben. Als Sie an der Macht waren, waren Ihnen die Konzerne sehr, sehr nahe. Und der Datenschutz ist auch nicht vorangekommen.

SCHOLZ: Mein Rat lautet, dass wir nicht so aufeinander zeigen und sagen sollten: „Du hast das gemacht und du hast das gemacht.“ Das wird ein langes und für das Publikum eher langweiliges Spiel. Die Fragen, die Herr Lindner gestellt hat, sind berechtigt. Ja, wir müssen uns zu den Fragen des Datenschutzes Gedanken machen. Und selbstverständlich ist es richtig, dass wir im Hinblick auf die Datensammelwut großer Konzerne Regelungen brauchen, am besten mit einer einheitlichen Regulierung in Europa.

HOFREITER: Na jetzt machen Sie es sich aber zu einfach, nach dem Motto, wir wollen mal nicht kleinlich sein, sondern reden schön Tralala über Grundsätze – da einigt man sich nämlich immer am allerschnellsten. Aber Politik ist konkret, und spannend wird’s doch bei den konkreten Lösungen.

Frage: Dann reden wir mal konkret über den Liberalismus der Grünen, Herr Hofreiter: Wie liberal ist ein Veggie-Day, der den Menschen an einem Tag der Woche Fleisch verbietet?

HOFREITER: Der Vorschlag, in öffentlichen Kantinen ein Mal in der Woche vegetarisch zu kochen, sollte Alternativen zum Fleischkonsum aufzeigen. Uns Grünen ging es dabei vor allem um den Klimaschutz und die furchtbaren Bedingungen der Massentierhaltung. Ich weiß nicht, ob Sie mal in Paraguay oder Brasilien waren, wo das Futter für unsere Massentierhaltung angebaut wird. Wissen Sie, wie das funktioniert? Da leben Kleinbauern, denen gehört das Land, dann kommt ein großer Konzern, kauft dieses Land auf, aber die Leute können nicht gehen, weil sie nicht wissen, wohin. Als nächster Schritt wird eine Todesschwadron geschickt und bringt erst mal jemanden um, meistens von der Kleinbauerngewerkschaft. Dann kommt ein sogenanntes Basta-Flugzeug, das Herbizide versprüht und alles abtötet – und wenn irgendwann die Menschen keine andere Wahl haben, als zu gehen, rücken große Bagger an, schieben alles auf die Seite und dann gib’s Felder bis zum Horizont für den Futtermittelanbau.

LINDNER: Das ist Ihre Erklärung für den Veggie-Day?

HOFREITER: Ja, denn die Massentierhaltung ist eine gnadenlose Einschränkung und Vernichtung von Freiheit. Es gibt ökonomische Interessen von großen Konzernen, die versuchen, den wunderbaren Begriff der Freiheit auf das Recht des Stärkeren zu reduzieren. Das ist der politische Kampf. Und das ist es, was wir der FDP vorwerfen: dass sie den Freiheitsbegriff diskreditiert hat.

LINDNER: Da fühle ich mich gar nicht angesprochen. Ich weiß gar nicht, welchen Popanz Sie da aufbauen müssen, um sich an der FDP abzuarbeiten.

HOFREITER: Ich baue keinen Popanz aufbauen, ich schildere die blinden Flecken Ihres Freiheitsverständnisses.

LINDNER: Ich sehe meine Partei in der Tradition der sozialen Marktwirtschaft, und in der ist der Staat Schiedsrichter und sorgt dafür, dass eben keiner Macht über einen anderen ökonomisch ausüben kann. Und deshalb müssen wir immer wieder an den Regeln unseres Wirtschaftslebens arbeiten, sodass wir solche Machtstrukturen, wenn es sie gibt, reduzieren.

Frage: Dann reden wir über den Liberalismusbegriff der FDP. Ist es nicht so, dass ein Zuviel an heutiger Freiheit zum Freiheitsverlust von morgen führen kann – weil der Einzelne freiwillig kaum nachhaltig handelt und die nachfolgende Generation dann die verschmutzte Umwelt und die verfallenen Schulen erbt?

LINDNER: Aus meiner Sicht nehmen sich Union und SPD gerade die Freiheit, den Wohlstand zu verfrühstücken, der noch gar nicht erwirtschaftet ist. Und damit verletzt die große Koalition in der Tat das Recht der Jüngeren auf einen handlungsfähigen Staat. Gleichzeitig hat der Schutz der ökonomischen und ökologischen Lebensgrundlagen nichts damit zu tun, bloß den Status quo zu erhalten. Man sollte aus dem Land auch kein Freilichtmuseum machen, wie es die Partei von Herrn Hofreiter will.

HOFREITER: Damit wollen Sie ja schön von der FDP ablenken. Denn natürlich ist es so, dass die Chancen und die Freiheit künftiger Generationen massiv leiden, wenn man heute zum Beispiel innerhalb kürzester Zeit die fossilen Rohstoffe verbraucht, nur weil es dem aktuellen Wohlstand dient. Die Grünen wurden auch deshalb gegründet, weil sie sich den Methoden der herrschenden Politik, das Jetzt für die Zukunft zu verheizen, entgegengestellt haben.

Frage: Haben moderne Kommunikationsmittel die Gesellschaft unfreier gemacht? Die pausenlose Verfügbarkeit erschöpft viele Arbeitnehmer.

