28.08.2017FDPFDP

LINDNER-Interview: Wir werben für neues Denken und mehr Tatkraft

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Rheinischen Post“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Birgit Marschall und Gregor Mayntz:

Frage: In NRW waren Sie gegen die Ampel aus SPD, FDP und Grünen, in Mainz haben Sie sie gemacht – was gilt für den Bund?

Lindner: Das gleiche wie vor allen Wahlen: Die Freien Demokraten sind eigenständig. Wir werben für neues Denken und mehr Tatkraft, damit unser Land stark bleibt. Wir wollen eine vernünftige Politik für die Mitte machen, die sonst kaum mehr vorkommt. Nach Wahlen schauen wir, ob und mit wem wir etwas umsetzen können.

Frage: Sind Sie dann von der Ampel genau so weit entfernt wie von einer Jamaika-Koalition mit Union und Grünen?

Lindner: Für beides fehlt mir die Fantasie. Klar ist, die CDU steht uns in der Sache am nächsten. Aber die Distanz ist zur Merkel-CDU in letzter Zeit durch die Euro-Politik, das Flüchtlingschaos und den Bürokratismus gewachsen. Die Union steht für „Weiter so“. Immerhin besser als das „Zurück“ von Martin Schulz.

Frage: Stünden Sie bereit, wenn Herr Schulz mit Ihnen über eine Ampel reden wollte?

Lindner: Eine theoretische Frage, denn praktisch geht der Regierungsauftrag wohl an Frau Merkel. Das Spannendste an der Wahl ist das Rennen um Platz drei. Da werden mögliche Konstellationen geklärt und da wird die Frage beantwortet, wer die Opposition gegen eine neue Koalition anführen wird. Die große Koalition ist das wahrscheinlichste Modell.

Frage: Sie treffen regelmäßig die Kanzlerin – auch schon mal Herrn Schulz?

Lindner: Ich kenne Herrn Schulz. Auch wenn ich Frau Merkel regelmäßig spreche, ist das keine Koalitionsaussage. Wir bleiben eigenständig. Selbst eine schwarz-gelbe Mehrheit wäre keinen Automatismus für eine solche Regierung. Das muss jeder wissen, Leihstimmen wollen wir nicht. Wir sind andererseits nicht übergeschnappt und wissen daher, dass man Kompromisse machen muss. Ausschlaggebend ist, ob wir eine liberale Handschrift zeigen können. In NRW ist das gelungen.

Frage: Was würden Sie denn 2017 anders machen als 2009?

Lindner: Die FDP hat sich verändert. Wir sind thematisch breiter aufgestellt, weil Bildung, Digitalisierung und liberale Sicherheitspolitik unsere Wirtschaftskompetenz ergänzen. In NRW haben wir bewiesen, dass wir nach der Wahl dann die Ministerien anstreben, mit denen wir unsere Agenda umsetzen können.

Frage: Das heißt, Sie werden dieses Mal das Finanzministerium für die FDP beanspruchen?

Lindner: Im Jahr 2009 hätte wird das machen sollen. Ihre Frage vor dieser Wahl zu beantworten, wäre aber eine Respektlosigkeit gegenüber den Wählern. Wir sind noch nicht im Bundestag, erst Recht ist nicht klar, ob es überhaupt entsprechende Mehrheiten für Koalitionsgespräche geben wird.

Frage: 2009 kritisierte die Union die mangelnde Regierungserfahrung der FDP, das dürfte jetzt noch krasser sein.

Lindner: Regierungserfahrung ist oft nur ein Tarnwort dafür, ausgetretene Pfade nicht verlassen zu wollen. Ich sehe es genau anders. Die FDP bringt Praktiker aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur in politische Verantwortung. Der Politik tut das gut. Die Liberalen wollen es zu ihrem Markenzeichen machen, frische Köpfe in die Politik zu holen.

Frage: Macht denn aus FDP-Sicht Wolfgang Schäuble einen guten Job als Finanzminister?

Lindner: Wir haben Respekt vor Wolfgang Schäuble als Persönlichkeit und vor seiner bisherigen Lebensleistung. Aber seine Popularität verdankt sich insbesondere dem Totalausfall der parlamentarischen Opposition von Grünen und Linken, die die Defizite der Finanzpolitik nicht benennen konnten.

