08.12.2014FDPFDP

LINDNER-Interview: Union ist zum Zwilling der Sozialdemokratie geworden

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Welt“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte THORSTEN JUNGHOLT:

Frage: Herr Lindner, Sie sind jetzt ziemlich exakt seit einem Jahr FDP-Vorsitzender. Was macht das in Lebensjahren?

LINDNER: Jahre als Parteichef zählen mindestens doppelt, haben mir Vorgänger prophezeit. Das kann ich mittlerweile bestätigen. Die Aufgabe ist so faszinierend wie anspruchsvoll.

Frage: Nehmen wir mal harte Zahlen für eine Zwischenbilanz. Bundestagswahl 2013: 4,8 Prozent. Deutschlandtrend Dezember 2014: Zwei Prozent. Machen Sie was falsch?

LINDNER: Uns allen war nach der Bundestagswahl im letzten Jahr klar: Wir werden für die Neuaufstellung eine Legislaturperiode brauchen. Aber mein Eindruck aus vielen Gesprächen ist: Wenn es um politische Inhalte geht, dann werden unsere Positionen schon jetzt von deutlich mehr als zwei Prozent geteilt.

Frage: Wirklich? Uns scheint, dass liberale Politik nicht mehr en vogue ist. Die große Koalition verteilt Milliarden, schraubt die Agenda-Politik zurück – und wenn sie von Demoskopen gefragt werden, dann fühlen die Bürger sich offenbar ganz wohl damit.

LINDNER: Die große Koalition verteilt Geschenke, als gäbe es kein Morgen. Würde man nicht über vermeintliche Wohltaten, sondern deren Folgen sprechen, sähe das Ergebnis anders aus: Sollen wir 230 Milliarden Euro für ein Rentenpaket ausgeben, das die Generation der Kinder und Enkel massiv und dauerhaft belastet? Oder sollen wir in Zukunft investieren, in Bildung und Infrastruktur? Ich bin sicher, die Mehrheit wäre gegen Geschenke, für die wir den Kassenzettel an die nächsten Generationen reichen. Die Frage für uns ist eher: Warum springt der Umfragemotor nicht an, wenn die Position der FDP in der Sache doch oft geteilt wird? Wichtigster Grund ist sicher, dass wir gegenwärtig weitgehend aus dem Wahrnehmungsfeld der Menschen raus sind. Wir stecken in einer Art Schweigespirale. Das lässt sich auch erst mittelfristig ändern.

Frage: In aller Munde ist dagegen die Linke. Was halten Sie von Bodo Ramelow als erstem Ministerpräsidenten der SED Nachfolger?

LINDNER: Vor allem entlarvt es SPD und Grüne, die für sich reklamieren wollen, liberale Parteien zu sein. Was in Thüringen passiert ist, zeigt: Sie sind es nicht. Liberale würden niemals einen Ministerpräsidenten an die Macht hieven, dessen Partei unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsform überwinden will. So steht es im Grundsatzprogramm der Linken, die auch 25 Jahre nach dem Fall der Mauer trotz aller Lippenbekenntnisse keinen Frieden gemacht hat mit der Bundesrepublik.

Frage: Immerhin der Wirtschaftsflügel der CDU vertritt liberale Positionen. Auf dem anstehenden Parteitag droht ihm allerdings das gleiche Schicksal wie Ihnen in der vorigen Legislatur: Er wird mit seinen Forderungen wie der Abschaffung der kalten Progression im Steuerrecht oder des Solis an Angela Merkel scheitern. Haben Sie Mitleid?

LINDNER: Sagen wir so: Ich wünsche dem Wirtschaftsflügel der CDU, dass er diesmal mehr Durchsetzungskraft hat als jüngst beim staatlichen Einheitslohn. Seinerzeit haben die Wirtschaftsexperten der Union auch gehörig die Backen aufgeblasen, im Bundestag gab es dann nur fünf Stimmen gegen die Aufhebung der Tarifautonomie in Deutschland. Die Union ist zu einem Zwilling der Sozialdemokratie geworden. Wir sind auf dem Weg, dass wir in Deutschland eine große Einheitspartei bekommen, die nur verschiedene Namen trägt. Ob der Bürger nun Schwarz, Rot oder Grün wählt – er bekommt stets die gleiche Politik. Angela Merkel ist mittlerweile so etwas wie die Kanzlerin aller Sozialdemokraten. Ich halte das für ein dramatisches Problem für Pluralität und politische Vielfalt in Deutschland.

Frage: Wenn Sie ein Grußwort auf dem CDU-Parteitag sprechen dürften, was würden Sie sagen?

