07.08.2016FDPFDP

LINDNER-Interview: Merkel lullt ein, Schäuble mogelt, und Gabriel muss weg

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Bild am Sonntag“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten ROMAN EICHINGER und BURKHARD UHLENBROICH:

Frage: Herr Lindner, wie Millionen Deutsche und ganz in der Tradition von Guido Westerwelle verbringen Sie Ihren Urlaub am liebsten auf Mallorca. Wie sieht ein typischer Urlaubstag bei Ihnen und Ihrer Frau aus?

LINDNER: Frühstück mit deutschen Zeitungen, dann ins Fitnessstudio, eine Stunde Rudern und Training mit Gewichten. Danach treffen wir Freunde, fahren Boot oder besichtigen etwas. Und abends natürlich gutes Essen.

Frage: Hotel oder Finca?

LINDNER: Hotel.

Frage: Pool oder Meer?

LINDNER: Sowohl als auch.

Frage: Bier oder Wein?

LINDNER: Wein, auf Mallorca gern einen Rosado.

Frage: Handy auch mal längere Zeit aus oder immer erreichbar?

LINDNER: In diesen politisch so turbulenten Zeiten bleibt das Handy immer an. Da will ich auf dem Laufenden sein und mich gelegentlich auch aus dem Urlaub äußern.

Frage: Welches Thema treibt Sie diese Woche besonders um?

LINDNER: Die windelweiche Haltung der Bundesregierung gegenüber Herrn Erdogan. Wir erleben einen Staatsputsch von oben wie 1933 nach dem Reichstagsbrand: Er baut ein autoritäres Regime auf, zugeschnitten allein auf seine Person. Weil Recht und Freiheit des Einzelnen keine Rolle mehr spielen, kann er kein Partner für Europa sein. Es empört mich, dass die EU-Beitrittsgespräche nicht längst beendet sind. Aber Frau Merkel mahnt nur ganz vorsichtig „Verhältnismäßigkeit“ an.

Frage: Über Angela Merkel haben Sie BamS im Oktober gesagt: „Sie ist zum Unsicherheitsfaktor geworden, weil sie schwerwiegende Fehlentscheidungen spontan trifft.“ Steht das Urteil noch?

LINDNER: Wir haben gesehen, wohin ihre Entscheidungen in der Flüchtlingskrise geführt haben. Frau Merkel lullt uns seit Monaten ein. Sie sagt uns, dass wir das angeblich schaffen. Aber sie schuldet noch die Antwort, wie das gelingen soll! Jetzt wäre wenigstens gutes Management nötig, aber die Große Koalition bringt kein Einwanderungsgesetz zustande. Darin müsste geregelt sein, dass nicht jeder Flüchtling ein Einwanderer ist, der auf Dauer bei uns bleiben kann. Die Regel muss die Rückkehr in die alte Heimat sein. Der dauerhafte Aufenthalt muss an Kriterien gebunden werden, also Arbeitsplatz, Straffreiheit und Sprache.

Frage: Da sind Sie ja auf Linie von Horst Seehofer.

LINDNER: Nein. Herr Seehofer will Deutschland abschotten. Das will ich nicht. Ich möchte, dass Deutschland ein weltoffenes Land bleibt und durch kulturelle Vielfalt bereichert wird. Aber die Aussage, dass der Islam zu Deutschland gehört, ist mir zu pauschal. Ich fühle mich hier Cem Özdemir von den Grünen mit seiner kritischen Haltung zum Islam und zur Türkei näher als der Bundeskanzlerin, die für ein kritikloses Nebeneinander steht. Wir dürfen von Muslimen erwarten, dass sie ihren Glauben so modernisieren, dass er zu den Werten des Grundgesetzes passt. Von den Islam-Verbänden fordere ich eine deutlich entschlossenere Arbeit gegen jede Form der Radikalisierung.

Frage: Inzwischen hat Ihnen die AfD den Rang abgelaufen. Wie wollen Sie deren Protestwähler zurückgewinnen?

LINDNER: Wir sind keine Partei des Protests, sondern der Vernunft. Wer AfD wählt, verharmlost Rassismus und zerstört alle liberalen Werte, die Deutschland stark machen. Die AfD ist das Gegenteil der FDP.

Frage: In einem Jahr ist Bundestagswahlkampf, und die FDP krebst an der 5-Prozent-Hürde. Warum würden Sie derzeit so wenige Menschen wählen?

LINDNER: Wir haben bei fünf Wahlen zuletzt gewonnen. Dabei haben übrigens die Umfragen zuvor unser Potenzial immer unterschätzt. Wie sehr eine marktwirtschaftliche Partei fehlt, beweist täglich der Wirtschaftsminister.

Frage: Was stört Sie an SPD-Chef Sigmar Gabriel?

