11.08.2014FDPInnen

LINDNER: Prioritäten in der Innenpolitik neu ordnen

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab dem „Focus“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Daniel Goffart und Olaf Opitz:

Frage: Herr Lindner, geht es den Deutschen zu gut?

LINDNER: Noch. Die große Koalition macht jedenfalls Politik wie in einer Happy Hour, obwohl die Konjunktur schon wieder nachlässt. Union und SPD verteilen aber lieber munter Geld, als gäbe es kein morgen. Deshalb haben wir trotz Rekordeinnahmen Defizite bei der Bildung und Verkehrswegen. Und selbst Kernaufgaben wie Sicherheit leistet der Staat nicht mehr.

Frage: Zum Beispiel?

LINDNER: Bei mir melden sich viele Bürger, die durch Einbruchserien in ihrer Nachbarschaft verunsichert sind. Und das kann ich verstehen. Das Diebesgut kann man dann bei eBay im Internet sehen, die Polizei heftet die Anzeige aber nur ab. Bei manchen Delikten liegt die Aufklärungsquote im einstelligen Bereich. Das ist kein funktionierender Rechtsstaat, wie ich ihn fordere.

Frage: Arbeitet die Polizei zu lasch?

LINDNER: Nein, ich bin mit der Kölner Polizei eine ganze Nacht auf Streife gewesen. Die Beamten tun alles, was ihnen möglich ist. Die Strukturen und Prioritäten in der Innenpolitik stimmen aber vielerorts nicht. Es gibt zu viel Bürokratie. Demnächst soll die Polizei sicher noch die Dobrindt-Maut kontrollieren. Der Staat untergräbt seine Akzeptanz, wenn er Recht und Gesetze nicht durchsetzt.

Frage: Plädieren Liberale nicht eher für einen Nachtwächterstaat, der sich so wenig wie möglich einmischt?

LINDNER: Ich bin ein Anhänger des Nachtwächterstaats – wenn wir darunter verstehen, dass der Staat nachts wacht, damit die Bürger in Ruhe schlafen können. Die Gewährleistung von Sicherheit ist staatliche Kernaufgabe. Die große Koalition versteht unter Sicherheit allerdings eher die Bespitzelung unbescholtener Bürger. Ich bin für einen Richtungswechsel: Statt permanent neue Grundrechtseingriffe zu fordern, sollten die Innenminister bestehende Gesetze anwenden und durchsetzen.

Frage: Will der FDP-Vorsitzende jetzt mehr Law-and-Order-Politik?

LINDNER: Ich plädiere für einen liberalen Rechtsstaat. Der darf nicht alles, weil er die Freiheit der Bürger achtet. Aber dort, wo es Gesetze gibt, müssen diese durchgesetzt werden. Vielleicht hat die FDP in der Vergangenheit einen falschen Eindruck vermittelt. Deshalb in aller Deutlichkeit: Der Einsatz für Bürgerrechte ist keine Nachsicht gegenüber Kriminellen. Wir wehren uns gegen pausenlos neue Grundrechtseingriffe, aber wollen funktionierende Sicherheitsbehörden. Ich war fassungslos, als ich im Zuge der Ermittlungen gegen Bushido Berliner Staatsanwälte in laufende Kameras sagen hörte, dass sie in bestimmten Kiezen nicht ermittelten, weil sie Angst haben müssten, selbst Opfer von Gewalt zu werden. Warum werden solche rechtsfreien Räume toleriert?

Frage: Weil es in allen Bundesländern viel zu wenig Polizisten gibt?

LINDNER: Wir sollten uns Aufgaben und Strukturen genauer anschauen. In NRW verprasst der Innenminister tausende Dienststunden für einen auch noch öffentlich angekündigten Blitzer-Marathon. Auf dem Land explodiert zugleich die Zahl der Wohnungseinbrüche. Die Polizei sollte sich auf den Kern ihrer Arbeit konzentrieren können: Verbrechensbekämpfung statt PR-Aktionen für den Innenminister.

Frage: Welche Bedrohung sehen Sie?

LINDNER: Radikale Islamisten, wie die Salafisten, haben wir zu lange unterschätzt. Wenn junge Leute von Radikalen umgedreht werden, wenn sie als Gotteskrieger nach Syrien oder in den Irak ausreisen, dürfen wir nicht tatenlos zusehen. Hier hat die Polizei bislang kaum eine Handhabe. Das müssen wir ändern, etwa durch Veranstaltungsverbote oder indem gefährlichen Personen die Ausreise untersagt wird.

Frage: Ist die Polizei in solchen Fällen nicht ebenso hilflos wie bei der Verfolgung von Antisemitismus?

 

LINDNER: Wenn antisemitische Parolen gebrüllt werden, dann hat das mit Demonstrationsfreiheit nichts zu tun. Das ist das der Tatbestand der Volksverhetzung. Wer da wegschaut, ist vielleicht morgen selbst ein Opfer von Ressentiments. Es hat sich aber gezeigt, dass den Beamten im Einsatz Handlungssicherheit gefehlt hat. Hier sollten die Innenminister oder Polizeipräsidenten Listen von Parolen anlegen, bei denen eingegriffen wird.

Frage: Google hat jetzt eine Software entwickelt, die bei Kunden Kinderpornographie erkennt. Wird der Internet-Gigant zum Hilfs-Sheriff?

LINDNER: Kinderpornographie gehört mit aller Härte bekämpft. Die Frage ist aber, was Google sonst noch so alles mitliest und kontrolliert. Ermittlungen sollten deshalb vom Staat und nicht von einem privatwirtschaftlichen Hilfs-Sheriff erfolgen. Der Staat ist unseren Grundrechten verpflichtet, ein Konzern am Ende nur seinem Profit.

Frage: Die Polizei wendet auch viele Stunden auf, um Fußballspiele zu schützen. Soll sich die Bundesliga an den Kosten der Einsätze beteiligen?

LINDNER: Die Sicherung von Großveranstaltungen ist eine staatliche Aufgabe. Wer will die Verantwortung übernehmen, wenn es zu Gefahren kommt, nur weil nicht genügend Polizisten vor Ort waren?

Frage: Nicht alle Steuerzahler sind Fußball-Fans...

 

LINDNER: Jeder, der eine solche Veranstaltung besucht, hat ein Recht auf Sicherheit. Wir schützen Autorennen, obwohl es auch Radfahrer gibt, oder Demonstrationen, deren Anliegen wir nicht teilen.

Frage: Keine Kostenbeteiligung der Liga?

LINDNER: Ihre Ordner müssen die Fußballvereine selbst bezahlen, das ist keine Aufgabe für die Polizei. Im Übrigen ist Fußball ein Wirtschaftsfaktor. Die großen Vereine zahlen rund 1,5 Milliarden Euro an Steuern. Sie leisten längst einen großen Beitrag zur Finanzierung der Sicherheit ihrer Spiele.

Frage: Bernie Ecclestone hat sich in seinem Korruptionsprozess für 100 Millionen Dollar freigekauft. Finden Sie das in Ordnung?

LINDNER: Das ganze Verfahren hat den Eindruck erweckt, Herr Ecclestone habe sich freikaufen können und sogar noch den Preis verhandelt. Die Einstellung von Verfahren unter Auflagen ist zwar üblich. Aber die Summe und die Umstände erinnern in der Tat an eine amerikanische Anwaltsserie.

 

 

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