LINDNER-Rede: Wir haben uns erneuert, weil wir Deutschland erneuern wollen
Bearbeitete Mitschrift der Rede des FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner beim 68. Ord. Bundesparteitag der Freien Demokratischen Partei am 28. April 2017:
Zum vierten Mal seit 2013 kommen wir hier zu einem Bundesparteitag zusammen. Zum zweiten Mal darf ich einen Rechenschaftsbericht zur Lage der Partei abgeben. Ich mag diese Art von Reden eigentlich nicht, weil ich lieber zur Sache spreche. Allerdings hat sich die Lage der FDP in den letzten Jahren so verändert, dass Rechenschaftsberichte wieder zunehmend Freude machen.
Im Dezember 2013 habe ich vermutet, dass der Weg der FDP zurück in die Parlamente lang und von Widerständen und Rückschlägen geprägt sein würde. Dass es eine Kraftanstrengung sein würde. Ich muss sagen: Ich hatte Recht. Genauso war und ist es. Es ist ein langer, schwieriger, steiniger Weg mit Widerständen und Rückschlägen.
Mir sagte bei einer Veranstaltung neulich eine Frau: „Sie sehen heute viel besser aus als vor fünf Jahren – so verlebt.“ Die ganze FDP hat sich verändert. Außerparlamentarische Opposition – das ist ein wahrlich raues Geschäft. Die FDP ist jetzt eine wettergegerbte Partei. Unseren politischen Wettbewerbern darf ich ankündigen und unseren Unterstützern versichern: Nach 1315 Tagen außerparlamentarischer Opposition haut diese Partei so leicht gar nichts mehr um.
Anfang 2015 haben wir uns hier bei unserem Bundesparteitag zu „German Mut“ bekannt. Wir haben ein Leitbild als einen neuen Kompass beschlossen. Manche waren ja skeptisch, ob diese Phase der Selbstbeschäftigung einen Wert habe. Sie hatte es: Weil wir die Menschen von Ängstlichkeit und Skepsis befreien wollen, mussten wir uns erst einmal selbst von dieser Ängstlichkeit befreien! Und deswegen war es richtig, dass wir uns damit beschäftigt haben.
Mit genau dieser Haltung haben wir dann 2015 ja auch in Hamburg und Bremen wieder neues Vertrauen gewonnen. Ich habe damals gesagt: Das ist nur eine Stabilisierung, das ist noch keine Trendwende. Die haben wir beim Bundesparteitag 2016 ausgerufen, als wir in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz in großen Flächenländern gewonnen hatten.
Übrigens: Denjenigen, die glauben, aus der außerparlamentarischen Opposition in Regierungsverantwortung, das könne gar nicht funktionieren, denen zeigt Volker Wissing in Rheinland-Pfalz, dass man mit den richtigen Leuten und dem richtigen Team professionelles Regierungshandeln auch aus dem Stand erreichen kann.
Erst kam die Stabilisierung, dann die Trendwende und heute 2017 können wir sagen: Das Comeback der FDP ist noch längst nicht erreicht, aber wir haben wieder eine Chance darauf. Und wer hätte das im Herbst 2013 für möglich gehalten! Wer hätte das geglaubt? Da hat doch keiner an uns geglaubt – nicht einmal jeder von uns war überzeugt, dass wir das schaffen können.
Heute sind wir wieder selbstbewusst in der Sache, aber wir verbinden das mit Humor und Demut beim Blick auf uns selbst – Selbstbewusstsein mit Demut: Das nenne ich Souveränität. Und an ihr wollen wir festhalten.
1315 Tage haben wir jetzt beobachten können, was die Regierung entschieden bzw. was die große Koalition eben nicht entschieden hat. Die große Koalition hat eine übergroße Mehrheit. Aber welches große Problem hat die große Koalition gelöst? Sie hat kein großes Problem gelöst, sondern hat im Gegenteil neue große Probleme geschaffen, weil sie nichts getan hat. In diesen bewegten Zeiten ist Stillstand Machtmissbrauch!
Wer ein solches Mandat hat und nicht gestaltet, der wird ihm nicht gerecht. Da fällt einem als Beleg – einer von vielen – doch sofort Alexander Dobrindt ein: Der hat den Breitband-Ausbau verschlafen, aber den Maut-Irrsinn vorangetrieben – umgekehrt wäre richtig gewesen. Das muss man sich einmal vorstellen: Sie kostet mehr, als sie bringt – gilt für die Maut, könnte aber gleich das Motto der ganzen Koalition sein.
Der Alexander Dobrindt ist ein kluger Mann, den ich schätze. Und ich frage mich bis heute, warum er diese Rache-Maut vorangetrieben hat, wo es kein Argument in der Sache dafür gibt. Der Seehofer muss gegen den was Persönliches in der Hand haben, damit er dieses Vorhaben wider besseren Wissens vorantreibt.
Bewegte Zeiten, aber nichts passiert: Brexit, Trump, Digitalisierung, Alterung der Gesellschaft, Migration, Niedrigzinspolitik und autoritäre Bewegungen, die sich aufbauen – wir können den Rauch der brennenden Themen bereits sehen. Und in diesen bewegten Zeiten hat Deutschland vier Jahre verloren. Wie „Schlafwandler“ bewegt sich Deutschland in der Komfortzone.
Die Geschichte zeigt, dass explosiven Situationen nicht nur Gefahren innewohnen. Aus der Zuspitzung gewinnt eine Gesellschaft auch den Treibstoff, um Neues zu schaffen. Deshalb schauen wir nicht länger zu. Wir haben uns erneuert, weil wir Deutschland erneuern wollen!
Erneuerung
Wir haben uns erneuert und wir sind dazu an den Kern unserer Grundüberzeugungen gegangen. Warum gibt es überhaupt Freie Demokraten? Weil wir an den einzelnen Menschen glauben. Daran, dass er nicht schwach und anleitungsbedürftig ist, so wie das die politische Linke glaubt und deshalb die Menschen mit Stützrädern ausstatten will. Wir glauben andererseits auch nicht wie die Konservativen, dass der Mensch böse und verführbar ist, weswegen es fortwährend nur um Law and Order gehen kann. Wir glauben daran, dass er vernünftig, verantwortungsvoll und tolerant ist. Deshalb braucht er den Staat auch nicht als Aufpasser oder Erziehungsberechtigten – sondern als Problemlöser. Diesen Staat wollen wir den Menschen zurückgeben.
Das ist unser gemeinsames Verständnis von Liberalität. Jetzt habe ich dieser Tage gelesen, dass Wolfgang Kubicki dem kleinen linksliberalen Flügel der FDP angehören würde. Was heißt das überhaupt, ein linksliberaler Flügel? Gibt es bei uns auch einen rechtsliberalen Flügel oder einen wirtschaftsliberalen Flügel oder sonst was? Es gibt in der FDP keine Flügel. Es gibt auch keinen Bindestrich-Liberalismus. Entweder bist du liberal oder du bist es nicht. Das dürfen wir uns gar nicht einreden lassen.
