30.04.2022FDPAußenpolitik

LINDNER-Interview: Wir lassen uns nicht erpressen

Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesminister der Finanzen, Christian Lindner, gab dem „Mannheimer Morgen“ (Samstagausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Julia Emmrich, Tobias Kisling und Jörg Quoos.

Frage: Herr Lindner, Sie haben gerade eine Corona-Infektion überstanden. Geht es Ihnen wieder gut?

Lindner: Ich hatte einen ganz milden Verlauf. Am ersten Tag fühlte es sich an wie ein Anflug von Erkältung. Das Videobild beim Parteitag hat bei vielen Sorgen ausgelöst. Ich sah allerdings bloß so aus, wie man aussieht, wenn man morgens um sechs ungeschminkt in den Scheinwerfer schaut.

Frage: Durch den Ukraine-Krieg sind Verteidigung, Energie und Außenpolitik die wichtigsten Politikfelder. Bereuen Sie, dass die FDP das Finanzministerium gewählt hat — und Sie jetzt vor allem Schulden machen müssen?

Lindner: Wenn ich mir gerade darüber Gedanken machen könnte, wäre ich ein glücklicher Mann. Mich beschäftigen Krieg und Krise. Als Finanzminister habe ich große Verantwortung, dass wir mit dem Geld der Menschen sorgsam umgehen und unseren Staat nicht überfordern. Wir brauchen wirtschaftliche Stärke und Solidität. Deshalb kämpfe ich dafür, dass Deutschland bald die Schuldenbremse wieder einhält. Nach Lage der Dinge wird das nach drei Krisenjahren 2023 wieder der Fall sein. Das muss auch so sein, damit der Staat durch expansive Ausgabenprogramme nicht die Inflation noch anheizt.

Frage: Die lauteste Stimme der FDP ist – Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Sie treibt in der Frage der Waffenlieferungen den Kanzler vor sich her. Hat sich Olaf Scholz schon bei Ihnen beschwert?

Lindner: Nein.

Frage: Finden Sie gut, wie Strack-Zimmermann das gerade macht?

Lindner: Jeder hat sein eigenes Temperament. Ich bin erleichtert, dass niemand mehr davon spricht, die FDP sei eine One-Man-Show. Das stimmte nie. Zur Sache: Mir war es immer ein Rätsel, warum manche sich so schwertaten mit der Feststellung, dass die Ukraine schwere Waffen braucht.

Frage: Olaf Scholz agiert vielen zu zögerlich und erklärt zu wenig. Muss er in der Öffentlichkeit mehr Mut zeigen?

Lindner: Der Bundeskanzler wägt schwierige Fragen verantwortungsvoll ab, bevor er entscheidet. Das ist angesichts der Gefahren richtig.

Frage: Deutschland liefert jetzt Panzer – bislang aber nur Abwehrwaffen wie den Gepard. Sollten wir jetzt auch Kampfpanzer wie den Leopard an die Ukraine abgeben?

Lindner: Wir müssen im Gleichklang mit unseren Partnern handeln. Wir haben es mit der Atommacht Russland zu tun, deshalb ist es unerlässlich, uns insbesondere mit Frankreich und den USA als Atommächten abzustimmen. Gegenwärtig gibt es keinen Verbündeten, der Kampfpanzer liefert.

Frage: Russland hat zwei EU-Ländern das Gas abgedreht. Rechnen Sie auch mit einem Stopp für uns?

Lindner: Wir wollen schnellstmöglich unabhängig werden und unternehmen alles, um nicht erpressbar zu sein. Wir bezahlen auch weiter auf Basis der Verträge die Gaslieferungen in Euro und Dollar. Aber wer kann bei Wladimir Putin noch irgendetwas ausschließen?

Frage: Ein Gasstopp würde die Zerstörung der gesamten Volkswirtschaft bedeuten, warnen Industriekonzerne. Müsste man bei einem Embargo als erstes die Industrie schützen – und erst dann die Privathaushalte?