Frage: Nämlich?

Lindner: In Boom-Jahren eine schwarze Null bei der Neuverschuldung zu erzielen, das ist keine Kunst. Es hat null steuerliche Entlastung gegeben, obwohl das gerade jetzt möglich und nötig gewesen wäre. Das Geld wurde stattdessen wie Kamelle unter die Leute geworfen. Wir haben keinerlei Reformehrgeiz bei der Modernisierung des Steuersystems. Dann der Weg in die Transferunion beim Euro, weil Griechenland trotz mangelnder Reformen und ohne den Währungsfonds weiter finanziert wird.

Frage: Ist ein Parteichef wirkungsvoller als Fraktionsvorsitzender oder als Bundesminister?

Lindner: Der Bär, dessen Fell Sie hier verteilen wollen, ist noch putzmunter.

Frage: Bei Jamaika im Bund hätten Sie wohl Probleme mit den Grünen, wenn Sie wie in NRW die ökologische Energiewende ausbremsen.

Lindner: Jamaika ist vor allem unwahrscheinlich, weil die Grünen in der Flüchtlingspolitik noch im Jahr 2015 stehengeblieben sind und sich beispielsweise für schnellere Abschiebungen der Benennung sicherer Herkunftsländer verweigern. In der Energiepolitik erreichen wir die ökologischen Ziele günstiger, weil wir grüne Subventionen und Planwirtschaft durch die Kreativität von Ingenieuren und Ideenwettbewerb ersetzen wollen.

Frage: Kiels Jamaika-Chef Daniel Günther hält Schwarz-Gelb-Grün für ein spannendes Zukunftsprojekt für Ökonomie und Ökologie – hat er Recht?

Lindner: Koalitionen sollten man pragmatisch sehen und nicht philosophisch überfrachten. Ökologie und Ökonomie stellt auch ohne die Grünen niemand mehr gegeneinander. Ich nehme für die FDP jedenfalls in Anspruch, dass wir das gleiche Verantwortungsgefühl für die Natur haben wie die Grünen. Wir wollen Ziele nur auf Wegen erreichen, die das physikalisch Mögliche und wirtschaftlich Vernünftige berücksichtigen.

Frage: Was müsste denn unbedingt in einem Koalitionsvertrag mit FDP-Beteiligung stehen?

Lindner: Wir werden vor der Wahl noch zehn Koalitionsprüfsteine beschließen. Aber klar ist, dass wir einen Bildungssprung, eine Trendwende bei Steuern und Sozialabgaben, eine andere Einwanderungspolitik, eine rationale Energiepolitik und einen Sozialstaat wollen, der flexibel und auch gegenüber den Enkeln gerecht ist.

Frage: Wer hat versagt in der Dieselaffäre: Der Staat oder die Autokonzerne?

Lindner: Beide. Gerade im Automobilbereich sind Politik und Konzerne so eng verflochten, wie man das sonst nur aus dem Finanzsektor kennt. Wir müssen Staat und Wirtschaft generell entflechten, damit der Staat wieder wirksamer Schiedsrichter sein kann...

Frage: Heißt das, Niedersachsen sollte als VW-Anteilseigner aussteigen?

Lindner: Ja, sicher. Aber damit Sie mich richtig verstehen: Ich halte die aktuelle Dieseldebatte für hysterisch. Es war notwendig, dass die Abgasmanipulationen aufgedeckt worden sind. Aber daraus hat sich eine Hexenjagd gegen diese Technologie und die gesamte Autobranche entwickelt.

Frage: Übertreiben Sie nicht?

Lindner: Nein. Ich fordere mehr Verhältnismäßigkeit. Wenn die Umweltministerin Hendricks sagt, nur neuste Motoren der Abgasnorm 6 D seien vor Fahrverboten sicher, zeigt das die Hysterie, denn diese Autos sind noch gar nicht im Handel. So macht man Industrien kaputt. Ich habe den Verdacht, dass die Deutsche Umwelthilfe nicht nur den Gesundheitsschutz im Blick haben könnte, sondern auch harte wirtschaftliche Interessen. Schließlich finden sich unter ihren Sponsoren Autohersteller, die keine Dieseltechnologie besitzen.

Frage: Sie meinen damit, die Umwelthilfe sei von Toyota gekauft worden?