Das ist so eine Mode – übrigens auch mit Blick auf jene autoritäre Truppe, die neulich ihren Parteitag hatte. Die hat jetzt eine neue Frau als Spitzenkandidatin gewählt, von der mitunter gesagt wird, sie sei wirtschaftsliberal. Das sei ja das wirtschaftsliberale Aushängeschild jener autoritäreren Truppe. Was ist denn da wirtschaftsliberal? Du bist doch nicht liberal, nur weil du Steuern senken willst. Das ist doch nicht Liberalität.
Das ist etwas ganz anderes: Liberalität hat etwas mit dem Glauben an den Einzelnen zu tun und dem Eintreten für seine Würde und Freiheit. Und wer für den Einzelnen eintritt, der bekennt sich natürlich zur freiheitlichen Wirtschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft. Aber wer für den Einzelnen und seine Würde eintritt, der setzt sich genauso für Rechtsstaat, Bürgerrechte und die offene Gesellschaft ein. Es gibt keinen Liberalismus nur als Spartenprogramm. Du bist es ganz oder gar nicht.
Wir haben unsere politischen Prioritäten vermessen:
1.
Wir wollen weiter Fairness zwischen Bürger und Staat bei den Finanzen. Mögen uns andere dafür kritisieren – dabei bleibt es auch. Aber wir wissen heute mehr denn je, dass Fairness und Wettbewerbsfähigkeit einer Gesellschaft in der Zukunft nicht vom Steuersystem entschieden werden. Weil wir den Einzelnen groß und zum Architekten seines Lebens machen wollen, deshalb streben wir die weltbeste Bildung an. Denn die Bildung ist es, die über individuelle Aufstiegschancen und die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes entscheidet. Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in der Zukunft und die Fairness unserer Gesellschaft werden nicht zuerst vom Steuersystem sondern vom Bildungssystem entschieden und deshalb beginnt unsere politische Erzählung an dieser Stelle.
Die anderen streiten über eine Quote für die Rüstungsausgaben bis 2025. Wie wäre es, Deutschland würde sich das Ziel setzen, bis 2025 vom Mittelfeld in die Spitzengruppe bei den Bildungsinvestitionen aufzusteigen? Dieses Ziel hat für uns Priorität.
Man braucht sich nur einmal den Zustand der Schulgebäude anzusehen. Ich meine nicht einmal die Fachräume – ich spreche über die Toiletten. Der Unterrichtsausfall, den wir haben – wir können doch mit dem Zustand unseres Bildungssystems nicht zufrieden sein. Auch wenn wir jetzt vor zwei Landtagswahlen stehen: Die für uns wichtigste gesellschaftspolitische Aufgabe, die liegt bei uns in Deutschland bei den finanziell schwächsten Gliedern des Gemeinwesens – nämlich Ländern und Kommunen. Die Länder müssen bis Ende des Jahrzehnts eine Schuldenbremse einhalten. Wenn wir nichts ändern, dann wird die Schuldenbremse der Strick werden, an dem wir die Bildungsqualität aufhängen. Und deshalb muss sich auch etwas in unserem Bildungsföderalismus verändern.
Die Leute haben kein Verständnis dafür, wenn sie ihre Schule sehen, dass sich dort nichts mehr bewegt. Nur weil Kinder gerne im Dreck spielen, müssen die Schulen nicht so aussehen. Das ist auch eine Frage des Respekts.
Und die Leute verstehen nicht, dass Wolfgang Schäuble in Burundi und Botsuana Schulen saniert, dass unsere Verfassung ihm das aber in Böblingen und Bonn untersagt. Deshalb müssen wir am Kooperationsverbot etwas verändern.
Es geht auch um die Inhalte in der Bildung: Das Digitalste in der Schule dürfen nicht die Pausen sein. Wir müssen natürlich auch digitale Didaktik und digitale Inhalte in die Schulen bringen.
Aber nicht nur das: Wir müssen doch auch fragen, welche wirtschaftlichen Kenntnisse werden jungen Menschen vermittelt. Ich befürchte in Deutschland einen ökonomischen Analphabetismus. Wer das nicht glaubt, der muss sich nur einmal die Euphorie unter jungen Menschen nach der Wahl von Martin Schulz ansehen. Das kann man nur erklären mit mangelnden Kenntnissen hinsichtlich wirtschaftlicher Zusammenhänge. Deshalb muss in der Schule natürlich auch stärker vermittelt werden, wie unsere Wirtschaftsordnung funktioniert.
Wir hatten in Nordrhein-Westfalen übrigens mal auf Initiative der FDP ein Schulfach Wirtschaft in den Realschulen. Das war sehr erfolgreich. Alle Beteiligten – Eltern, Lehrer, Schüler und die Ausbildungsbetriebe – waren begeistert von den Ergebnissen und unsere Absicht war, das auszudehnen auf andere Schulformen und das Modellprojekt auch zeitlich zu verlängern. Dann kam eine neue Landesregierung mit einer neuen Schulministerin ins Amt und deren erste Amtshandlung war, dieses Modellprojekt Wirtschaftskunde an Realschulen einzustampfen. Begründung: Die Schule ist kein Zulieferbetrieb für die Wirtschaft. Doch, das ist so! Ich würde es allerdings anders formulieren: Die Schule ist ein Zulieferbetrieb für das Leben – und zum Leben gehört die Wirtschaft.
Du musst als Wähler doch wissen, wie unsere Wirtschaftsordnung funktioniert. Du musst als Verbraucher doch wissen, wie ein Preis zustande kommt. Als Angestellter musst du doch wissen, welche Rechte du hast. Und vielleicht wird durch mehr wirtschaftliche Kenntnisse manch junger Mensch sogar motiviert, selbst eine Existenz zu gründen. Ich will mich jedenfalls nicht länger damit abfinden, dass junge Menschen die Schule verlassen und ein Gedicht in mindestens zwei Sprachen interpretieren können, aber nicht den ersten Mietvertrag, den sie unterschreiben. Das muss sich ändern. Da brauchen wir mehr Alltagstauglichkeit in unserem Bildungssystem.
Der Martin Schulz hat die FDP gelobt – und das ist im Prinzip ja auch richtig. Dafür will ich ihn nicht kritisieren. Dass es ein respektvolles Miteinander zwischen demokratischen Parteien gibt, die auch eine gemeinsame Geschichte haben, könnte man eigentlich als Selbstverständlichkeit begreifen und insofern will ich das gar nicht zu böse hier sagen. Ich erkenne das an und über diesen Respekt freuen wir uns auch. Doch wir können unterscheiden zwischen dem, was tatsächlich ernst gemeint ist, und was taktischen Charakter hat. Herr Schulz lobte die FDP: Es sei ja interessant, die FDP wolle ja keinen Steuerwahlkampf machen; das sei ja toll. Jetzt muss ich Herrn Schulz enttäuschen. Wir werden nicht nur einen Steuerwahlkampf machen, aber selbstverständlich lassen wir uns das Thema doch nicht nehmen von anderen Parteien – gerade jetzt nicht!
