05.06.2015FDPFDP

LINDNER-Interview: Kreditgeber müssen im Umgang mit Athen hart bleiben

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab dem „Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag“ (Freitag) das folgende Interview. Die Fragen stellten STEFAN HANS KLÄSENER und PETER HÖVER:

Frage: Herr Lindner, erstmals seit Jahren gab’s vergangene Woche mal wieder bundesweit sieben Umfrage-Prozente für die FDP. Wie fühlt sich das Mini-Comeback an?

LINDNER: Ich freue mich natürlich über bessere Umfrageergebnisse. Das zeigt, die FDP kann wiederkommen. Wir dürfen aber nicht nachlassen bei unseren Anstrengungen, die FDP grundlegend zu erneuern. Deshalb ist es mir zu früh, schon jetzt vom Comeback zu sprechen.

Frage: In Hamburg und Bremen war die FDP erfolgreich. Kommt bei den drei Landtagswahlen am 13. März nächstes Jahr die Nagelprobe auf die Chancen bei der Bundestagswahl 2017?

LINDNER: Für die FDP ist jede Wahl auf dem Weg zur Bundestagswahl 2017 wichtig, weil sie ein Signal in den Bund sendet. Deshalb wird die FDP bei den drei Wahlen in den Flächenländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt auch wieder als Gesamtpartei Wahlkampf führen. Wir werden zeigen, dass wir reüssieren wollen.

Frage: In keinem deutschen Bundesland regiert die FDP mit.

LINDNER: Das kann sich in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz 2016 ändern. Da besteht die Chance, wieder mitzugestalten. In Sachsen-Anhalt wollen wir ins Parlament, weil wir es schwer erträglich finden, dass nach der friedlichen Freiheitsrevolution von vor 25 Jahren keine Stimme der Freiheit in den Parlamenten der neuen Länder sitzt. Menschen, die nicht gegängelt und fremdbestimmt sein wollen, finden wir überall.

Frage: Da wir in den Ländern unterwegs sind: Braucht die Republik noch 16 Bundesländer?

LINDNER: Wir brauchen einen schlanken Staat, der Aufgaben und auch Strukturen infrage stellt. Ich nenne Ihnen hier keine Zahl, wie viele Bundesländer vielleicht ausreichen. Vielleicht reicht die Beschreibung der Ebenen, mit denen wir es zu tun haben, um zu erkennen, dass es so auf Dauer nicht bleiben kann: Da kommen wir von Europa über den Bund, die Länder, Regierungsbezirke, Kreise, kreisfreie Städte, Städte, Ämter und Gemeinden. Das ist eindeutig übermöbliert. Da ist Potenzial für eine Verwaltungsdiät.

Frage: Schauen wir auf die Konkurrenz: Die AfD zerlegt sich gerade, der Parteitag ist vorerst abgesagt. Wie viel Freude kommt da auf über mögliche Rückkehrer zu den Liberalen?

LINDNER: Wer heute die AfD noch unterstützt als Mitglied oder Wähler, der passt nicht zu uns und kann bei uns keine Heimat finden. Die AfD hat versucht, Ressentiments salonfähig zu machen wie bei Pegida. Sie lehnt den transatlantischen Freihandel ab, hat völkische Ideale. Diese Einstellung zu Gesellschaft, Wirtschaft und dem einzelnen Menschen ist mit der FDP nicht kompatibel.

Frage: Der AfD-Vorsitzende Bernd Lucke ist mal als Euro-Kritiker gestartet. Die gab es in der FDP auch. Hätte Lucke eine Chance bei den Liberalen?

LINDNER: Die Euro-Kritiker in unseren Reihen waren Liberale. Herr Lucke ist weder ein Liberaler – das sagt er von sich selbst – noch ist er ein kluger Politiker. Hätte man nämlich die AfD-Rezepte des Jahres 2010 verfolgt, dann befänden sich Deutschland und Frankreich heute in unterschiedlichen Währungszonen. Rezepte à la Lucke, mit denen Europa auseinandergetrieben würde, sind geschichts- und verantwortungslos.

Frage: Bei Ihrem Vorvorgänger Westerwelle kam die FDP oft als Spaßpartei daher, ihren Vorgänger Rösler nahm kaum noch einer Ernst. Was ist anders in der Lindner-FDP?

LINDNER: Ich messe mich nicht an der Arbeit meiner Vorgänger. Ich sage Ihnen, was uns heute wichtig ist. Es ist Ihre Aufgabe, das zu bewerten und zu interpretieren – genauso wie es Ihr Job ist, Fallen aufzustellen und meiner, da nicht reinzugehen.

Frage: Dann lassen wir die Falle mal aus und reden über das Wichtige.

LINDNER: Die FDP hat in einem für deutsche Parteien beispiellosen Prozess der Selbstbefreiung ihren Markenkern wieder freigelegt: Uns geht es nicht zuerst um den Staat, um soziale Klassen oder große gesellschaftliche Gruppen. Es geht uns um den einzelnen Menschen. Den wollen wir stark machen durch beste Bildung, den beschützen wir vor Bürokratisierung und einem Staat, der über alle Maßen durch Bespitzelung und Datenspeicherung in die Privatsphäre eindringt.

