14.05.2015FDPFDP

LINDNER-Interview: Wir bleiben auf dem Teppich

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Passauer Neuen Presse“ (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte ANDREAS HERHOLZ:

Frage: Erst ein Wahlerfolg in Hamburg, jetzt auch in Bremen – ist die FDP wieder über den Berg?

LINDNER: Nein, wir sind noch im Vorgebirge. Aber der Weg unserer Erneuerung stimmt. Wir haben wiederentdeckt, warum einmal Freie Demokraten gegründet wurden: Wir sind die Partei, die dem einzelnen Menschen vertraut, die auf Freiheit setzt und nicht auf Bürokratie, Bevormundung, Abkassieren und Abhören. Der Einzelne muss gestärkt werden und nicht der Staat. Trotz der tiefen Niederlagen haben wir unsere Überzeugungen nicht Populismus oder Zeitgeist geopfert. Umso mehr bleiben wir nach ersten Erfolgen auf dem Teppich.

Frage: Das müssen Sie jetzt sagen, damit nicht gleich wieder einige in Ihrer Partei größenwahnsinnig werden, oder?

LINDNER: Die FDP hat aus ihrer Niederlage bei der letzten Bundestagswahl gelernt. Das hat uns verändert, und der Veränderungsprozess geht weiter. Wir sind unabhängig in der Sache, aber auch bescheidener geworden.

Frage: In Hamburg rettet sie eine Frau, in Bremen auch – mit welcher Spitzenkandidatin ziehen Sie in den Bundestagswahlkampf?

LINDNER: Wir sind in Hamburg und Bremen nicht wegen des Geschlechts unserer Spitzenkandidatinnen gewählt worden. Die Menschen haben FDP gewählt, weil sie eine Partei wollen, die sich für beste Bildungschancen und marktwirtschaftliche Vernunft einsetzt. Mehr als 60 Prozent der Menschen in Deutschland sind laut Umfragen inzwischen wieder der Meinung, dass die FDP eine zweite Chance verdient hat.

Frage: Das Motto des Bundesparteitags am Wochenende in Berlin lautet „German Mut“. Welches Signal soll von dem Treffen ausgehen?

LINDNER: Wir sind eine Partei von inhaltlicher Substanz, die der German Angst, mit der man im Ausland die deutsche Zögerlichkeit beschreibt, German Mut entgegensetzen will. Wir müssen uns große Aufgaben zutrauen, zum Beispiel die Bildung zu einer Aufgabe des Gesamtstaats zu machen, statt 16 Länderbürokratien gegeneinander arbeiten zu lassen.

Frage: Niedrige Arbeitslosigkeit, die Wirtschaft wächst, Deutschland geht es gut – was gibt es da zu meckern?

LINDNER: Die größten Fehler macht die Politik nicht in der Krise, sondern während eines Booms. Wir erleben eine Sonderkonjunktur, die zu einer politischen Wohlfühlstagnation führt. Anstatt sich jetzt zurückzulehnen, müssen endlich Reformen auf den Weg gebracht, in Bildung und Infrastruktur investiert werden. Wenn nun 230 Milliarden Euro in die Rente gepumpt werden, ist das die Verlängerung der Vergangenheit. Besser als die Rente mit 63 wäre es gewesen, das Renteneintrittsalter für alle flexibel zu gestalten.

Frage: Auch die FDP hat sich für den Abbau der kalten Progression eingesetzt. Jetzt, wo es ernst wird, sprechen Sie von einem Trinkgeld. Warum?

LINDNER: Weil Finanzminister Wolfgang Schäuble 2013 zu schwarz-gelber Zeit eine Summe von sieben Milliarden Euro eingeplant und in den Bundestag eingebracht hatte. Das wäre angemessen. Wenn er jetzt von den seit damals noch stärker sprudelnden Rekordsteuereinnahmen nur 1,5 Milliarden Euro an die Steuerzahler zurückgeben will, ist das ein schlechter Scherz. Er fällt hinter seine eigenen Überzeugungen zurück. Wir erleben eine gigantische Umverteilung von Privaten zum Staat. Niedrige Zinsen und hohe Abgaben belasten viele Bürgerinnen und Bürger, zehren ihre private Altersvorsorge auf. Es ist höchste Zeit, dass der Finanzminister etwas an die Steuerzahler zurückgibt.

Frage: Ihre Parteifreundin, die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wirft der Regierung vor, sie habe die Menschen in der NSA-Affäre bezüglich eines No-Spy-Abkommens hinter die Fichte geführt. Teilen Sie die Einschätzung?

LINDNER: Ja. Hier muss alles aufgeklärt werden. Wir brauchen einen unabhängigen Sonderermittler, der die Vorgänge im Kanzleramt genau untersucht. Die Öffentlichkeit muss erfahren, ob es hier Organisationsfehler in der Regierungszentrale bei der Kontrolle der Geheimdienste gab, oder ob die politische Leitung falsch gespielt und informiert hat. Wir müssen genau wissen, was hier passiert ist.

Frage: Hat Angela Merkel den Bundestag getäuscht?

LINDNER: Ich habe zur Stunde keinen Anlass, an der Integrität der Bundeskanzlerin zu zweifeln. Aber die Spitze des Kanzleramtes, die zuständigen Mitarbeiter müssen sich kritische Fragen gefallen lassen. Erst dann lässt sich etwas über die Verantwortung der Kanzlerin sagen.

Frage: Angela Merkel regiert bald zehn Jahre lang. Hat sie ihren Zenit überschritten?

LINDNER: Frau Merkels Bilanz ist gespalten. Außenpolitisch macht die Kanzlerin eine sehr gute Arbeit. In der Innenpolitik hatte sie ihren Zenit 2005 – leider vor ihrer Kanzlerschaft. Ich kann seitdem kaum gestalterischen Anspruch erkennen. Sie lebt nur von der Reformdividende ihres Vorgängers Gerhard Schröder und seiner Agenda 2010. Innenpolitisch ist die CDU inzwischen leider völlig blutleer. Eine bürgerlich-marktwirtschaftliche Linie ist schon lange nicht mehr erkennbar.

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