Man darf doch aus Überwindung einer gewissen Verengung nicht machen, dass wir mit dem Thema jetzt gar nichts mehr zu schaffen haben wollen – ganz im Gegenteil. Man muss doch nur die Veränderung der Politik in den Vereinigten Staaten sehen, die neuerliche Entscheidung der EZB, den Zins auf „gar-nichts“ zu lassen. Deutschland darf sich jetzt in der Steuerpolitik doch nicht von Herrn Trump treiben lassen. Es muss wieder ein eigenes Anliegen der Bundesregierung werden, in der Steuerpolitik für Gerechtigkeit und für eine Verhältnismäßigkeit zu sorgen. Nicht von außen müssen die Reformen diktiert werden, von innen müssen sie kommen. Und da liegen die Möglichkeiten doch offen zu Tage – das unterscheidet uns auch von den Vereinigten Staaten. Wenn ich mir das Zahlengerüst von Herrn Trump ansehe, was er an Investitionen leisten will, wie und wo er Steuern senken will – dieses Zahlengerüst von Herrn Trump erscheint mir wie Voodoo.
Ganz anders ist die Lage bei uns. Angesichts dieses künstlich niedrigen Zinses, der ja den Finanzministern ermöglicht, ganz leicht, ohne Anstrengung und ohne Konsolidierung ihre Haushalte aufzustellen und vor allem angesichts einer Untätigkeit über viele Jahre schwimmt der Staat im Geld. Bis 2021 prognostiziert Wolfgang Schäuble selbst jährliche Mehreinnahmen von 110 Milliarden Euro. Und das ist doch ein Zeichen: Der Wolfgang Schäuble gönnt den Bürgerinnen und Bürgern in Wahrheit nicht einen Cent zusätzlich. Wenn er jetzt 15 Milliarden Entlastung ins Schaufenster stellt, dann heißt das, dass mindestens 30 bis 40 Milliarden möglich sind.
Der Horst Seehofer hat 2013 oder 2014, das kann man bei YouTube noch sehen, in einer Rede ungefähr gesagt: Wenn wir bis 2017 nicht eine spürbare Steuerreform mit Entlastung erreichen, dann brauchen wir als Union mit dem Thema 2017 bei der Bundestagswahl überhaupt nicht mehr antreten. Der Horst Seehofer hatte Recht. Sie haben nichts getan bei allen Möglichkeiten und deswegen hat die Union jede Glaubwürdigkeit in der Steuerpolitik verloren. Sicher kann man sagen: Ohne uns wird da nichts passieren.
Schäuble hat jetzt eine enorme Rücklage angelegt. Das muss man sich mal vorstellen: Die große Koalition geht mit einer zweistelligen Milliarden-Euro-Summe an Rücklage in die Bundestagswahl. Du kannst doch jetzt schon fühlen, was nach der Wahl passiert. Wenn Rot-Rot-Grün drankommt, macht man denen das Leben ganz leicht. Die können sofort mit dem Geld hantieren. Und wenn es weiter eine große Koalition gibt, dann wird es auch keine Steuerentlastungen geben. Das wird die SPD zu verhindern wissen. Deshalb müsste Schäuble, wenn er klug ist, bereits jetzt vor der Bundestagswahl mit dem Einstieg in den Ausstieg aus dem Solidaritätszuschlag beginnen.
2.
Wir wenden uns weiter gegen Bürokratismus, der Eigenverantwortung und Kreativität der Menschen fesselt. Und dabei bleibt es.
Aber wir wissen heute mehr denn je, dass der Staat für eine Ordnung sorgen muss. Denn niemand darf so mächtig werden, dass er mit Steuergeld gerettet werden muss oder anderen die Spielregeln selbstherrlich diktieren kann. Das wäre nicht Marktwirtschaft, sondern die Perversion von Marktwirtschaft. Wer das laufen lässt, der darf sich nicht wundern, dass das Vertrauen in die freiheitliche Wirtschaftsordnung eruiert.
In diesen Fragen passiert aber nichts. Jetzt waren alle mit anderen Themen beschäftigt, beispielsweise mit der Flüchtlingspolitik, deshalb ist gar nicht aufgefallen, dass in Italien schon wieder eine private Bank über den Umweg des Staates gerettet worden ist und Eigentümer und Gläubiger schon wieder raus waren aus dem Spiel. Immer noch sind die Staatsanleihen in den Bankbilanzen risikofrei – da hat sich nichts verändert. Da macht sich der Staat zum Komplizen der nächsten Blasenbildung, für die dann der böse Neoliberalismus irgendwann verantwortlich gemacht wird.
Nullzinspolitik, die Aufhebung marktwirtschaftlicher Gesetze am Kapitalmarkt und nicht zuletzt die Dominanz der Googles und Amazons, wo selbst veritable deutsche Konzerne sagen, sie haben Angst vor deren Marktmacht – das zeigt, dass die Wirtschaftsordnung erneuert werden müsste. Aber wie wenig Priorität das hat, zeigt doch symbolisch die Besetzung des Bundeswirtschaftsministeriums: Frau Zypries bekommt zum Abschied ein Ministeramt. Das Ministerium von Ludwig Erhard ist keine Belohnung für treue Dienste, sondern das Ministerium von Ludwig Erhard hat einen Gestaltungsauftrag, den es zukünftig wieder wahrnehmen muss.
Was passiert stattdessen? Statt klare Regeln für funktionierende soziale Marktwirtschaft bekommen wir Bürokratie. Nahezu jeden Tag erhalte ich jetzt E-Mails dir mir ungefähr sinngemäß schreiben: „Sehr geehrter Herr Lindner, bitte helfen Sie mir, weil Frau Nahles mir helfen will“. Das sind Menschen, beispielsweise selbstständige IT-Entwickler. Und seit dem 1. Januar werden diese Menschen durch Veränderungen bei den Werkverträgen systematisch in den Verdacht der Scheinselbstständigkeit gerückt. Das sind freiberuflich tätige, hochqualifizierte Menschen, die ein paar Monate in einem Unternehmen tätig sind auf und auf in einem IT-Projekt arbeiten, dort einen Schreibtisch haben und eingebunden sind in die betrieblichen Abläufe, aber als Selbstständige arbeiten. Nach ein paar Monaten scheiden sie wieder aus, sind zuhause, machen eine zusätzliche Zertifizierung bei Microsoft oder SAP. Kümmern sich um die Familie, genießen ihr Leben. Und sie wollen gar keine Urlaubsanträge stellen, sie wollen gerne selbstständig bleiben und sie sollen es auch dürfen. Denn unser Sozialstaat wie wir ihn uns vorstellen, beinhaltet keine Schablonen wie Menschen leben und arbeiten sollen. Wir wollen einen Sozialstaat haben der Selbstbestimmung und Flexibilität ermöglicht und nur dann wenn erforderlich Hilfe bietet.