LINDNER: Sigmar Gabriel vertritt angeblich die kleinen Leute, will aber mehr wirtschaftliche Macht in weniger Händen zulassen. Millionen Verbraucher könnten höhere Lebensmittelpreise zahlen, wenn die Fusion zwischen Edeka und Tengelmann, die er durch Mauschelei ermöglichen will, kommt. Soziale Marktwirtschaft braucht lebendigen Wettbewerb, der niedrige Preise und hohe Qualität ermöglicht.

Frage: Gabriel sagt, er wolle mit seiner Ministererlaubnis für die Fusion Tausende Arbeitsplätze retten.

LINDNER: Wenn die SPD Arbeitsplätze retten wollte, wurde es meist erst für die Steuerzahler teuer, dann waren die Arbeitsplätze trotzdem weg. Siehe Nürburgring. Das kann nur die Wirtschaft. Gabriels Aufgabe wäre es, die Interessen von Millionen Arbeitnehmern und Kunden zu vertreten. Er hat sich aber vor den Karren eines einzelnen Unternehmens und einer einzelnen Gewerkschaft spannen lassen. Er täuscht ein Gericht, er täuscht die Öffentlichkeit. Er bekommt die Energiewende nicht in den Griff und schwächt die Marktwirtschaft. Ein solcher Minister hat jede Glaubwürdigkeit verspielt. Gabriel sollte auf sein Amt verzichten.

Frage: Wie soll denn die Wirtschafts- und Finanzpolitik der FDP aussehen?

LINDNER: Wir wollen eine Wende zu Wettbewerbsfähigkeit und Eigenverantwortung. Wolfgang Schäuble hat stattdessen dafür gesorgt, dass Portugal und Spanien keine Strafen zahlen müssen, obwohl sie zu hohe Schulden machen. Damit steht er in einer Linie mit Gerhard Schröder, der als Erster den Stabilitätspakt gebrochen hat. In Deutschland dagegen kassiert er die Bürger jedes Jahr stärker ab. Seit Jahren steigen die Staatseinnahmen an, in den nächsten vier Jahren nimmt der Staat hundert Milliarden Euro mehr ein. Wo geht das ganze Geld hin? Denn investiert wird es ja nicht. Der Steuerregen ist der einzige Niederschlag, der bereits verdunstet ist, bevor er den Erdboden erreicht hat. Schäuble gibt das Geld schneller aus, als es die Leute erwirtschaften können. Das muss sich wieder ändern.

Frage: Die Deutschen sind laut Umfragen mit Schäuble aber sehr zufrieden ...

LINDNER: Die einzelnen Fehlentscheidungen vom dritten Griechenland Rettungspaket bis hin zum Abkassieren der Mittelschicht lehnen die Bürger ab. Herr Schäuble persönlich wird damit aber nicht in Verbindung gebracht. Seine Popularität verdankt sich dem Versagen der Bundestagsopposition in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, die seine Fehler nicht herausarbeitet.

Frage: Wen wollen Sie denn entlasten – die Besserverdiener?

LINDNER: Alle haben eine Entlastung verdient. Dazu gehört als Erstes der Solidaritätszuschlag abgeschafft. Zweitens: In Estland ist es möglich, am Computer in wenigen Minuten seine Steuererklärung zu machen, weil viele Daten schon automatisch erfasst sind. Wir brauchen auch in Deutschland ein Steuerrecht, bei dem jeder ohne Steuerberater online seine Erklärung ausfüllen kann und dann in wenigen Tagen einen Bescheid bekommt.

Frage: Erinnert an den berühmten Bierdeckel.

LINDNER: Noch einfacher. Der Bierdeckel 4.0 sozusagen. Warum kann Estland seine Verwaltung digitalisieren, während wir jedes Jahr viel Lebenszeit an Bürokratie verlieren?

Frage: Was heißt das für die Erbschaftssteuer?

LINDNER: Mein Vorschlag ist einfach und klar: Ab einer Freigrenze von einer Million Euro fallen zahn Prozent Erbschaftssteuer an. Egal ob privates Aktienpaket oder Beteiligung an einem Unternehmen. Man hat dann zehn Jahre Zeit, diese Steuerschuld an den Fiskus zu überweisen. Ergebnis: weniger Bürokratie, mehr Gerechtigkeit, weil Ausnahmen und Privilegien wegfallen. Familienbetriebe können weiter investieren, der Staat hat dieselben Einnahmen wie bisher.

Frage: Machen Sie im Wahlsommer 2017 Urlaub wieder auf Mallorca oder lieber am Berliner Wannsee, um schneller in die vielen Talkshows zu kommen?

LINDNER: Von Palma ist man schnell in Tegel – deshalb haben wir hier schon gebucht.

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