LINDNER-Interview: Merkel richtet Chaos in der Flüchtlingspolitik an
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab dem „Münchner Merkur“ (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten GEORG ANASTASIADIS, BETTINA BÄUMLISBERGER, CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER und MIKE SCHIER:
Frage: Herr Lindner, befinden wir uns im Krieg gegen den Terror?
LINDNER: Ich halte nichts davon, von Krieg zu sprechen, wie Präsident Hollande das tut. In Paris haben mörderisch kriminelle Sektenmitglieder Unschuldige umgebracht.
Frage: Wie sollten wir darauf reagieren?
LINDNER: Ich Drei Punkte sind wichtig: Klare Worte mit unserem Partner Saudi-Arabien sprechen. Saudi-Arabien begleitet die Radikalisierung des Islam bisher propagandistisch und finanziert das Sektierertum in Europa. Dagegen muss man sich wenden. Zweitens: Den vielen jungen Männern, die auch jetzt als Flüchtlinge zu uns gekommen sind, müssen wir eine echte Integrationsperspektive eröffnen, damit sie nicht nach dem Strohhalm des religiösen Irrationalismus greifen. Drittens: Die militärische Vernichtung des Islamischen Staates.
Frage: Mit der Bundeswehr, etwa in Syrien?
LINDNER: Wenn es eine innen- und außenpolitisch verzahnte Politik gibt, müssen wir zur Mitwirkung bei militärischen Aufgaben bereit sein. Das kann logistisch sein oder mit Kapazitäten der Luftwaffe. Wir sollten unsere Möglichkeiten allerdings nicht überschätzen oder überdehnen. Für Einsätze am Boden sind die regionalen Mächte zuständig. Wir dürfen uns nicht auf eine Konfrontation „Christen gegen Muslime“ einlassen, wie sie sich der IS wünscht.
Frage: Riskieren wir mit einer deutschen Beteiligung, stärker ins Fadenkreuz des Terrorismus zu kommen?
LINDNER: Wer glaubt, Deutschland stünde nicht im Fadenkreuz, dem ist nicht zu helfen. In Paris sind doch nicht Franzosen angegriffen worden, sondern die westliche Lebensweise, unsere Werte. Die Terroristen wollen, dass auch wir Deutschen Angst im Alltag haben. Die wollen, dass sich unsere Menschen radikalisieren, dass die Le Pens, Pegidas und AfDs stärker werden, damit unsere Gesellschaft die innere Stabilität verliert.
Frage: Ist der Staat gerüstet? Ausgerechnet Ihre FDP bekämpfte ja die Vorratsdatenspeicherung...
LINDNER: Bitte keine Missverständnisse. Ich bin kein Gegner der Telefonüberwachung, wenn es einen begründeten Verdacht gibt. Ich bin sogar dafür, dass wir militante Rückkehrer aus Syrien präventiv und stärker überwachen – das sind potenzielle Bürgerkriegsteilnehmer, vielleicht Gewalttäter, verroht. Wogegen ich mich wende, und das unverändert: Dass Sie und ich und Ihre unbescholtenen Leser pauschal zu Gefährdern und Verdächtigen gemacht werden und dass wir uns erst dann sicher fühlen, wenn wir alle in 80 Millionen Einzelzellen sitzen.
Frage: Wäre der Einsatz der Bundeswehr im Inneren hilfreich?
LINDNER: Nein. Die Bundeswehr ist von der Ausbildung und der Ausrüstung her nicht für Polizeiaufgaben geeignet.
Frage: Sie haben Angela Merkel einst selbst mit zur Regierungschefin gewählt. Inzwischen kritisieren Sie sie für die Flüchtlingspolitik scharf. Ist Merkel noch Ihre Kanzlerin?
LINDNER: Sie ist unser aller Regierungschefin, aber nicht die Bundeskanzlerin der FDP. Merkel ist kein Adrenalin für Deutschland, sondern ein Sedativum. Und sie hat seit 2013 viele schwere Fehlentscheidungen in der Innenpolitik getroffen: das dritte Hilfspaket für Griechenland, die Erbschaftsteuer, nun das von ihrer Regierung angerichtete Chaos in der Flüchtlingspolitik – ihr folgenschwerster Fehler.
Frage: Was verlangen Sie von ihr? Ein Stopp-Signal?
LINDNER: Die Bundeskanzlerin sollte öffentlich erklären: Deutschland ist solidarisch, aber die Grenzen unserer Möglichkeiten sind erreicht. Die Menschen, die sich noch nicht auf den Weg gemacht haben, müssen das wissen. Dass zahllose Helfer im Moment den Flüchtlingsstrom bei uns bewältigen, ist keine Entschuldigung dafür, das Staatsversagen fortzusetzen.
Frage: Wer ist der FDP in Deutschland willkommen?
LINDNER: Wir brauchen dringend eine Veränderung in unserem Aufenthaltsrecht: Bürgerkriegsflüchtlinge sollten nicht das Asylverfahren durchlaufen – das ist langwierig und erlaubt ungesteuerten Familiennachzug. Wir brauchen vorübergehenden humanitären Schutz. Danach folgt entweder die Rückkehr oder eine dauerhafte Perspektive durch ein neues Zuwanderungsgesetz.
Frage: Sie träumen nicht von Fachkräften?
LINDNER: Nein. Ich finde die Meinung infam, wir könnten über das Asylrecht unseren Fachkräftebedarf decken. Die Integration und Ausbildung der meisten Flüchtlinge würde mehrere Jahre dauern. Die meisten beherrschen nicht im Ansatz unsere Sprache. Fachkräfte müssen wir über ein neues, modernes Zuwanderungsrecht anwerben – und die brauchen wir!
Frage: Die Liberalen robben sich in Umfragen nach oben. Gleichzeitig wächst die AfD. Ihre härteste Konkurrenz?
LINDNER: In aller Bescheidenheit: Die AfD ist für uns kein Konkurrent, sondern ein Protestphänomen ohne inhaltliche Substanz. Völkische Ideen, rückwärtsgewandte Politik und teils charakterlose Spitzengesellen – mit denen stehe ich weder weltanschaulich noch politisch im Wettbewerb. Die sind das Gegenteil von uns.
Frage: Heute wählt Bayerns FDP ihre Spitze. Schon wieder per Kampfkandidatur – sollte der Landesverband allmählich eine Drehtür einbauen?
LINDNER: Die Wahl ist eine souveräne Entscheidung der bayerischen Delegierten. Dass es da sportiven Wettbewerb gibt, ist doch eine gute Botschaft. Innerhalb der FDP sind wieder Motivation und Zutrauen in den Erfolg gewachsen.