Die Kunst ist also, Flexibilität und Sicherheit zu verbinden. Es wird ja ein großes Thema, die Weiterentwicklung unseres Sozialstaats. Das hat Herr Schulz ja angekündigt. Ich erinnere an seine Rede in Bielefeld, als er über den 50 Jahre alten Industriearbeiter gesprochen hat, der nach vielen Jahren und Jahrzehnten der Betriebszugehörigkeit jetzt Angst habe seinen Job zu verlieren. Und Herr Schulz sagt jetzt, die Angst ist berechtigt. Das muss man sich mal vorstellen. Was ist das für ein Ausdruck von Führungsverantwortung. Der SPD-Spitzenkandidat sagt dem Mann nicht: Fürchte dich nicht, wir kümmern uns um dich. Hab Mut, du findest einen Job. Sondern der sagt: du hast Recht. Deine Angst ist berechtig und was wir dir versprechen können ist drei bis vier Monate länger ALG I. So kann man doch das Zutrauen der Menschen nicht stärken. Mut muss man ihnen machen!
Und dann wird ins Schaufenster gestellt: Der Mann bekommt dank der SPD eine Qualifizierungsmaßnahme von bis zu 48 Monaten. Und das für jemanden, der als Industriearbeiter über Jahrzehnte in einem Betrieb beschäftigt war. Angesichts unserer Fachkräftesituation in Deutschland. Die schlimmste Gefahr für den Mann ist Martin Schulz. Durch den würde er nämlich vier Jahre vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden. Das ist die größte Gefahr für ihn.
Ganz unfreiwillig hat Herr Schulz auch noch etwas anderes offengelegt: Denn in Deutschland hat ein Arbeitnehmer nach längstens oder im Durchschnitt 30 Wochen ALG I wieder eine Beschäftigung gefunden. Herr Schulz hat allerdings seine Rede gehalten in Bielefeld, in NRW also - und NRW ist das einzige westdeutsche Bundesland, wo die Situation tatsächlich etwas anders ist. In NRW haben wir nämlich den zweitschlechtesten Arbeitsmarkt aller westdeutschen Länder. In Thüringen und Sachsen ist der Arbeitsmarkt sogar dynamischer als bei uns an Rhein und Ruhr.
Die Lösung ist also nicht, dass wir dem Industriearbeiter längere Sozialleistungen versprechen, sondern dass wieder eine Wirtschaftspolitik gemacht wird, die dieses Land auf den Wachstumspfad zurückführt, damit es Arbeitsplätze gibt!
Das Land ist in einer starken Verfassung, es könnte eigentlich noch viel besser sein. Aber wir haben in NRW eine rot-grüne Politik, die ein Bundesgesetz nicht eins zu eins in das Landesgesetz überträgt, sondern immer noch etwas oben drauf setzt. Und wenn eine Richtlinie aus Brüssel kommt, dann setzen die die ebenfalls nicht ein zu eins um, sondern setzen nochmal etwas drauf. Und wenn Berlin und Brüssel mal keine Idee haben, dann fällt den Grünen was ein.
Wenn man das sieben Jahre lang macht, dann darf man sich nicht wundern, wenn das irgendwann wirtschaftliche Auswirkungen hat. Deshalb haben wir den Menschen in NRW eine Zusage geben: Unmittelbar nach der Landtagswahl wird unsere erste Initiative ein Entfesselungsgesetz sein, mit dem wir alle Standards auf Europäisches- und Bundesniveau zurücknehmen und den ganzen grünen Krempel abwickeln werden. Weil NRW Großartiges leisten kann. Es soll es auch wieder dürfen. Wir wollen das Potential frei lassen.
Nebenbei gesagt: Bei uns in NRW gäbe es eine echte Chance auf einen Politikwechsel. Man müsste die Regierung nur mal hart stellen. Wir als FDP tun unser Möglichstes. Aber heute habe ich in der BILD-Zeitung gelesen, dass der Spitzenkandidat der CDU, mein Freund Armin Laschet, der Ministerpräsident werden will, dass der seit Jahren jeden Tag einen Fußballtipp macht - und er dabei immer nur auf ein Unentschieden setzt. Stärker kann man mangelnden Siegeswillen überhaupt gar nicht dokumentieren. Wir sind nicht unentschieden!
Ich muss nochmal zurückkommen zu dem, was Martin Schulz gesagt hat. Es gibt Probleme am Arbeitsmarkt, das sind aber andere als die, die Herr Schulz thematisiert. Unsere Probleme am Arbeitsmarkt, nicht nur aber insbesondere in NRW, sind Menschen, die viele, viele Jahre ALG II beziehen. Unser Problem ist Langzeitarbeitslosigkeit. Was tun wir für diese Menschen? Für die kann man kein Qualifizierungsprogramm machen, weil die haben schon Bewerbungstrainings gehabt, die haben schon dreimal einen Gabelstaplerführerschein gemacht. Das hilft denen nicht. Für die ist die Perspektive nicht: Von Hartz IV über viele Jahre sofort aufzusteigen, in das was man „Normal-Arbeitsverhältnis“ nennt: 40 Stunden, gut bezahlt, unbefristet. Das funktioniert nicht.
Für diese Leute ist die Perspektive zum Beispiel der Tankstellen-Wächter, der sagt: ich gebe dir eine Chance. Neben Hartz IV bekommst du einen Mini-Job bei mir. Dadurch kommen die Menschen wieder in Bewegung und stellen fest, dass sie etwas können. Es bringt auch ihrem Alltag wieder Struktur. Und wenn sie sich bewährt haben, dann bekommen sie vielleicht 3 Stunden mehr in der Woche. Und genau dort beginnt das Problem: Hartz IV plus Mini-Job ergibt im Monat dann weniger Netto, als wenn sie die drei Stunden nicht gearbeitet hätten. Unser Sozialstaat wirkt dabei wie ein Magnet, der die Menschen festhält. An dieser Stelle müssen wir was ändern! Die Menschen im dauerhaften Sozialleistungsbezug zu blassen, das ist würdelos. Auch in jedem kleinen Job muss sich jede Stunde zusätzlicher Arbeit für die Menschen auszahlen.
3.
Wir sind weiter und aus Überzeugung Anwalt des Mittelstands, denn er ist das Rückgrat unserer Wirtschaft und Garant für Stabilität. Und dabei bleibt es auch.
Aber wir wissen heute mehr denn je, dass man auf die Digitalisierung nicht antworten kann, indem man Geschäftsmodelle mit Subventionen und Verboten vor ihr zu schützen versucht. Auf den Wettbewerb zwischen Etablierten und Startups, zwischen Taxi und Uber, zwischen Apotheke und Versand antworten wir mit klaren Standards und fairem Wettbewerb. Und das unterscheidet uns von der GroKo, wie man in jeder Apothekenumschau lesen kann. Für Liberale zählen am Ende aber nicht organisierte Interessen, sondern für uns steht im Zentrum die Wahlfreiheit der Kundinnen und Kunden!
4.
Wir stehen zum geeinten Europa und zur transatlantischen Partnerschaft. Und dabei bleibt es. Kein Aber. Bei den anderen Punkten habe ich ein „Aber“ dahinter gesetzt, wo sich etwas verändert hat in unserer Akzentsetzung. Bei unserem glasklaren Bekenntnis zur Einheit Europas und der transatlantischen Partnerschaft, da kann und wird es in der FDP wird es keinen Kurswechsel geben, denn dies gehört zu unserer Gründungsidee.