Frage: Wie immun ist die Lindner-FDP gegen den innerparteilichen Personenkult, der mit zum Niedergang der Liberalen beigetragen hat?

LINDNER: Mein Anliegen als Vorsitzender ist es, möglichst viele Spieler aufs Feld zu bringen. Das ist auch gelungen. Zugleich ist die FDP – eine Partei voller Individualisten – heute in einem Maß geschlossen, das wir seit 1949 nicht hatten.

Frage: An Ihrer Seite steht Wolfgang Kubicki, ein erklärter Sozialliberaler. Wie viel Wirtschaftsliberaler ist Christian Lindner?

LINDNER: Ich kann mit diesen „Liberalismen“ nicht viel anfangen. Mir hat nämlich noch niemand erklären können, wie man für Freiheit in der Gesellschaft sein kann und nicht auch gleichzeitig für Freiheit in der Wirtschaft. Ich sehe mich als Full-Flavour-Liberalen…

Frage: …der sich sowohl die Option für eine Koalition mit der CDU wie mit der SPD offenhält.

LINDNER: Aha! Da erscheint die vorherige Frage in einem anderen Licht. Es ist doch nicht so, dass Wolfgang Kubicki der Sachbearbeiter für links und ich der Sachbearbeiter für rechts wäre. Wenn sozial- und wirtschaftsliberal so interpretiert wird wie wir uns koalitionspolitisch aufstellen, dann antworte ich: eigenständig. Das sieht auch Wolfgang Kubicki so.

Frage: Das heißt, eine Koalitionsaussage wird es von der FDP nicht mehr geben?

LINDNER: Davon gehe ich aus. Erst recht wird es kein Koalitionsbetteln mehr geben, damit Angela Merkel Kanzlerin bleibt. So etwas käme mir niemals über die Lippen.

Frage: Irgendwie scheinen die Deutschen mit der Großen Koalition ja ganz zufrieden.

LINDNER: Mit der Bundeskanzlerin sind die Deutschen zufrieden. Das sicher auch deshalb, weil Angela Merkel mit Blick auf die internationalen Krisenherde eine gute Figur macht. Die Versäumnisse, die ich sehe, liegen in der Innenpolitik. Ich sehe nicht, wie Deutschland gerüstet würde für den Wandel aus Globalisierung, Digitalisierung und Alterung. Da passiert nicht nur nichts, sondern Deutschland trägt die Deiche ab, obwohl wir eine demografische Sturmflut erwarten.

Frage: Sie meinen die Rente mit 63…

LINDNER: Die wird die nächsten Generationen noch teuer zu stehen kommen. Ich kritisiere, dass Frau Merkel die deutsche Innenpolitik vollständig der Sozialdemokratie geopfert hat. Die CDU hat auf diesem Feld für diese Wahlperiode nichts vorgenommen, denn sie hat dazu gar keine politische Agenda mehr. Schwarze Null im Haushalt und keine Steuererhöhungen, das ist nun wirklich sehr defensiv.

Frage: Kritiker behaupten, die CDU-Wirtschaftspolitik rieche dem Mittelstand zu sehr nach Gabriel.

LINDNER: Einverstanden: Wo ist denn die eigenständige Wirtschaftspolitik der Union? Ich sehe die nicht. Es ist schon erstaunlich, dass eine CDU-geführte Regierung angesichts einer historisch einmaligen Finanzierungssituation des Staates nicht einmal in Erwägung zieht, Betriebe und Bürger ein Stück zu entlasten. Was passiert, ist das genaue Gegenteil. Wir erleben derzeit eine gigantische Umverteilung von privat zu Staat und aus der Gegenwart in die Zukunft. Das ist unterm Strich eine kalte Enteignung.

Frage: Sie meinen die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank…

LINDNER: …, die in gewaltigem Umfang Staatsanleihen aufkauft und die Zinsen auf ein historisches Tief gesenkt hat. Damit kauft die EZB den europäischen Regierungen Zeit. Das tut sie, weil seit etwa zwei Jahren alle Reformanstrengungen erlahmen. Eine Differenzierung zwischen solide und unsolide wirtschaftenden Staaten in Europa gibt es nicht mehr. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Es muss da auch ein Signal aus Berlin kommen, dass die Notenbank ihre Geldpolitik verändert. Mario Draghi muss die EU und die Märkte darauf vorbereiten, dass es auf Dauer keine niedrigen Zinsen geben kann.

Frage: Das Athener Schuldendrama geht weiter. Jetzt gibt es einen Reformplan von Alexis Tsipras. Die möglichen Kreditgeber aber sind zurückhaltend.