SCHOLZ: Sicher. Allerdings: Die moderne Arbeitswelt bietet heute so unendlich viele Möglichkeiten, dass das Gefühl der Überforderung wohl eher daher kommt, dass man sich viel öfters entscheiden muss. Früher war der Weg der meisten Menschen vorgezeichnet, heute haben die meisten die Wahl. Das ist eine neue Herausforderung.

HOFREITER: Dass der Sohn des Schmieds früher immer Schmied werden musste und wir solche tradierten Muster heute überwunden haben, ist natürlich ein Fortschritt. Aber die Anforderungen der modernen Arbeitswelt erleben viele Menschen als freiheitseinschränkend. Wir müssen uns bewusst sein, dass Freiheit ein spannender Begriff ist – unterschiedliche Freiheitsräume können aber auch miteinander kollidieren. Die Freiheit, meine Arbeit wählen zu können, kann die Freiheit einschränken, wie ich meine Freizeit gestalten kann.

SCHOLZ: Wie die moderne Arbeitswelt konkret aussieht, das sollten in erster Linie Gewerkschafter und Arbeitgeber aushandeln.

LINDNER: Ja, es muss vor Ort von den Betroffenen entschieden und verhandelt werden. Das ist absolut keine Frage der Politik. Es ist auch nicht nur negativ, wenn die Grenzen zwischen der Arbeit im Betrieb und außerhalb des Betriebs verschwimmen. Darin steckt ja auch eine neue Flexibilität, die eigene Zeit einzuteilen. Ich glaube, dass wir gerade lernen, mit den neuen Möglichkeiten umzugehen.

Frage: Zum Kern der liberalen Idee gehört, dass sich der Staat in bestimmte Lebensbereiche seiner Bürger nicht einzumischen hat. Welche sind das?

SCHOLZ: Was ein Bürger denkt. Seine Gespräche. Außer da, wo der Staat eine Schutzfunktion für Schwächere hat – also zum Beispiel bei Gewalt in persönlichen Beziehungen –, ist es Sache der Leute selbst, ihr Leben miteinander zu regeln. Wir haben da keine Vorschriften zu machen.

LINDNER: Es ist nicht der Staat, der den Bürgern Freiheit gewährt. Es ist genau andersrum: Die Bürger gewähren dem Staat, dass er aus übergeordneten Gründen ihre Freiheit reduziert. Jeder Eingriff in die Vertragsfreiheit, die Persönlichkeits- und Privatsphäre, auch der Zugriff auf das Privateigentum und Einkommen, ist prinzipiell rechtfertigungsbedürftig. Das heißt, der Staat muss Steuern erheben, aber mit dem Geld vernünftig umgehen. Ich bin der größte Freund des Staates überhaupt, wenn er nämlich als Schiedsrichter agiert, wo er gebraucht wird. Ich will zum Beispiel gerne mehr Staat haben, etwa als Garant einer guten Marktordnung an den Kapitalmärkten.

HOFREITER: Es gibt ganz viele Bereiche, die den Staat nichts angehen. Es geht zum Beispiel den Staat nichts an, wenn ich mit meiner Freundin telefoniere, wenn ich eine E-Mail verschicke und was da drinsteht. Und finanziell darf der Staat seine Bürger nicht unterschiedlich behandeln, egal, ob jemand mit einer Frau oder einem Mann zusammenlebt. Das alles sind Privatentscheidungen.

SCHOLZ: Dann können wir ja gemeinsam festhalten, dass es für gleichgeschlechtliche Partnerschaften eine endgültige Gleichstellung mit der Ehe geben soll – wogegen sich CDU und CSU sträuben.

Frage: Da wir nun bei den Gemeinsamkeiten gelandet sind: Was könnte Ihre drei Parteien denn 2017 in eine Koalition bringen?

SCHOLZ: Wir sind jetzt erst am Anfang dieser Legislaturperiode. Weder wissen wir, wie das Wahlergebnis 2017 aussehen wird, noch, ob die FDP wieder im Parlament sein wird.

LINDNER: Ich glaube, dass die FDP, etwa mit Blick auf bürgerliche Freiheitsrechte und das Verhältnis zwischen Staat und Bürger im Sicherheitsbereich, durchaus Gemeinsamkeiten mit den Grünen hat. Es gibt bedauerlicherweise umso größere Unterschiede mit Blick auf die Wirtschafts-, Energie- und Industriepolitik. Genau umgekehrt ist es mit der SPD. Da gibt’s eine große Gemeinsamkeit zwischen Liberalen und Sozialdemokraten: Wir haben beide das Ziel, industrielle Infrastruktur zu erhalten. Aber wir unterscheiden uns darin, die Privatsphäre gegen den staatlichen Zugriff zu verteidigen. Insofern bleibt das nur ein erstes Gespräch.

Frage: Wenn SPD, FDP und Grüne doch irgendwann eine Koalition bilden würden, wäre das die Ampel. Was ist bei einer Verkehrsampel eigentlich die wichtigste Farbe?

LINDNER: Bei der Ampel im Straßenverkehr ist natürlich Grün die wichtigste Farbe, weil es dann vorwärtsgeht. In der Politik ist es genau andersrum. Wo Grün regiert, stellt man oft fest, geht’s gar nicht mehr weiter.

SCHOLZ: Ich finde, bei der Verkehrsampel sind alle drei Farben wichtig. Aber das ist kein politisches Statement.

HOFREITER: Es gibt ja Ampeln, die nur Rot und Grün haben, zum Beispiel Fußgängerampeln. Die funktionieren auch, ganz ohne Gelb.

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