Hoffnung in Europa macht gerade ein eloquenter, gut aussehender, reformfreudiger 39-Jähriger in Frankreich: Herr Macron. Mit seinem klaren Bekenntnis zu Europa hat er die Menschen begeistert. Damit ist ein wichtiger Zwischenschritt erreicht für das europäische Gemeinschaftsprojekt.
Die Autoritären, auch bei uns in Deutschland, wollen nicht nur aus dem Euro, sondern gleich auch aus der Europäischen Union aussteigen. Die empfehlen uns als zukünftiges Leitbild ein Europa der Vaterländer - als wenn es das nicht bereits gegeben hätte. Die Epoche des Europas der Vaterlänger hatten wir bis 1945. Es war eine Epoche, wo Rivalitäten und Wert-Unterschiede auf den Schlachtfeldern ausgetragen worden sind. Wie viel weiter sind wir heute? Heute werden Konflikte in Sitzungszimmern ausgetragen, statt auf Schlachtfeldern. Zu den Schlachtfeldern wollen wir nie mehr zurück.
Europa muss also zusammen bleiben. Aber wir müssen diskutieren: Welches Europa wollen wir? Bei aller Begeisterung für Herrn Macron: Ich kündige an, das werden keine leichten Gespräche werden mit Frankreich, denn Herr Macron hat eine ganz eigene Vorstellung von Europa. Ich sage nur: gemeinsame Schulden und anderes mehr. Meine Sorge ist, dass die Bundesregierung keine klare Vorstellung davon hat, wo sie hin will. Und das was man hört, da wo es mal eine klare Positionsbestimmungen aus der Bundesregierung gibt, da wächst nicht gerade mein Zutrauen, dass das die richtige Richtung ist.
Ich nehme Herrn Schulz noch einmal als Beispiel: Er spricht von einer europäischen Arbeitslosen-Versicherung. Was heißt das für die deutschen Facharbeiterinnen und Fachbearbeiter? Die Sozialbeiträge werden jedenfalls nicht sinken. Denn mit deutschen Beiträgen zur Arbeitslosen-Versicherung werden dann künftig die Fehler der katastrophalen italienischen Wirtschaftspolitik ausgeglichen werden. Ein solches Europa würde systematisch Verlierer produzieren. Ein solches Europa hätte enorme Fliehkräfte. Ein solches Europa der totalen Vergemeinschaftung und Vereinheitlichung würde am Ende das Schicksal der Sowjetunion erleiden.
Leider neigen auch Einzelne in der CDU dazu, diesbezüglich einen Kurswechsel anzustreben. Ich meine den Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Wir haben ihm 2010 ausgeredet, einen europäischen Währungsfond (EWF) zu gründen. Und wir haben gesagt, der IWF muss bei allen europäischen Stabilisierungsmaßnahmen mit im Boot sein. Das war ein Anliegen der FDP, weil uns klar war, mit dem IWF kommt unabhängige Expertise, mit Kapital hinterlegt, dazu. Und dies sichert am Ende des Tages deutsche Interessen. Jetzt kommt Herr Schäuble schon wieder mit der Idee eines EWF.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Eine Weiterentwicklung der Institutionen des ESM, dem verschließen wir uns nicht. Dies kann auch sinnvoll sein. Aber Deutschland darf nicht den Kurs verlassen, dass immer die unabhängige Expertise Washingtons mit im Boot bleibt, weil sonst Deutschland und andere stabilitätsorientierte Länder majorisiert werden würden. Dies können wir nicht zulassen, denn Europa muss durch Reformen stark werden und nicht durch gemeinschaftliche Schuldenaufnahme.
5.
Wir verteidigen Bürgerrechte weiter gegen Bespitzelung und Zensur, weil man die Freiheit nicht schützen kann, indem man sie restlos dem Staat opfert. Und dabei bleibt es. Aber wir wissen heute mehr denn je, dass die Toleranz und Liberalität unserer Verfassung nicht mit Beliebigkeit verwechselt werden darf. Denn ihre liberalen Werte selbst müssen gegen echte Feinde verteidigt werden. Aber auch gegen die eigene Erschlaffung. Die Bundeskanzlerin sollte aus ihren Fehlern lernen. Sollte Herr Erdogan tatsächlich ein Referendum über die Einführung der Todesstrafe wollen, dann muss sie Kampagnen und Wahlurnen in Deutschland untersagen!
Diese Politik der Beschwichtigung: Armenien, Böhmermann, Yücel, dann das Referendum, dass ohne Weiteres in Deutschland durchgeführt werden kann und am Ende mussten Länder und Kommunen Auftritte mit Hilfe des „Brandschutzes“ untersagen. Diese ganze Türkei-Politik der Bundesregierung ist gescheitert! Und deshalb muss es diesbezüglich einen Neuanfang geben. Wir wollen die Zusammenarbeit mit der Türkei. Selbstverständlich! Wie könnte man sie nicht wollen? So viele Menschen die aus der Türkei stammen, die bei uns und unter uns und mit uns gemeinsam leben. Wie könnte man dann Verbindungen kappen wollen? Das wollen auch wir nicht. Wir müsst stattdessen über einen Grundlagenvertrag mit der Türkei sprechen, der Rechtsfragen klärt, der Sicherheiten garantiert, der wirtschaftliche Zusammenarbeit stellt. Eines ist doch aber klar: Nach dem Referendum hat die Türkei sich selbst aus den Beitrittsprozess der EU verabschiedet. Dieser Prozess muss jetzt auch offiziell beendet werden.
Ich fürchte, ich muss an dieser Stelle übrigens doch ein Wort zum „Özil-Gate“ sagen. Ich habe ja nicht geahnt, was ein einzelnes „Ja“ auf eine Frage eines Magazins für ein Echo auslöst. Wenn ich es gewusst hätte, ich hätte trotzdem so geantwortet. Ich hätte es nicht übers Herz gebracht zu sagen, dass es mir egal ist. Nicht weil ich eine Hymnen-Polizei will. Am Ende soll jeder selbst entscheiden, ob er mitsingt oder nicht. Aber man darf es sich doch wünschen. Denn die Hymne ist Symbol des Staates des Grundgesetzes.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zum Beispiel hat in ihrem aktuellen Buch ein ganzes Kapitel über den Verfassungspatriotismus geschrieben. Zu dieser bunten, weltoffenen, liberalen Verfassung kann sich jeder bekennen. Ich wünschte wir wären als Einwanderungsland so weit, dass dies auch die Fußball-Idole schaffen könnten.
Denn unsere Liberalität ist doch herausgefordert. Die Konservativen sprechen doch nicht mehr über das Grundgesetz und seine objektive liberale Werteordnung, sondern die bieten als Leitkultur wieder das christliche Abendland an. Das ist doch ein zivilisatorischer Rückschritt. Wer das nicht will, muss sich zu unserer säkularen Verfassung bekennen. Das ist doch die Pointe: Gerade weil das Grundgesetz gar nichts von Nationalismus hat und nicht getauft ist, ist es doch die beste Willkommenskultur.
