LINDNER-Interview: Jamaika wird romantisch verklärt
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Gerhard Voogt.
Frage: Herr Lindner, warum profitiert die FDP kaum von der Krise der Volksparteien?
Lindner: Bei uns gibt es keinen Hype, sondern stetiges Wachstum. In NRW liegen wir bei elf Prozent. Es wäre mehr möglich. Aber noch hadern viele Wechselwähler mit dem Jamaika-Nein, weil diese Koalition romantisch verklärt wird. Umgekehrt heißt das, dass wir derzeit wirklich von uns überzeugte Menschen anziehen und keine taktischen Stimmen.
Frage: Wie erklären Sie sich den Höhenflug der Grünen?
Lindner: Die Grünen profitieren davon, dass sie nicht mit Querelen in Berlin in Verbindung gebracht werden. Aber nicht jeder der momentanen Grünen-Wähler will eine im Kern doch linke Politik mit Verboten und Erziehungshinweisen. Das Programm hat sich ja nicht verändert. Vor allem in der Klimapolitik suchen wir den Ideenstreit, weil die Ziele richtig sein mögen, die planwirtschaftlichen Wege aber alt, teuer und unwirksam. Wir setzen auf Technologie und einen globalen Ansatz. Warten wir ab.
Frage: Gibt es schnelle Neuwahlen?
Lindner: Alles ist im Fluss. Ich gehe davon aus, dass die Nachfolgerin oder der Nachfolger von Frau Merkel umgehend die Kanzlerschaft anstrebt. Frau Merkel wird das nur nicht gesagt haben, um Instabilität zu vermeiden. Die vier Optionen sind Wahl durch die SPD, eine tolerierte Minderheitsregierung der Union, eine Neuwahl oder die Jamaika-Koalition.
Frage: Wäre die FDP jetzt dazu bereit?
Lindner: Diese Nachricht kann ich Ihnen so nicht geben. Wir regieren in Schleswig-Holstein ja im Jamaika-Modell. Deshalb haben wir nie prinzipiell abgesagt. Im Herbst 2017 war Jamaika im Bund aber nicht möglich. Unter anderen Rahmenbedingungen könnte auch dort Jamaika irgendwann möglich sein. In Kürze werden CDU und CSU neue Führungen haben, die Grünen haben schon eine und die Unionsfraktion auch. Ich kann derzeit nicht sagen, was daraus folgt. Ich vermute, dass die Grünen eine Neuwahl wollen, um die Schwäche der SPD auszunutzen.
Frage: Viele Merkel-Gegner sind zur AfD gewechselt. Wie holen Sie die zur FDP?
Lindner: Das ist nicht unser Ansatz. Wir laufen denen nicht nach. Wir wenden uns an alle, die mehr Steuerung in der Einwanderungspolitik wollen als die Grünen, aber zugleich mehr Weltoffenheit als die CSU. Ein liberales Einwanderungsgesetz ist mehrheitsfähig und überfällig.
Frage: Würden sich Grüne und FDP jetzt besser verstehen? Sie duzen sich ja mit der neuen Grünen-Spitze ...
Lindner: Wir stimmen in vielem nicht überein, aber die Bereitschaft dem anderen zuzuhören ist gewachsen. Das ist ja schon etwas. Da nehme ich es sportlich, dass der linke Flügel der Grünen permanent versucht, uns wegen unserer Einwanderungspolitik in die rechte Ecke zu schieben. Gut wäre es, wenn wir alle in der Politik zu einem anderen Stil finden würden.
Frage: Wer ist Ihr Wunschkandidat für den CDU-Vorsitz?
Lindner: Das ist Sache der Union. Alle genannten Namen sind uns gut bekannt und haben unseren Respekt. Mit ihnen wäre ein fairer Wettbewerb und ein guter Austausch möglich, ich traue allen zu, eine Regierung zu führen. Ich vermute, dass eher SPD und Grüne Probleme mit dem einen oder anderen Kandidaten haben könnten.
Frage: Wie meinen Sie das?
Lindner: Annegret Kramp-Karrenbauer vertritt eine sehr konservative Gesellschaftspolitik. Friedrich Merz ist auch ein Konservativer, der aber stärker marktwirtschaftlich orientiert ist. Jens Spahn ist in der Einwanderungspolitik durch mutige und realistische Äußerungen aufgefallen. So grün wie Frau Merkel ist keiner.
Frage: Und die FDP käme mit allen klar?
Lindner: Ja.
Frage: Bedauern Sie, dass Armin Laschet nicht antritt?
Lindner: Das ist seine Entscheidung. Aber mir hat gefallen, dass er sie ausdrücklich mit dem Modell der CDU-FDP-Koalition in NRW begründet hat, die nicht in Abhängigkeit von der großen Koalition geraten soll.
Frage: Würde die FDP von Neuwahlen profitieren?
Lindner: Ja.
Frage: Was würde sich ändern, wenn die FDP in der Regierung wäre?
Lindner: Wir wollen, dass Bürger und Betriebe finanziell und von Bürokratie entlastet werden. Wir bekommen ein Einwanderungsgesetz, das weltoffen und steuernd zugleich ist. Wir machen weltbeste Bildung zum Mondfahrtprojekt des Landes. Wir starten die Energiewende mit Vernunft und Marktwirtschaft neu. Und wir nehmen die Einladung von Macron endlich an, Europas Kraft wieder freizusetzen.
Frage: Würde der FDP-Vorsitzende in eine Regierung einsteigen?
Lindner: Hätte es letztes Jahr geklappt, wäre ich gerne Finanzminister geworden.