27.12.2016FDP

LINDNER-Interview: Regierung gibt den Staat in Kernaufgaben der Lächerlichkeit preis

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab den „Ruhr Nachrichten“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte TOBIAS SCHMIDT:

Frage: Herr Lindner, Sie haben den Behörden nach dem Anschlag Versagen vorgeworfen. Was sind ihre konkreten Kritikpunkte?

LINDNER: Man hat das Gefühl, es herrscht in Deutschland Wilder Westen. Gefährder im Visier der Sicherheitsbehörden werden nicht lückenlos überwacht. Ausreisepflichtige können sich frei bewegen, sogar über Grenzen hinweg. Mit ausgedachten Identitäten können Sozialleistungen erschlichen werden. Wir akzeptieren nicht, dass der Bürokratismus wächst, der Staat in seinen Kernaufgaben aber der Lächerlichkeit preisgegeben ist. Es ist der blanke Hohn, dass die Regierung das nur intern aufarbeiten will. Eine unabhängige Expertenkommission sollte aufklären, wo Behörden versagt haben oder wo Gesetze nicht ausreichen.

Frage: Der Ruf nach mehr Videoüberwachung wird immer lauter. Sehen auch Sie hier Handlungsbedarf?

LINDNER: Mir fehlt der Nachweis, dass das überhaupt etwas bringt. Eine Kamera hat noch nie einen Kriminellen festgenommen, das machen Polizisten. Notwendig ist ein Plan, wie unsere Sicherheitsbehörden und die Polizei gestärkt werden. Ich halte 15 000 zusätzliche Polizisten für erforderlich. Und der Rechtsstaat muss sich auf die gefährlichen Leute konzentrieren, statt die Bürger zu kriminalisieren. Wenn in NRW beim Blitzer-Marathon der Kleinwagen beinah zum Staatsfeind Nummer 1 wird, aber Wohnungseinbrüche kaum aufgeklärt und Gefährder unüberwacht agieren können, ist das eine völlig falsche Innenpolitik. Darüber hinaus müssen die Ausreisepflichtigen auch wirklich unser Land verlassen. Dass die Behörden von den gesetzlichen Möglichkeiten nicht immer Gebrauch machen, ist eine Laxheit, die das Vertrauen in unseren Rechtsstaat beschädigt.

Frage: Sollte auch die Flüchtlingspolitik geändert werden?

LINDNER: Ja, aber das war schon vor dem Anschlag so und hat nichts mit ihm zu tun. Die Flüchtlingspolitik und die Bedrohung durch Salafismus und Extremismus müssen sauber getrennt werden. Es kann auch ein Deutscher zu einem radikalen Gewalttäter werden. Wir brauchen eine neue Strategie für den Umgang mit Migration. Flüchtlinge können erstens in der Regel nicht auf Dauer bleiben. Die Perspektive muss die Rückkehr in die alte Heimat sein. Wer auf Dauer bleiben will, den wollen wir uns zweitens aussuchen.

Frage: Sollten Asylbewerber in Transitzentren an den Grenzen festgehalten werden, bis ihre Identität zweifelsfrei geklärt ist?

LINDNER: Die Regierung sollte erst einmal darlegen, dass dies rechtlich überhaupt möglich ist und faktisch etwas bringt. Danach kann man diskutieren. Ohnehin wäre das aber ein Instrument im Rahmen des Schutzes der europäischen Außengrenze. Was viel dringlicher ist, das ist die Abschiebung von Ausreiseverpflichteten. Notfalls sollte Frau Merkel selbst nach Tunesien fahren und mit der Regierung dort sprechen. Die nehmen gerne unsere Entwicklungshilfe, aber kooperieren nicht bei der Rückführung. Das kann man nicht akzeptieren. Und die Grünen müssen endlich ihren Widerstand dagegen aufgeben, die Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer einzustufen.

Frage: Braucht Deutschland auch eine neue Leitkultur?

LINDNER: Menschen können sich nur integrieren, wenn klar ist, welche Werte und Regeln eine Gesellschaft hat. Leitkultur kann sich aber nicht zwischen Oktoberfest und Opernhaus festmachen. Das Grundgesetz ist auch nicht getauft. Das Grundgesetz liefert aber Leitwerte, die wir alle ernster nehmen müssen: Würde und Freiheit des Einzelnen, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Meinungs- und Religionsfreiheit sowie Respekt vor dem Eigentum.

Frage: Für Ihre Partei beginnt ein Schicksalsjahr. Geraten die Liberalen durch den Terror in die Defensive?

LINDNER: Im Gegenteil. Wenn die Ränder stärker werden, dann fehlt doch gerade eine Stimme der Vernunft und der Verantwortung. Unser Angebot ist die Stärkung des Rechtstaats, aber zugleich Widerstand gegen Intoleranz, Bevormundung und die Bürokratisierung unseres Alltags.

Frage: Welche Koalition im Bundestag streben Sie an - wäre ein Schwarz-Gelb-Grünes Bündnis eine Option?

LINDNER: Zunächst ist klar: Es muss im Parlament wieder eine liberale Kraft der Mitte geben, die für Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und für eine offene Gesellschaft steht. Wenn es nicht möglich ist, liberale Positionen in der Regierung umzusetzen, dann ist es umso notwendiger, liberale Opposition zu machen. Wir würden nur unter klaren Bedingungen in eine Regierung eintreten. Die erste ist, dass der EU-Stabilitätspakt nicht länger verletzt wird, wie es derzeit mit dem Segen von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) getan wird.

Frage: Bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen könnte die FDP im Mai zum Königsmacher werden. Schließen Sie eine Koalition mit den Sozialdemokraten von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft definitiv aus?

LINDNER: Eine Koalition mit SPD und Grünen ist ausgeschlossen. Wir stehen nicht bereit, deren durchgrünte Politik nach sieben Jahren zu verlängern. Sie bringt Kinder um Bildungschancen und lähmt Infrastrukturausbau und Wirtschaft.

Frage: Dann wollen Sie NRW-CDU-Chef Armin Laschet zum Ministerpräsidenten machen?

LINDNER: Wir stünden für Gespräche zur Verfügung, denn wir drücken uns nicht vor Verantwortung. Aber mir fehlt noch die Phantasie, wie Armin Laschet ein Bündnis aus CDU, Grünen und FDP zusammenbringen kann. 

Frage: Die UN-Resolution gegen den israelischen Siedlungsbau erbost die Israelis. Haben Sie Verständnis für den Zorn des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, oder ist die Resolution der richtige Schritt gewesen?

LINDNER: Ich habe hier keinen Dissens mit der Bundesregierung. Der Siedlungsbau behindert einen möglichen Friedensprozess. Allerdings würde ich mir wünschen, der Sicherheitsrat würde auch im Falle von Syrien klare Entscheidungen treffen.

 

 

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