Damit wir uns da nicht missverstehen: Man kann das alles natürlich auch anders sehen als ich. Aber manche Reaktion ist dann doch eine Betrachtung wert. Da vergleicht mich Jürgen Trittin bei Twitter tatsächlich mit Alexander Gauland von der AfD. Uns schadet das nicht – aber wer den Politiker einer demokratischen Partei mit der autoritären AfD in Verbindung bringt, der verharmlost eine autoritäre Bewegung, die auf ihrem Parteitag noch nicht einmal einen Trennstrich zu Rassismus und Antisemitismus ziehen sollte!
Ich habe mir streckenweise den Parteitag der AfD angesehen und es gab eine Passage in einer Rede von Herrn Gauland, die mich in besonderer Weise verstört hat. Herr Gauland sprach nämlich davon, er möchte dass Deutschland behalten, dass er von seinen Großeltern und Eltern geerbt hat. Dann schaut man sich den Jahrgang von Herrn Gauland an – bei allem Respekt - aber welches Deutschland war das? Das Deutschland seiner Großeltern und Eltern? Welches Deutschland war das? Das Deutschland der 20er, der 30er-Jahre? Ich will noch nicht mal das Deutschland der 50er-Jahre behalten. Ich will das Deutschland des Jahres 2017 behalten. Ein Deutschland, das nach 1949 eine Liberalität, Toleranz, Buntheit und Vielfalt hervorgebracht hat wie sie es auf deutschen Boden niemals zuvor gegeben hat. Und dieses Deutschland sollen wir behalten. Kein Zurück. Wir wollen kein Zurück. Wir wollen kein Zurück, auch gesellschaftspolitisch nicht, wir wollen nach vorne!
Ich sage aber auch ganz offen: Nach dieser Özil-Geschichte hat mich zum Teil auch die Zustimmung besorgt, die ich erhalten habe. Weil dies nämlich eine gewisse Grundnervosität unserer Gesellschaft wiedergibt. Manche verstehen so eine Aussage dann ganz schnell anders, als es gemeint war…
Das sieht man auch an anderer Stelle. Bei der CDU zum Beispiel. Die CDU führt jetzt eine Debatte über den Doppelpass. Nach dem Referendum. Das wirkt wie eine Lex-Türkei, wenn da plötzlich in Deutschland aus der Hüfte heraus integrationspolitische Debatten geführt werden.
Was richtig ist: Wir brauchen eine Generalinventur der deutschen Einwanderungs- und Zuwanderungspolitik. Und jetzt wäre genau der richtige Zeitpunkt. Wir sind als Einwanderungsland lange viel weniger attraktiv gewesen, als wir selbst geglaubt haben. Das hat viele Gründe: die Sprachbarriere ist eine. Aber angesichts der Entwicklungen mit Trump in den USA, angesichts des Brexits und angesichts unserer wirtschaftlichen Stärke und des Fachkräftemangels sind wir plötzlich in einer Situation, dass Deutschland enorm interessant werden könnte für die spannendsten Talente, die hellsten Köpfe.
Und deshalb ist jetzt der historische Moment, eine neue Zuwanderungspolitik für Deutschland zu beschrieben, die unsere humanitäre Verantwortung mit Interessen verbindet. Jetzt ist der Moment! Und meine Empfehlung ist: schauen wir dabei nach Kanada. Dort gilt: Egal woher du kommst: Du kannst Kanadier werden. Aber es gibt auch ganz klare Spielregeln und Anforderungen. Meilensteine, die du passieren musst. Klare, nachvollziehbare Anforderungen, die jeder erfüllen muss. Was für eine Einladung. Daran können wir uns ein Beispiel nehmen, denn die Integration, das ist nicht zuerst die Aufgabe der aufnehmenden Länder, es gibt auch eine Bringschuld gegenüber denjenigen, die zu uns kommen.
Das hat die politische Linke nicht erkannt. Und die Konservativen haben gleich von „Gastarbeitern“ gesprochen. Als ob am Ende so viele Generationen wieder nach Hause gehen würden. Deutschland ist doch längst deren Zuhause. Gastarbeiter - dieser Begriff war eine Lebenslüge der deutschen Zuwanderungspolitik.
Im vergangen Jahr haben wir dann plötzlich Tabula Rasa bei der CDU erlebt. Da wurde plötzlich von Frau Merkel die Grenze geöffnet. Die Regeln von Dublin wurden einfach außer Kraft gesetzt und zwar nicht nur für ein Wochenende, sondern auf Dauer. Manch einer hat das kommentiert und gesagt, die CDU und Frau Merkel die würden jetzt eine liberale Flüchtlingspolitik machen. Der Verzicht auf alle Regeln und Ordnung, der hat aber nichts mit Liberalität zu tun. Denn Freiheit kann sich nur im Rechtsrahmen entfalten.
Ich habe dazu neulich ein bemerkenswertes Buch vorgestellt, wo diese ganzen Vorgänge detailliert aufgearbeitet worden sind. Bei Lesen stellt man dann fest, dass es damals gar keine Grundsatzentscheidung war, die getroffen worden ist. Denn eine Woche später gab es schon die Befehle an die Bundespolizei die Grenze wieder zu schließen und zum Dublin-Verfahren zurückzukehren. Es ist offensichtlich nur aus Opportunitätsgründen nicht erfolgt.
Im Nachhinein wird das Ganze dann verklärt als eine humanitäre Entscheidung. Ich wüsste gerne genau, was da in der Bundesregierung passiert ist. Wer welche Entscheidung getroffen oder nicht getroffen hat. Wo ist eigentlich die parlamentarische Opposition im deutschen Bundestag gewesen, als es darum ging, diese Frage aufzuklären? Als ich dieses Buch vorgestellt habe, habe ich gesagt, dass das Buch einen PUA ersetzt. Ich habe es mir anders überlegt: Nicht um anzuklagen, aber um aufzuklären und um für die Zukunft Vergleichbares zu verhindern, müssen wir nach der Bundestagswahl einen PUA zur Flüchtlingskrise einsetzen!
Ich muss noch einen letzten Satz zur Zuwanderungspolitik sagen: Wenn wir sagen, wir haben ein neues Leitbild, das heißt: Das Ziel ist bei klaren Anforderungen die Einbürgerung, dann hat das zur Folge, dass es in Deutschland mehr Doppelpässe geben würde. Wenn man eine solche aktive Einwanderungspolitik will, dann muss das aber auch eine Konsequenz haben: Mehr Doppelpässe - aber nicht mehr so lang. In der dritten Generation kann das nicht mehr fortgesetzt werden.
Gelegentlich werde ich gefragt, wo die Freien Demokraten denn so ganz anders als früher wären. Ich habe ja gerade ein paar Prioritäten, Verschiebungen, Justierungen genannt. Aber grundsätzlich ganz anders sind wir gar nicht. Denn wir sind eine Traditionspartei mit Werten, deren Gültigkeit nichts mit einzelnen Wahlniederlagen zu tun haben oder hatten. Niemand kann uns einreden, dass das, wofür in ihrer Zeit Theodor Heuss, Thomas Dehler, Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher, Otto Graf Lambsdorff, Guido Westerwelle und Gerhart Baum gestanden haben, heute falsch wäre. Wir haben uns genau aus dieser Traditionslinie heraus aktualisiert. Denn wir wollen diese liberale Traditionslinie nicht aufgeben, sondern weiter fortsetzen.
