21.09.2019FDPFDP

LINDNER-Interview: Wir sind zu gar nichts gezwungen

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Thüringer Allgemeinen“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Martin Debes.

Frage: Herr Lindner, die FDP steht in Thüringen bei 4 bis 5 Prozent. Dort stand sie vor den Wahlen in Sachsen und Brandenburg auch – und scheiterte. Ist das nicht ein schlechtes Omen?

Lindner: In Sachsen und Brandenburg war zuletzt eine sehr starke taktische Wählerbewegung hin zu CDU und SPD zu beobachten, die ja dort den Ministerpräsidenten stellen - um zu verhindern, dass die AfD stärkste Kraft wird. In Thüringen sehe ich diese Lage so nicht.

Frage: Wirklich nicht? Die Linke unter Regierungschef Ramelow baut trotz schwachen Bundestrends ihren Spitzenplatz aus, auch die AfD gewinnt hinzu.

Lindner: Aber kein liberaler Wähler wird zur Linkspartei abwandern, um die AfD zu verhindern. Der Weg ist zu weit.

Frage: Der ostdeutsche Wähler ist flexibel. Er wandert auch von der Linken zur AfD.

Lindner: Das ist etwas ganz anderes, zwischen diesen Parteien gibt es Parallelitäten, über die beide nicht gerne sprechen. Aber mein Thema ist die FDP, die in Thüringen einen organisatorisch starken Landesverband hat, mit Thomas Kemmerich als sehr profilierten Kandidaten an der Spitze. Wir sind die einzige Kraft, die aus der bürgerlichen Mitte heraus Politik macht, während die CDU verwechselbar mit Grünen und SPD geworden ist.

Frage: Herr Kemmerich bemüht gerne das Funktionsargument: Kommt die FDP in den Landtag, ist eine rot-rot-grüne Mehrheit schon rechnerisch kaum mehr möglich.

Lindner: Das beste Mittel, um Rot-Rot-Grün abzulösen, ist tatsächlich die Wahl der FDP. Trotzdem gilt: Wir sind eigenständige politische Kraft, die den einzelnen Menschen ins Zentrum stellt. Wir wollen ihn vor finanziellen und bürokratischen Lasten, vor Spitzelangriffen und Bevormundung durch den Staat schützen. Wir geben auch den Menschen eine Stimme, die sich in diesem Land nicht mehr repräsentiert fühlen.

Frage: Aber reklamiert das nicht die AfD für sich?

Lindner: Nein. Weil sie nicht für die Mitte spricht. Ich treffe viele Menschen, die sagen: Natürlich sind wir ein weltoffenes Land, natürlich brauchen wir Zuwanderung von Fachkräften. Aber es muss eine Steuerung und Kontrolle der Migration geben. Und wir müssen eine fordernde Integrationspolitik betreiben. Wer zu uns kommt, hat nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten.

Frage: Das ist doch ein Allgemeinplatz der CDU...

Lindner: ...der keine Konsequenzen hat. Die CDU hat seit 2015 den Kontrollverlust und das staatliche Organisationsversagen zu verantworten. Bis heute sehe ich nicht, dass wir eine Einwanderungspolitik bekommen, die Weltoffenheit und konsequente Kontrolle miteinander verbindet.

Frage: Wenn also CSU-Bundesinnenminister Seehofer sagt, Deutschland solle dauerhaft ein Viertel der im Mittelmeer aus Seenot geretteten Flüchtlinge aufnehmen...

Lindner: ...dann ist das eine für uns unvertretbare Position. Kein anderes Land in Europa betreibt eine derart unverantwortliche Migrationspolitik wie wir. Die Franzosen weisen Flüchtlinge an der italienischen Grenze zurück, wir dagegen wenden immer noch nicht die Dublin-Regeln an, die ja klar besagen, dass Flüchtlinge in dem EU-Land ihren Antrag stellen müssen, in dem sie ankommen.

Frage: Aber wo sollen denn die geretteten Flüchtlinge hin, wenn sie niemand aufnehmen will?