LINDNER: Weil sie bisher die Erfahrung machen mussten, dass Griechenland auf Zeit gespielt hat, weil die Regierung Tsipras versucht hat, Europa auszutricksen und zu erpressen. Ich kann nur dringend empfehlen, dass die Kreditgeber hart bleiben im Umgang mit der Regierung in Athen.

Frage: Also lieber einen Ausstieg Griechenlands aus dem Euro in Kauf nehmen?

LINDNER: Wir haben 2010 und 2012 befürchtet, dass ein Zusammenbruch Griechenlands enormen ökonomischen Schaden auslösen würde. Das ist heute anders. Es gibt Fortschritte etwa in Portugal oder Irland. Käme man Tsipras entgegen, dann würde die Podemos in Spanien ein Konjunkturprogramm erhalten. Das wären die nächsten, die sich dann aus der Verantwortung stehlen wollen. Das führt dauerhaft nur tiefer in die Krise hinein.

Frage: Weil eine solche Politik Europa auseinandertriebe?

LINDNER: Gucken Sie doch, wie kritisch Großbritannien derzeit auf Europa schaut. Wenn hier bestehende Regelungen weichgespült werden, wenn marktwirtschaftliche Prinzipien keine Rolle mehr spielen, dann wird London sich womöglich aus der EU verabschieden. Ein Ausstieg Großbritanniens aus der Union wäre für uns geostrategisch weitaus gefährlicher als ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro.

Frage: Wie kann ein griechisches Reformprogramm funktionieren mit der innenpolitischen Zusage von Tsipras und Finanzminister Varoufakis, keine Wahlversprechen brechen zu wollen?

LINDNER: Die Frage stellt sich nicht. Europa kann sich doch nicht in Haftung nehmen lassen für nicht finanzierbare Wahlversprechen einer linkspopulistischen Partei in Griechenland. Vielleicht bemüht sich Herr Tsipras um die Unterstützung politischer Kräfte außerhalb seiner Partei. Zu allererst sollte er Varoufakis feuern. Dieser Herr ist der Vertrauensverlust auf zwei Beinen.

Frage: Ein Blick nach Osteuropa. Vladimir Putin fehlt beim G7-Treffen - eine Reaktion auf die Annexion der Krim im vergangenen Jahr. Richtig oder falsch?

LINDNER: Ich halte dies nicht für klug. Sanktionen gegen die Politik Putins habe ich zu jedem Zeitpunkt für richtig gehalten. Einen Bruch des Völkerrechts kann niemand hinnehmen.

Frage: Die Wirtschaft schaut eher skeptisch auf die Sanktionen.

LINDNER: Ich bin nicht Vorsitzender der Partei der Wirtschaft, sondern der Partei der Rechtsstaatlichkeit. Wir müssen zivilisatorische Errungenschaften verteidigen – und dazu gehört das Völkerrecht. Wenn sich also Staaten in Osteuropa Richtung EU und Nato öffnen wollen, dann haben wir das zu respektieren. Das ist auch nicht gegen den Kreml gerichtet, sondern das ist der Wunsch dieser Völker. Andersfalls würden wir wieder anerkennen, dass es Völker und Mächte gibt, die über andere herrschen können.

Frage: Und jetzt kommt das Aber.

LINDNER: Die klare Grenzziehung heißt doch nicht, dass man aufhört, miteinander zu sprechen. Ich halte die Ausladung Russlands aus G8 für genauso falsch wie den Umstand, dass der Nato-Russland-Rat nicht in Permanenz tagt. Man muss sich das vorstellen. Da sitzen nun sieben Spitzenpolitiker und reden über den achten. Also: Einladung zu Dialog und Kooperation bei gleichzeitiger Grenzziehung, das wäre der vernünftige Weg, auf dem Vladimir Putin von der Palme herunterkommen kann. Das geht nur, wenn man spricht.

Frage: Nun haben sich beide Seiten offenbar erst einmal eingegraben. Wie viel Risiko steckt in dieser Haltung?

LINDNER: Natürlich will niemand einen neuen kalten Krieg. Es ist aber bedauerlich und bedrohlich zugleich, dass wir hinter das Jahr 1990 zurückfallen. Dennoch bleibt eine Lehre der Geschichte: Wir können hier kein Appeasement machen. Vielleicht müssen wir uns mit dem Gedanken arrangieren, dass die Zeit großer Stabilität zwischen 1990 und 2008 – ich denke da an den Auftakt der Bankenkrise – eine historische Ausnahme war.

Frage: Was heißt ein solcher Befund für die Zukunft?

LINDNER: Wahrscheinlich werden wir uns darauf einstellen müssen, dass die Welt sich absehbar in einer Art Krisenverarbeitungsmodus weiter drehen wird. Das gilt für die internationale Bühne, weil die Ordnungsmächte fehlen. Das gilt ökonomisch wegen der Alterung und der rasanten Digitalisierung unserer Gesellschaft. Wichtig dabei ist, dass wir die Orientierung behalten, welche Werte wichtig sind. Sonst fällt alles auseinander.

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