Es gab Versuchungen, Ansehen gegen Aufsehen zu tauschen. Mancher riet, der AfD nachzueilen. Andere empfahlen uns, eine gelbe Sozialdemokratie zu werden. Die FDP ist dagegen weder garstig noch gefällig geworden – wir haben deshalb eine Chance auf das Comeback, weil wir in der Zeit der außerparlamentarischen Opposition Charakter gezeigt haben.
Diese Überzeugungen haben uns angespornt. Aber auch die Erinnerung an den Wahlabend 2013. Das will ich ganz offen an dieser Stelle sagen. Heute haben die Grünen eine schwierige Situation, das sage ich ohne Schadenfreude und ohne jede Häme. Ich glaube: in Deutschland gibt es einen Bedarf für eine Partei, die sich in besonderer Weise einer ökonomisch-sozialen Verantwortung verpflichtet fühlt. Das ist eine Frage des Respekts und auch der demokratischen Kultur.
Nicht vergessen habe ich aber den Jubel auf der Wahlparty der Grünen 2013, als die Ergebnisse der Hochrechnung für die FDP gezeigt wurden. Damals habe ich mir geschworen: Das letzte Bild der Geschichte der FDP, das wird nicht der Jubel der Grünen über unser Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag gewesen sein.
Teamwork
Die gute Ausgangslage für den Bundestagswahlkampf haben wir uns als Mannschaft erarbeitet. Deshalb möchte ich mich ganz herzlich bei Präsidium, Bundesvorstand und den unzähligen, die im Ehrenamt tätig sind, bedanken. Die Zusammenarbeit ist nicht nur vertrauensvoll, sie macht auch echt Freude. Wir sind nicht in jedem Punkt einer Meinung. Wie könnte man das, wir sind die Partei der Meinungsfreiheit, eine Partei von Individualisten. Aber wir haben eben ein Miteinander gefunden, das fair, respektvoll und eben auch mit Freude auszutragen.
Besonders danke ich Wolfgang Kubicki und Graf Lambsdorff, die sich eine enorme Medienpräsenz erarbeitet haben. Alexander Graf Lambsdorff über seine Fachlichkeit. Wolfgang Kubicki, weil er jeden Tag erneut seine Scheu gegenüber Journalisten überwinden kann. Und ich muss danken - auch da bitte ich um Verständnis, dass ich einige wenige vor die Klammer ziehe – Nicola Beer, Hermann Otto Solms und Marco Buschmann, die im engsten organisatorischen Umfeld die Partei führen. Ganz herzlichen Dank für diesen großartigen Einsatz.
Ich habe eine herzliche Bitte: Lasst uns die gute Zusammenarbeit einfach so fortsetzen. Meinungsverschiedenheiten ja - aber niemals dürfen Eitelkeiten die Zusammenarbeit bestimmen, niemals darf der Respekt voreinander in Frage gestellt werden. Und wenn wieder Angriffe von außen kommen – und sie werden kommen - dann muss das gelten, was ich bereits im Dezember 2013 empfohlen habe: Wer einen von uns angreift, bekommt es mit der ganzen FDP zu tun.
Zukunftsaufgaben
Wir wählen gleich Präsidium und Bundesvorstand neu. Nicht nur bis zur Bundestagswahl, sondern für zwei Jahre. Deshalb will ich den Blick nach vorne richten. Unser großes Ziel ist der Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag, um dort Politik zu gestalten. Aber mit diesem Ziel ist die Erneuerung der Freien Demokraten nicht abgeschlossen. Sie muss und sie wird weitergehen. Und da sehe ich vier Aufgaben für uns:
Erstens lese und höre ich öfter, die FDP sei eine One-Man-Show. Das stimmt nicht – und wäre es eine bewusste Taktik, so wäre sie falsch. Wir sind eine vielfältige Partei mit vielen starken Persönlichkeiten: Frauen und Männer, unterschiedlichen Temperaments und aus allen Generationen von den 20ern - hier vorne ist Burkhard Hirsch - bis in die 80er.
Es sind aber die Regeln der Mediengesellschaft, dass von einer außerparlamentarischen Opposition eben dann doch nur einige Köpfe durchdringen. Diese Mechanismen, die so sind wie sie sind, können wir gegenwärtig nicht ändern. Also möchte und werde ich nach der Bundestagswahl alles dafür tun, dass wir in der öffentlichen Wahrnehmung wider breiter aufgestellt sind, so wie es der Vielfalt dieser Partei entspricht.
Wieso aber eigentlich erst nach der Bundestagswahl? Wisst ihr was: Ich habe jetzt schon - aus Fürsorge für die Berichterstatter, deren Zeitungen am Montag wegen des Feiertages nicht erscheinen - so viele Themen angesprochen, die ich eigentlich morgen erst ansprechen wollte. Deshalb: Ich werde morgen nicht noch eine Rede halten, sondern ich werde morgen Nicola Beer das Feld überlassen und vor allem den Debatten dieses Parteitages über unser Programm.
Zweitens geht es um die programmatische Vertiefung. Wir haben uns ein neues Profil und neue Themen erarbeitet. Auf unserem Parteitag 2015 haben wir ein Leitbild beschlossen, 2016 ein umfassendes Papier zur Digitalisierung und auf diesem Parteitag das Wahlprogramm. Obwohl wir nicht über die professionellen Stäbe einer Bundestagsfraktion verfügen, haben wir unsere konzeptionelle Substanz erhalten und unsere Programmatik aktualisiert. Vielen Dank an die hunderten und tausenden Mitglieder, die ehrenamtlich vor Ort, in Fachausschüssen und als Delegierte mitgewirkt haben – das war eine großartige Leistung! Vielen Dank an alle Ehrenamtler.
Drittens wollen wir die Modernisierung unserer Parteiorganisation fortsetzen. Seit 2015 ist jeder Wahlkampf der FDP ein Wahlkampf der gesamten Partei. Wir führen unsere Kampagnen gemeinsam und koordiniert – das gab es vorher noch nie. Das hat sich gewährt. Und deshalb sollten wir daran festhalten. Wir hatten einen zeitlich begrenzten Investitionsfonds der Kreisverbände gebildet. Das war eine Art Solidaritätszuschlag. Der Unterschied zwischen uns und der Bundesregierung ist: Wir stehen zu unserem Wort und der Soli läuft dann aus, wenn beschlossen ist das er ausläuft. Genauso werden wir es machen! Im kommenden Jahr werden stattdessen beraten, wie wir unsere gesamte Finanzorganisation modernisieren und miteinander die Kooperation stärken.
Viertens wollen wir uns ab sofort aktiv für die Verankerung der FDP im Osten Deutschlands kümmern. Nur in Berlin sind wir derzeit parlamentarisch vertreten. Frank Sitta hat um Haaresbreite in Sachsen-Anhalt den Einzug in den Landtag verpasst.