Lindner: Zurück nach Afrika, wo die UN mit finanzieller Hilfe aus Europa sichere Aufnahmeeinrichtungen schaffen muss, in denen die Menschen dann ihre Asylanträge stellen können. Die einzige humane und vernünftige Lösung ist eine staatlich organisierte Seenotrettung, verbunden mit der klaren Botschaft, dass Schlepperei kein Transitweg nach Europa ist. Wenn wir hingegen die Migranten einfach aufnehmen, ist das ja förmlich eine Einladung.

Frage: Sie wissen aber schon, dass dieser sogenannte Pull-Faktor nicht belegt ist?

Lindner: Es gibt da viele unterschiedliche Zahlen und Studien. Unsere politische Position ist klar: Wir sind die einzige Partei, die für Sicherheit und Kontrolle, aber auch für individuelle und wirtschaftliche Freiheit steht, in allen Bereichen. Deshalb fordert die FDP zum Beispiel in Thüringen, die Grunderwerbssteuer zu senken, um mehr Wohneigentum zu ermöglichen. Und deshalb setzen wir beim Klimaschutz nicht auf Verbote, sondern auf Innovation und Technologie. Das ist gerade für Thüringen wichtig, das durch seine Zulieferbetriebe und das Opel-Werk an der Automobilindustrie hängt. Die einseitige Konzentration auf Batterieantriebe und das Ausblenden von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen als klimaneutrale Alternativen kann viele tausend Arbeitsplätze im Land kosten.

Frage: Sind Sie sich da sicher? Aktuell errichtet ein chinesischer Konzern in Thüringen für 1,8 Milliarden Euro ein Batteriewerk mit potenziell 2000 Beschäftigten.

Lindner: Trotzdem dürfen wir die klassische Zulieferindustrie nicht vergessen, in der deutlich mehr Menschen arbeiten. Ich bleibe dabei: Wer allein auf Elektroantrieb setzt, schadet dem Standort Thüringen.

Frage: Okay. Wenn die FDP in Thüringen mitregieren will, muss sie das nach Lage der Dinge mit CDU, SPD und Grünen tun – und wird wenig von dem, was sie fordern, durchsetzen können. Was dann?

Lindner: Wir sind zu gar nichts gezwungen. Wir übernehmen dann Regierungsverantwortung, wenn wir sehen, dass eine faire Zusammenarbeit möglich ist. Das war in Schleswig-Holstein der Fall, wo wir sehr erfolgreich mit CDU und Grünen koalieren. Und das war bei den Vorgesprächen über eine neue Bundesregierung vor zwei Jahren nicht der Fall, weil die CDU unter Angela Merkel inhaltlich allein auf die Grünen zugegangen ist und kaum auf uns. Kompromisse sind nötig, aber sie dürfen nicht einseitig sein.

Frage: Dass die althergebrachten Mehrheiten oft nicht mehr funktionieren und Sie gegebenenfalls mit den Grünen regieren müssen, hat ja vor allem mit dem Aufstieg der AfD zu tun. Glauben Sie, dass diese Partei irgendwann auf einen gemäßigteren Kurs zurückfindet – und für die FDP koalitionsfähig wird?

Lindner: Die AfD verfolgte nie einen gemäßigten Kurs, selbst wenn sie sich in den vergangenen Jahren noch weiter radikalisiert hat: Bereits unter Bernd Lucke gab es völkische Aussagen, wurde mit Ressentiments und Rassismus gespielt, auf Kosten von Minderheiten. Wir waren deshalb die erste Partei, die einen Unvereinbarkeitsbeschluss gefasst hat. Trotzdem werben wir um die Menschen, die überlegen, die AfD zu wählen – jedenfalls um die Menschen, die nicht den rassistischen und völkischen Kurs der Partei teilen, sondern die vor allem ihren Protest gegen die Regierungspolitik deutlich machen wollen. Ihnen machen wir ein klares Angebot, mit echten Alternativen – und ohne erhobenen Zeigefinger.

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