22.02.2017FDPArbeit

LINDNER-Interview: Schulz verspricht Leben mit Stützrädern

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Beate Tenfelde:

Frage: Herr Lindner, Schockstarre bei der Union, weil die SPD mit ihrem neuen Spitzenmann Martin Schulz Höhenflüge erlebt. Was halten Sie vom Schulz-Wunder?

Lindner: Es gibt eine Belebung der politischen Debatte in Deutschland. Das begrüße ich. Denn Kanzlerin Angela Merkel hat die Politik in den letzten Jahren regelrecht narkotisiert. Jetzt werden wieder Unterschiede sichtbar. Das eröffnet weitere Chancen für die FDP.

Frage: Bitte etwas genauer…

Lindner: Angela Merkel steht für „Weiter so“. Das ist in einer Zeit des Wandels das Gefährlichste, was man tun kann. Martin Schulz will die Agenda 2010 abwickeln – das ist falsch, weil die Reformen unser Land wettbewerbsfähiger und somit stärker gemacht haben. Die FDP steht dagegen für die Klärung der Grundsatzfrage, wovon Deutschland künftig leben will. Wir wollen den Arbeitsmarkt flexibler gestalten und den einzelnen Menschen stärken, damit er sein Leben selbst in die Hand nehmen kann. Es geht eben nicht nur darum, Lücken in unserem Wohlfahrtsstaat zu schließen. Sondern es geht darum, aus Verantwortung für unsere Kinder und Enkel Stabilität und Wirtschaftskraft zu halten und zu schaffen.

Frage: Liegt Wechselstimmung in der Luft – Richtung Rot-Rot-Grün?

Lindner: Nein. Da muss Martin Schulz schon mehr bringen als den Rückfall in die alte, staatsorientierte Beruhigungsrhetorik. Er verspricht den Menschen ein Leben mit Stützrädern. Aber mit einer Politik der Beruhigungspillen und Trostpflaster bringt Schulz Deutschland um Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftschancen. Und die Grünen schmieren ab. Sie sind offen für alles – für die Ultra-Linke Sahra Wagenknecht wie auch für den CSU-Chef Horst Seehofer. Das löst keine Begeisterung aus.

Frage: Wie stehen die Chancen für eine sozialliberale Koalition?

Lindner: Wir legen vor der Wahl die Projekte fest, auf die es uns ankommt. Dass Martin Schulz die Vermögensverteilung in Deutschland ändern will und über die Themen Gerechtigkeit und Wohlstand sprechen will, finde ich gut. Aber seinen Weg halten wir für falsch. Wir wollen die Menschen nicht alimentieren, sondern ihnen ermöglichen, sich selbst etwas aufzubauen – zum Beispiel, indem die Grunderwerbsteuer abgesenkt wird und auch sonst die Abgaben nicht steigen.

Frage: Was befürchten Sie konkret, wenn der SPD-Kanzlerkandidat unter anderem die umstrittene Agenda 2010 reformiert?

Lindner: Das ist eine Gefahr für Wachstum, für Jobs und für Europa. Der SPD-Kanzlerkandidat will die Vergemeinschaftung von Schulden in Europa und zerstört damit jeden Reformwillen in den hoch verschuldeten Ländern des Südens. Wenn er eine europäische Arbeitslosenversicherung schafft, heißt das: Der deutsche Facharbeiter zahlt ein und finanziert so die falsche italienische Wirtschaftspolitik.

Frage: Ist der Schulz-Kurs ein Affront gegen den neuen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, der die Agenda 2010 vor mehr als 20 Jahren für die SPD erarbeitete?

Lindner: Nein. Das sehe ich nicht. Die SPD versucht mit der Abwicklung der Agenda 2010, bei den Grünen, den Linken und der AfD die Stimmen wieder einzusammeln, die sie dort verloren hat. Wir haben keine tektonischen Parteienverschiebungen – die SPD stabilisiert sich lediglich.

Frage: War es ein Fehler, dass Angela Merkel ihren zwölf Kanzlerjahren weitere vier anhängen will?

Lindner: Das Problem von Frau Merkel ist, dass man sie zu gut kennt. Der Vorteil von Schulz ist, dass man ihn noch nicht kennt. Aber: Weder ist die CDU im freien Fall, noch steht die SPD vor der absoluten Mehrheit. Am Ende wird es sehr knapp.

Frage: Union und SPD besetzen eine breite Mitte, kommen zusammen auf 60 bis 65 Prozent…

Lindner: Mal langsam. Union und SPD sprechen entweder über Flüchtlinge oder Superreiche. Was die Mitte wirklich interessiert, kommt nicht vor. Gut ausgestattete Schulen, mehr Lehrer und Erzieher, mehr Polizei statt immer neuer symbolischer Gesetze, das Schließen von Funk- und Schlaglöchern: Das gehört ins Zentrum der Politik. Die Mitte ist also offen für die Liberalen.

Frage: Die FDP wird auf sechs Prozent taxiert. Rechnen Sie mit mehr?

Lindner: Ja. Ich bin sicher, dass wir die Grünen bei den bevorstehenden Wahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen überholen können.

Frage: Zum Schluss: Ein neues Gesetz soll dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) den Zugriff auf Mobiltelefone von Flüchtlingen gewähren. Richtig?

Lindner: Wenn es Anhaltspunkte für bewusste Täuschung gibt oder Flüchtlinge Kooperation mit den Behörden verweigern, sollte dieser Handy-Zugriff möglich sein. So kann die Identität von Asylbewerbern besser ermittelt werden. Aber es muss dafür eine präzise Rechtsgrundlage geben. Die FDP lehnt die anlasslose Prüfung von Flüchtlingen ab. Hier gilt wie immer: Der Staat muss handlungsfähig sein, aber pauschale Vorverurteilung und Entrechtung darf es nicht geben.

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