Wie keine andere Partei hat die FDP in jeder Phase unserer Geschichte an der Deutschen Einheit festgehalten. Sie war das politische Lebenswerk von Hans-Dietrich Genschers, zu dessen Ehren wir unsere Parteizentrale in diesem Jahr umbenannt haben. Die Freien Demokraten waren und sind eine gesamtdeutsche Partei. Diesen Anspruch wollen wir wieder mit politischen Erfolgen im Osten unseres Landes untermauern.
Übrigens kandidiert Frank Sitta heute für das Präsidium – und ich wünsche ihm ein tolles Ergebnis. Zugleich danke ich Holger Zastrow. Er kam 2013 – sagen wir es offen - als Skeptiker ins Präsidium. Er hat sich kollegial eingebracht und sich voll hinter den gemeinsam erarbeiteten Kurs gestellt. Das war nicht nur souverän, sondern ist der beste Beleg für die neue Gemeinsamkeit der FDP. Herzlichen Dank!
Eigenständigkeit
Der Schlussgedanke: Die Umfragen für die Freien Demokraten sind ermutigend. Aber wer glaubt noch wirklich an Demoskopie? Was mich motiviert, was mich viel mehr motiviert, das sind unsere Veranstaltungen. Oft genug reichen in diesem Wahlkampf die Räume nicht aus und die Leute müssen stehen. Früher mussten wir uns nach mancher Wahl daran gewöhnen, keine Sitze zu haben. Aber vor einer Wahl keine Sitzplätze – das ist ein völlig neues FDP-Gefühl.
Das motiviert. Uns motivieren vor allem aber auch die vielen Menschen, die bei uns Partei für die Freiheit ergreifen. Seit vielen Jahren und bis in das letzte Jahr hinein, hat die FDP Mitglieder verloren. Der Trend hat sich im vergangenen Jahr umgekehrt. Von unter 53.000 sind wir wieder auf über 56.000 Mitglieder gewachsen. Allein in diesem Jahr haben sich uns 3.571 Freie Demokraten neu angeschlossen. Wenn so viele Menschen zu uns kommen, dann stärkt das nicht nur unsere Organisation – das bestärkt uns, dass unser politischer Kurs richtig ist!
Wenn so viele Menschen zu uns kommen, dann bestärkt das nicht nur unsere Organisation. Das bestärkt uns auch in unserem politischen Kurs. Diese Menschen kommen nicht zu uns, weil sie etwas werden wollen. So viele Karrieren hat die FDP nun nicht anzubieten. Diese Menschen kommen zu uns, weil sie bereits etwas sind: nämlich Persönlichkeiten, die ihre Freiheit lieben, die zur Verantwortung bereit sind, die ungeduldig darauf warten, dass sich in unserem Land wieder etwas bewegt.
Diese Menschen kommen nicht zu uns, weil sie uns als Beiboot und Mehrheitsbeschaffer einer anderen Partei sehen. Diese Menschen teilen unser Lebensgefühl und diese Menschen begeistern sich für unsere Projekte. Und deshalb werden wir unsere Neumitglieder nicht enttäuschen: In die Wahlen dieses Jahres gehen wir ohne Koalitionsaussage, weil wir für unsere Eigenständigkeit werben und nicht für irgendeine andere Partei.
Ich bin im Prinzip – bis auf einige Konstellationen - auch dagegen alles Mögliche auszuschließen. Selbst wenn manche Koalitionen bloß aus der Sache heraus unwahrscheinlich sind, warum muss man sie formal ausschließen? Ich sage Ihnen, warum: Allein schon deshalb nicht, damit die Volker Kauders dieser Welt nicht nach einer Wahl erklären können, die FDP sei ja nur gewählt worden wegen irgendwelcher Leihstimmen der Wähler der CDU. Wer eine andere Lieblingspartei als die FDP hat, der kann diese ja wählen. Wer aber Soziale Marktwirtschaft, Bürgerrechte und Toleranz wählen will, für den ist jede Stimme an eine andere Partei eine verlorene Stimme.
Deshalb beteiligen wir uns am besten gar nicht an irgendwelchen Koalitionsspekulationen. Manche haben uns lange bekämpft oder für unberührbar gehalten. Dann waren wir eine stinkende Leiche nach der Bundestagswahl. Jetzt gibt es die Chance auf ein Comeback. Und diese Chance auf ein Comeback werden wir nicht verspielen, indem wir uns zum nützlichen Idioten für beliebige Mehrheiten machen lassen.
Es ist allerdings Zeit, einmal mit einem Missverständnis aufzuräumen. Ich höre und lese oft, das Verhältnis zur Union sei zerrüttet und die FDP sinne auf Rache wegen der Niederlage von 2013. Das ist Unsinn. Wir sind die Partei der Eigenverantwortung. Wir machen niemanden anderes für unsere Niederlagen verantwortlich als uns selbst – das ist eine Frage der Selbstachtung! Aber wir ziehen auch die richtigen Schlüsse aus unserer Niederlage: Wenn man die Richtung der Politik verändern kann, dann ist es eine Frage der Verantwortung, dass man in eine Regierung eintritt. Wenn man die Richtung der Politik nicht verändern kann, dann ist es eine Frage der Verantwortung, dass man in die Opposition geht.
Unser Land leidet gegenwärtig an zweierlei: Unser Land leidet an einer ambitionslosen Regierung. Unser Land leidet aber genauso unter einer linksgrünen Opposition, die so spannend wie eingeschlafene Füße war. Und eines von beiden werden wir dieses Jahr verändern. Und deshalb beschließen wir an diesem Wochenende Projekte, mit denen wir Deutschland freier, flexibler, fairer, digitaler, moderner und weltoffener machen wollen. diese Agenda 2030 ist unser eigenes, unabhängiges Angebot an die ungeduldige Mitte.
Und damit sind wir ein klarer Kontrast, sowohl zur SPD als auch zur Union. Martin Schulz will in Wahrheit altlinke Politik machen. Was die Sozialdemokraten sagen, das klingt nicht mehr nach Gerhard Schröder oder Wolfgang Clement – das ist Agenda 1995.
Da steht uns die CDU vielleicht tatsächlich in der Wirtschaft und in der Finanzpolitik noch ein Stück näher – denn Frau Merkel will immerhin: nichts. Anders kann man sich ja nicht erklären, dass sie ausgerechnet den Chef des Bundeskanzleramts zum Autor des Wahlprogramms einer Partei macht. Ich glaube die CDU, die hätte bis heute immer noch kein Wahlprogramm, wenn nicht unser Parteiengesetz vorschreiben würde, dass Parteien Wahlprogramme vorlegen müssen. Frau Merkel ist die Verwalterin der Agenda 2010 ihres Vorgängers. In einer Zeit des Wandels ist das „Weiter so“ von Frau Merkel genauso gefährlich wie das Zurück von Herrn Schulz.
Viele Menschen haben die die Politik des Auf-der-Stelle-Tretens in Deutschland genauso satt wie wir. Und diesen Menschen sagen wir: Ihr könnt Großartiges leisten – und WIR wollen Euch wieder machen lassen!