28.10.2015FDPAsylpolitik

LINDNER-Interview: Lösungen statt „Tschakka“-Rhetorik

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Magdeburger Volksstimme“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte MATTHIAS STOFFREGEN:

Frage: Herr Lindner, sind Sie eigentlich froh, in der Flüchtlingskrise nicht in Regierungsverantwortung zu stehen?

LINDNER: Nein. Ich würde gerne mit der FDP Regierungsverantwortung tragen und die politischen Entscheidungen stärker beeinflussen können. Die FDP ist eine Rechtsstaatspartei. Wir hätten nicht unterstützt, wenn europäisches Recht wie die Dublin-Vereinbarungen über das Asylrecht oder der Schengen-Vertrag zur Freizügigkeit gebrochen werden. Der Zick-Zack-Kurs von Angela Merkel, mal Grenzen auf, dann Grenzen zu, war ihr bisher schwerster Fehler. Wir haben jetzt mit einer immensen Sogwirkung zu kämpfen. Bei aller Weltoffenheit und Solidarität: Auch die deutschen Möglichkeiten sind begrenzt und dieses Signal muss Frau Merkel jetzt senden.

Frage: Was würden Sie an ihrer Stelle noch alles besser machen?

LINDNER: Viele Flüchtlinge, die zu uns kommen wollen, haben ein falsches Bild von Deutschland. Viele Hoffnungen und Erwartungen, die Flüchtlinge an unser Land knüpfen, werden möglicherweise bitter enttäuscht. Es ist nicht so leicht, in Deutschland eine Ausbildung, ein Studium oder einen Arbeitsplatz zu erhalten, wenn man ohne Sprachkenntnisse und mit einem anderen Bildungsstand zu uns kommt. Wir müssen die Politik, die die Grenzen unserer logistischen, sozialen und finanziellen Möglichkeiten komplett ausblendet, schnellstmöglich korrigieren. Konkret sollten wir über das Ausländer- und Aufenthaltsrecht Kriegsflüchtlingen zunächst nur vorübergehenden humanitären Schutz gewähren, solange sie in ihrem Heimatland bedroht sind. Dazu sollten wir ein liberales Einwanderungsgesetz einführen, das sich an den Fachkräftebedarfen der deutschen Wirtschaft orientiert. So wie jetzt kann es jedenfalls nicht weitergehen, die Zahlen müssen sinken.

Frage: Die CSU fordert mehr Kontrollen. Manche wollen auch Zäune. Kanzlerin Merkel hält dagegen und sagt, man kann die Leute nicht mit Zäunen weghalten. Wie sehen Sie das?

LINDNER: Einschränkungen des Grundrechts auf Asyl und den Bau neuer Zäune in Europa wollen wir Liberalen nicht. Ich glaube, es gibt einen besseren Weg. Zunächst muss das Recht wieder hergestellt und dann die Lage stabilisiert werden, auch in der Türkei, Jordanien und dem Libanon. Sonst machen sich von dort weitere Millionen Flüchtlinge auf den Weg nach Deutschland. Insofern hat jeder Euro, den wir dort für die Stabilisierung der Lage investieren, die zehnfache Wirkung von einem Euro, den wir hier einsetzen für Asylbewerber.

Frage: Die AfD hat durch ihre Kampagne gegen Flüchtlinge in Umfragen Auftrieb. Ist die AfD aus Ihrer Sicht noch eine demokratische Partei?

LINDNER: Die AfD ist eine anti-liberale Partei, die die Ängste von Menschen zu eigenen Zwecken instrumentalisieren will. Sie will auf einer Welle der Angst geradewegs in die Parlamente surfen. Das ist genau das politische Gegenteil von uns. Wir wollen durch gute Politik und entschlossenes Handeln den Menschen die Angst nehmen. Nicht mit der „Tschakka“-Rhetorik von Angela Merkel, sondern mit konkreten Lösungen. Die AfD profitiert davon, wenn Menschen sich kleingemacht fühlen, und sie will die Menschen mit Angst klein halten.

Frage: Spitzenpolitiker der AfD sind zuletzt häufiger in den Talkshows im Fernsehen aufgetreten, teils mit äußerst rechten Parolen. Ist es richtig, den Politikern ein Millionen-Publikum zu verschaffen?

LINDNER: Die Auswahl der Gäste in Talkshows unterliegt der Pressefreiheit. Aber ich würde gerne Herrn Höcke von der AfD und den schwarz-rot-grünen Träumern gleichermaßen mal meine Meinung sagen. Es war aber wohltuend, dass Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) gegen die AfD und Pegida argumentiert hat, gerade weil Sigmar Gabriel (SPD) vor einiger Zeit noch Verständnis für Pegida gezeigt hatte. Wir als Liberale haben dagegen mit Blick auf Pegida einen Unvereinbarkeitsbeschluss gefasst: Wer Pegida unterstützt, stellt sich automatisch in den Widerspruch zu den grundlegenden Zielen der FDP. Wenn man beginnt, über Hassparolen gegen Parlamente, Medien und Fremde zu verhandeln, hat man sie ja halb gekauft.

Frage: Soll die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet werden?

LINDNER: Das obliegt allein dem Verfassungsschutz. Allerdings halten wir es für wichtiger, uns inhaltlich und politisch mit Parteien wie AfD und NPD auseinanderzusetzen. Die AfD will das Gegenteil von dem, wofür Freie Demokraten streiten.

Frage: Im März wird in Sachsen-Anhalt gewählt. Rechnen Sie mit dem Einzug der AfD in den Landtag?

LINDNER: Das kann man nicht wissen. Ich rechne vor allem mit dem Einzug der FDP in den Landtag. Wer AfD wählt, der erreicht gar nichts, weil die sich in den Parlamenten blamieren, keine Ideen haben und niemand mit ihnen koalieren will. Im Ergebnis führt die Wahl der AfD also dazu, dass mehr linke Politik gemacht wird, weil dann große Koalitionen wahrscheinlicher würden.

Frage: Es ist aber absehbar, dass die Flüchtlingspolitik Gesprächsthema bleibt. Droht sich die CDU daran aufzureiben?

LINDNER: Die CDU hat seit 2013 Entwicklungen durchgemacht, die zu wachsender schlechter Laune bei ihren Kernwählern geführt haben. Erst hat Angela Merkel die Partei sozialdemokratisiert. Dann hat sie den Fehler gemacht, dem dritten Rettungspaket für Griechenland zuzustimmen. Und jetzt hat die Kanzlerin im Rahmen ihrer Flüchtlingspolitik ein Aufnahme-Versprechen gemacht, das so interpretiert werden kann, dass jeder, der ein neues Leben beginnen will, dies in Deutschland tun kann. Und das ist nicht realistisch. Das hat innerhalb der Union zu enormer Verunsicherung geführt.

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