LINDNER-Interview: Wir schaffen es nur gemeinsam
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Rheinischen Post“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte THOMAS REISENER:
Frage: Sie sind seit neun Monaten Chef der Bundes-FDP. Was hat sich für die Partei seitdem gebessert?
LINDNER: Wir haben wieder einen politischen Kompass. Ich will die FDP als Adresse für Menschen profilieren, die Lust auf Verantwortung haben und die etwas bewegen wollen. Wir sind das Kontrastmittel zum grassierenden Sozialdemokratismus in Deutschland, der die Menschen demotiviert. Aber es wird noch dauern. Die Bilanz der schwarz-gelben Regierung 2009 bis 2013 war gut, aber gemessen an den Vorhaben waren dennoch viele von der FDP enttäuscht. Themen wie Entlastung und Bildung haben wir vernachlässigt. Und wir haben etwa in der Energiepolitik eine planwirtschaftliche Line mitgetragen, die unseren Prinzipien widerspricht. Unter meiner Führung haben wir deshalb den Kurs korrigiert: Als einzige Partei wollen wir mehr europäischen Wettbewerb und keinerlei Subventionen für Öko-Energie. Solche Korrekturen brauchen Zeit. Vor allem, weil wir uns als Gestaltungspartei verstehen und nicht wie die AfD als Protestpartei. Die Arbeit macht aber wieder Freude, weil wir uns im Präsidium als Team sehen.
Frage: Vor vier Jahren regierte die FDP noch in acht schwarz-gelben Bündnissen. Seit der Wahl in Sachsen nirgendwo mehr. Was ist schiefgegangen?
LINDNER: Wir haben sehr viele Wähler an die CDU verloren. Und Schwarz-Gelb hat insgesamt erheblich an die AfD abgegeben, die zudem Zulauf von der Linken und der NPD hatte. Die AfD-Wähler haben rechts gewählt, bekommen jetzt aber voraussichtlich eine schwarz-rote Koalition und damit einen Linksschwenk – wie schon bei der Bundestagswahl 2013.
Frage: Also haben die Wähler alles falsch gemacht und die FDP alles richtig?
LINDNER: Nein, die Wähler haben immer recht. Die FDP hat in Sachsen gute Regierungsarbeit geleistet: Die Wirtschaft brummt, die Bildung ist Spitze und die Landesfinanzen sind solide. Aber damit haben wir nicht punkten können. Obwohl unsere Freunde mit „Sachsen ist nicht Berlin“ ihre Eigenständigkeit und die Erfolge von Schwarz-Gelb plakatiert haben, stand für viele Menschen offenbar nochmals die FDP des Jahres 2013 zur Wahl.
Frage: Man konnte diesen Slogan auch als Distanzierung von der Bundes-FDP verstehen.
LINDNER: Das hatte viele Facetten. Wir schaffen es aber nur gemeinsam. Ich habe deshalb Holger Zastrow eingeladen, sich auch bundesweit weiter in der FDP zu engagieren. Ich will mehr und neue Köpfe für die FDP. Inhaltlich sind wir sowieso auf einer Linie. Wir kritisieren zum Beispiel beide, dass aus dem Klimaschutz inzwischen eine Religion gemacht wird, um ohne Widerspruch klammheimlich Wirtschaft und Gesellschaft nach linken Blaupausen umzubauen.
Frage: In zwei Wochen wählt Brandenburg. Dort werben die Liberalen mit dem Slogan „Keine Sau braucht die FDP“. Ist das für Sie auch keine Absetzbewegung?
LINDNER: Später wurde das überplakatiert mit „Der Mittelstand braucht die FDP“. Das stimmt zwar, aber mein Stil wäre eine solche Pointe nicht.
Frage: In Hamburg wollen ehemalige FDP-Politiker eine neue liberale Partei gründen. Auch keine Absetzbewegung?
LINDNER: Eine links-liberale Partei wohlgemerkt. Ich bin aber nicht der Meinung, dass wir in Deutschland ein Defizit an linker Politik haben. Die Frage nach Gerechtigkeit wollen wir mit besserer Bildung und der Anerkennung von besonderen Leistungen beantworten. Daher bedaure ich zwar, wenn uns in Hamburg 35 Mitglieder verlassen. Aber ich freue mich, dass die FDP in Deutschland seit Jahresanfang 2265 neue Mitglieder aufgenommen hat.
Frage: Ist die Hamburg-Wahl im nächsten Jahr der Wendepunkt für die FDP?
LINDNER: Ich rufe keine Schicksalswahlen aus, denn jede ist für sich wichtig. Auch die Wahlen in Thüringen und in Brandenburg in 14 Tagen. In Thüringen steht die FDP gegen eine schwarz-rote Landesregierung, die den Mittelstand pauschal des Lohndumpings bezichtigt hat. Und in Brandenburg ist die FDP die einzige Partei, die mit Nachdruck Lehrermangel und die zunehmende Leistungsnivellierung in den Schulen beklagt.
Frage: Wie unterstützen Sie die Landesverbände in Thüringen und Brandenburg bei der Wahl?
LINDNER: Erstens bin ich vor Ort, Dienstag war ich in Brandenburg. Zweitens mit klaren Ansagen: Wäre die FDP noch im Deutschen Bundestag, hätten wir Altschulden getilgt und würden man über eine Dämpfung der Kalten Progression sprechen. Das wurde von der CDU zwei Mal versprochen und zwei Mal nicht gehalten.
Frage: Warum braucht Deutschland noch eine FDP?
LINDNER: Eine Partei muss es geben, die Chancen sieht und Innovation zulässt. Ich denke beispielsweise an den Widerstand gegen das Freihandelsabkommen von Grünen bis AfD, obwohl das eine großartige Chance ist. Nicht nur für unsere Exportwirtschaft und damit unseren Wohlstand, sondern auch für die Setzung von weltweit gültigen Standards. Wenn Kanada, USA und Europa hier nicht kooperieren, dann wird stattdessen China an Einfluss gewinnen. Bei uns dominieren aber eine ängstliche Defensive. Wir sehen in Deutschland gerade, wie sich schleichend das Verhältnis von Bürgern und Staat verschiebt. Die Bevormundungen werden immer unverschämter, der Staat greift immer mehr auf das Leben und das Eigentum der Bürger zu: Wegen der Euro-Krise sind die Zinsen so niedrig, dass die Ersparnisse der Bürger verdunsten. Der Staat profitiert von den niedrigen Zinsen bei seinen Krediten, gibt davon aber nichts an die Bürger zurück. Er enteignet durch die kalte Progression zusätzlich noch die Gehaltserhöhungen. Und trotz der enormen Steuereinnahmen wird zu wenig in Bildung und Infrastruktur investiert. Mit dieser bräsigen Selbstgefälligkeit wird Deutschlands Zukunft verspielt.
Frage: Wie beurteilen Sie den Wechsel des ehemaligen FDP-Entwicklungshilfeministers Dirk Niebel zum Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall?
LINDNER: Das ist seine Privatsache. Er hat keine Rolle mehr in der FDP. Aber dass man solche Stilfragen und Nachrichten aus der Vergangenheit öffentlich diskutieren muss, lenkt von unserer Aufbauarbeit ab. Wir müssen raus aus der Defensive.