Lindner: Die Bürgerinnen und Bürger sollten jedenfalls wissen, dass es sich um eine Organisation handelt, die von unterschiedlichen Motiven und Interessen geleitet wird.

Frage: Aber viele Dieselfahrzeuge überschreiten auf der Straße nun mal die EU-Grenzwerte für Stickoxid...

Lindner: Nein, es geht um die Luftreinheit in der Innenstadt. Und da gibt es zur Qualitätsverbesserung viele Hebel, die man ziehen kann, um Fahrverbote zu verhindern. Klar ist, die Autohersteller müssen die Fahrzeuge nicht nur mit Software, sondern nötigenfalls auch mit einer Motoren-Umrüstung in den Zustand versetzen, den die Kunden geglaubt haben zu kaufen. Der Steuerzahler darf dafür nicht in Anspruch genommen werden. Bekommen eben die Aktionäre weniger Dividende. Wir müssen aber eine Debatte darüber führen, ob die jetzigen EU-Grenzwerte wirklich verhältnismäßig sind.

Frage: Heißt das, Berlin soll sich in Brüssel dafür einsetzen, die geltenden Abgas-Grenzwerte aufzuweichen?

Lindner: Es geht um die Grenzwerte für die Luft in den Innenstädten. Die ist viel sauberer geworden. Wer im Büro arbeitet, darf dauerhaft sehr viel mehr Stickoxid einatmen, als auf der Straße für einen kurzen Moment erlaubt ist. Das zeigt, dass solche Grenzwerte keine Religion und keine Wahrheit sind, sondern politische Entscheidungen. Mit Medizinern und Ingenieuren sollte daher geklärt werden, ob die Grenzwerte nicht auch langsamer erreicht werden können als sofort.

Frage: Hat Sie Gerhard Schröder eigentlich nach Ihrer Äußerung zur Krim als „dauerhaftes Provisorium“ angerufen und gelobt?

Lindner: Nein. An meiner Position halte ich fest. Die Annexion der Krim war ein Völkerrechtsbruch, den wir nicht akzeptieren. Wenn man aber eine Eskalations- und Aufrüstungsspirale mit Russland verhindern will, dann muss man an anderen Stellen den Dialog intensivieren, um die schwierigsten Konflikte später zu lösen. In der Debatte ist viel Heuchelei im Spiel, gerade bei den Grünen. Der EU-Beitrittsprozess mit der Türkei muss beendet werden. Er ist damals aber begonnen worden, obwohl die Türkei Nordzypern völkerrechtswidrig besetzt hat. Der Konflikt wurde eingefroren. Wo war der grüne Aufschrei, als sie in der Regierung waren?

Frage: Wollen Sie damit die FDP als liberale Alternative für Deutschland aufstellen?

Lindner: Wieso? Mein Vorschlag entspricht der Tradition der deutschen Entspannungspolitik, Härte mit Dialogbereitschaft und Werte mit Realismus zu verbinden. Hans-Dietrich Genscher hat sich schon 2015 so geäußert. Wir sind das Gegenteil der AfD. Die wollen unser Land isolieren. Die FDP sieht Deutschland als Teil des Westens, der transatlantischen Partnerschaft und der EU.

Frage: Oder denken Sie an die vielen Russland-Deutschen, die FDP wählen sollen?

Lindner: Bei aller Dialogbereitschaft muss jeder wissen, dass wir eine Fortsetzung der aggressiven und autoritären Politik aus dem Kreml nicht akzeptieren. Entweder also gibt es eine andere Politik aus Moskau, dann sollte man Zug um Zug Sanktionen abbauen. Wenn es aber keine Veränderung nach einer Dialoginitiative gibt, dann muss man wirklich konsequent sein und auch Projekte wie die Pipeline Nord Stream 2 absagen. Das Problem scheint mir, dass die bisherige Russlandpolitik weder wirklich dialogoffen noch wirklich konsequent ist.

Frage: 46 Prozent der Wähler sind noch unentschieden. Beeinflusst das Ihre Strategie?

Lindner: Nein, wir kommen aus der außerparlamentarischen Opposition. Das war ein rauer Weg. Eines haben wir gelernt: Wir sagen nur noch das, wovon wir überzeugt sind. Wir wenden uns an Individualisten, die ihr eigenes Urteil bilden.

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