Lindner: Ich möchte nicht in Katastrophenszenarien schwelgen. Aber eines ist klar: Es ist undenkbar, dass bei der Großmutter zu Hause die Wohnung kalt ist. Deshalb darf es gar nicht zu einer Situation kommen, in der man diese Abwägung treffen müsste.

Frage: Sollte Deutschland im Notfall Gas mit Rubel bezahlen und damit auf Putins Forderung eingehen?

Lindner: Nein. Wir lassen uns nicht erpressen.

Frage: Die Ukraine-Krise wird die Kosten für Energie und Lebensmittel noch länger in die Höhe treiben. Wird es weitere Entlastungspakete geben?

Lindner: Mit den ersten beiden Paketen entlasten wir die Menschen um viele Hundert Euro. Von 100 Euro zusätzlichem Kindergeld und 300 Euro Energiepreispauschale über die Erhöhung des steuerlichen Grundfreibetrags bis hin zum Steuerrabatt an der Zapfsäule und der Abschaffung der EEG-Umlage auf die Stromrechnung. Das sollten wir wirken lassen. Ich werde im Herbst einen fairen Vorschlag machen, wie wir kommendes Jahr die kalte Progression weiter bekämpfen. Da geht es um die Erhöhung des steuerfreien Grundbetrags und um den Tarifverlauf bei der Lohn- und Einkommenssteuer. Der Staat darf sich nicht an der Inflation bereichern, wenn die Gehaltserhöhungen nur den Verlust an Kaufkraft ausgleichen.

Frage: Was sagen Sie Rentnern, die von vielen Entlastungen aus dem aktuellen Paket gar nichts abbekommen?

Lindner: Es stimmt, die Energiepreispauschale war für Erwerbstätige gedacht, die berufsbezogene Mehrausgaben haben. In der Beratung im Deutschen Bundestag wird diese Frage gewiss weiter diskutiert werden.

Frage: Viele sind empört, dass der Staat Hunderttausende Euro Steuergeld für das Büro von Gerhard Schröder zahlt, obwohl der Altkanzler einen Verantwortlichen für Kriegsverbrechen seinen Freund nennt.

Lindner: Ich teile diese Empörung. Wir sollten Konsequenzen ziehen. Es ist für mich nicht mehr vorstellbar, dass für ihn ein Büro vom Steuerzahler gestellt wird. Ehemalige Inhaber von Spitzenämtern, die offenbar an der Seite verbrecherischer Regierungen stehen, können nicht auf die Unterstützung dieses Staates zählen.

Frage: Müssen die Regeln für die Ausstattung ehemaliger Amtsinhaber grundsätzlich geändert werden?

Lindner: Das ist Sache des Haushaltsgesetzgebers. Ehemalige Bundespräsidenten und Bundeskanzler sollten grundsätzlich weiterhin Büros und Mitarbeiter zur Verfügung gestellt bekommen, weil sie nach dem Ausscheiden noch Verpflichtungen haben. Allerdings nehmen diese nachlaufenden Aufgaben sicher mit der Zeit ab. Also wäre es ratsam, die Ausstattung ehemaliger Inhaber von Spitzenämtern zu vereinheitlichen und mit der Zeit zu reduzieren. In diesem Zusammenhang müsste man auch über eine Art Ehrenkodex sprechen, was das Verhalten betrifft.

Frage: Im Mai wird gewählt. Sie wollen in Kiel mit CDU und Grünen, in NRW mit der CDU weiterregieren. Ist Ihnen die Lust an der Ampel vergangen?

Lindner: Diese Ampelkoalition hier in Berlin verbindet eine professionelle, vertrauensvolle Zusammenarbeit. Wir haben uns gut zusammengefunden. Sie ist aber alles andere als die Verwirklichung meiner politischen Träume. Die Wahlprogramme zeigten ja die großen Unterschiede. Inhaltlich naheliegender war Jamaika. Das ist vor allem an den Indiskretionen der CSU gescheitert.

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