LINDNER: Ich würde an Versprechen erinnern. Eines findet sich im Wahlprogramm der CDU und heißt Abbau der kalten Progression. Zweimal hat die Union das versprochen, heute diskutiert sie allen Ernstes darüber, ob sie diesen institutionellen Lohnklau nicht doch weiter toleriert. Dann würde ich an das noch ältere Versprechen erinnern, den Soli 2019 auslaufen zu lassen. Und ich würde über die enorme Bürokratie sprechen, die mit dem Mindestlohn verbunden ist, weil 1600 Beamte beim Zoll zur Kontrolle eingestellt werden müssen. Das Geld sollte man besser in die Förderung von Langzeitarbeitslosen investieren. Aber ich rede dort ja nicht, also bleibt die FDP die einzige Partei in Deutschland, die diese Positionen noch vertritt.

Frage: Warum rufen Sie dem CDU-Wirtschaftsflügel nicht zu: Kommt zu uns, wir müssen Kräfte bündeln?

LINDNER: Ich und andere Liberale folgen gern den Einladungen des Wirtschaftsrats der CDU, um dort liberale Impulse zu geben. Aber ich würde mir eher wünschen, dass es auch innerhalb der CDU mal wieder ein paar marktwirtschaftlich denkende Köpfe wie einst Friedrich Merz gibt, die zu ihren Überzeugungen stehen und sie auch durchsetzen können. Denn das ist die Voraussetzung dafür, dass es irgendwann einmal wieder eine bürgerlich orientierte Regierung geben könnte.

Frage: Zulauf erhält die FDP schon jetzt aus der Wirtschaft. In Nordrhein-Westfalen hat sich das Netzwerk Liberale Agenda mit 40 Unternehmern gegründet, die Ihnen beim Wiederaufbau der FDP helfen wollen. In Bremen wird bei der Bürgerschaftswahl mit Lencke Steiner gar die Vorsitzende des Verbandes Junger Unternehmer als Spitzenkandidatin für Sie antreten. Wird die FDP zur Unternehmerpartei?

LINDNER: Wir sind weder Arbeitgeber- noch Unternehmerpartei, sondern eine Partei der Marktwirtschaft, weil diese Arbeitgebern und Arbeitnehmern dient. Die beste Politik für Arbeitnehmer ist eine Politik für einen sicheren Arbeitsplatz mit gutem Einkommen. Deshalb freut es mich, dass Mittelständler und Wissenschaftler sagen: Wir wollen vielleicht nicht gleich in die FDP eintreten, aber wir wollen diese Partei mit unserem Know-how unterstützen. Sie geben uns aus einer Position der Unabhängigkeit Impulse, und wir gleichen diesen Rat dann gern mit unseren in den vergangenen Monaten entwickelten inhaltlichen Vorstellungen ab. Die Überschrift heißt: Die FDP ist die Partei, die unserem Land mehr Chancen ermöglichen will, indem wir auf Freiheit, Verantwortung und Wettbewerb setzen.

Frage: Mal konkret: Wir sehen eine Konjunktur, die auf der Kippe steht. Wie würden Sie gegensteuern?

LINDNER: Erstens: Den Unternehmen mehr Flexibilität und wirtschaftliche Freiheit geben, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer selbst am besten wissen, wie sie auf Herausforderungen reagieren sollten. Angela Merkel hat neulich auf dem Arbeitgebertag gesagt: Machen Sie sich keine Sorgen, wir setzen nur den Koalitionsvertrag um! Das kam als Drohung an, gerade was Zeitarbeit und Werkverträge angeht. Zweitens: Die Energiekosten müssen sinken, wir brauchen weniger Klimaschutzideologie, dafür mehr gesunden Menschenverstand. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz gehört sofort abgeschafft, um diese Subventionsmaschine zu stoppen. Und drittens: Wir müssen Investitionen anschieben, und zwar ausdrücklich nicht durch staatliches Subventionsstrohfeuer, sondern durch steuerliche Entlastung.

Frage: Einen weiteren Schwerpunkt legen Sie auf Bildung, und zwar auf „die beste der Welt“. Sie wollen dieses Thema zum neuen „Mondfahrtprojekt“ machen. Klingt nach ähnlicher Hybris wie einst bei der Steuerreform. Geht's auch eine Nummer kleiner?

LINDNER: Wir stehen im globalen Wettbewerb, und wenn wir den Ehrgeiz haben, im internationalen Vergleich aus dem Mittelfeld nach vorn zu kommen, dann müssen wir die Latte hochlegen. Bildung ist das zentrale Thema für eine Gesellschaft, die ihren Wohlstand erhalten und jedem gerechte Aufstiegschancen bieten will. Wir versprechen nichts, sondern schlagen Deutschland einfach nur vor: Lasst uns gemeinsam auf den Weg gehen, lasst uns die Kräfte bündeln, um das beste Bildungssystem der Welt zu schaffen. Lasst uns dem Bund eine stärkere Rolle zuweisen, koordinierend und finanzierend. Denn im Wettbewerb mit Nordamerika und China wird es Bremen allein schwer haben. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Und für die gilt: Nein, da geht es keine Nummer kleiner.

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