LINDNER-Interview: Jamaika hat kaum eine Chance
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Stuttgarter Zeitung“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Thomas Maron und Christopher Ziedler:
Frage: Herr Lindner, über Ihre Fotokampagne wird mehr diskutiert, als über Ihre Politik. Wie fühlt man sich so als Popstar der deutschen Politik?
Lindner: Wir haben so viel Programm auf den Plakaten wie keine andere Partei. Wir zeigen mit unserer Kampagne, dass wir ein modernes, weltoffenes Deutschland wollen, das nicht im Status quo stehenbleibt. Diesen Tatendurst, den wir mit den Plakaten zeigen, wollen wir ins Parlament tragen.
Frage: Der Drops ist für Sie bei Umfragen von acht bis zehn Prozent doch schon gelutscht...
Lindner: Der Drops ist vielleicht für Frau Merkel schon gelutscht. Das Rennen um Platz eins ist gelaufen, aber nicht die Wahl. Denn die kleineren Parteien konkurrieren um Platz drei und dieser ist entscheidend für den Charakter des nächsten Bundestags. Im Falle der Fortführung der großen Koalition, die ich für wahrscheinlich halte, wird die drittstärkste Kraft die Opposition anführen und es ist besser für dieses Land, wenn dies mit der FDP aus der Mitte geschieht. Platz drei verleiht natürlich auch Gewicht für mögliche Gespräche über eine Regierungsbildung.
Frage: Umfragen zeigen mittlerweile eine deutliche Präferenz für Schwarz-Gelb, freut Sie das?
Lindner: Ich habe damit kein Problem. Und gäbe es eine schwarz-gelbe Mehrheit, würden wir selbstverständlich auch über eine Regierung sprechen. Aber die Hürden sind hoch. Frau Merkel hat sich beispielsweise offen gezeigt für ein Budget der Euro-Gruppe. Wenn das ein automatischer Finanzausgleich sein soll, bei dem Deutschland beispielsweise in den französischen Staatshaushalt einzahlt, sind wir da nicht dabei. In der Zuwanderungspolitik gibt es ebenfalls große Unterschiede zur Union, wir wollen ein Zuwanderungsgesetz mit klaren Regeln, die Union nicht. Wenn wir uns in diesen und anderen Punkten verständigen können, regieren wir gerne. Wir wollen ja Verantwortung übernehmen. Aber ansonsten werden wir so vorgehen wie in Baden-Württemberg, wo wir das Angebot von Winfried Kretschmann, uns einer Ampelkoalition anzuschließen, dankend abgelehnt haben.
Frage: Sie wollen uns erzählen, dass Sie bei einer schwarz-gelben Mehrheit sich ein Nein zu einer Regierungsbeteiligung vorbehalten?
Lindner: Wir haben nicht vier Jahre lang in der außerparlamentarischen Opposition geschmort, um dann in einer Regierung zu landen, in der man unsere Handschrift wieder nicht erkennen kann. Bitte missverstehen Sie mich nicht: Ich schätze unseren Einfluss realistisch ein und deshalb weiß ich, dass wir nicht all unsere Konzepte der Union diktieren können. Aber ein Politikwechsel muss zu erreichen sein. Wir müssen die eklatanten Bildungsdefizite ausmerzen statt immer nur den Sozialstaat zu reparieren, wirtschaftliches Vorankommen ermöglichen statt den Menschen Knüppel zwischen die Beine zu werfen, die Verantwortlichkeiten in Europa klar benennen statt Schulden zu vergemeinschaften. Wir brauchen Ordnung und Kontrolle bei der Zuwanderung statt grenzenloser Aufnahmebereitschaft, echte Sicherheit und schlagkräftige Behörden statt symbolischer Sicherheitsgesetze, die nur verunsichern, weil sie von Gerichten sofort wieder verworfen werden. Das ist die Trendwende, die wir wollen. Sonst gehen wir lieber in die Opposition.
Frage: Hat die FDP Frau Merkel nach den schlechten Erfahrungen bis 2013 schon wieder lieb?
Lindner: Frau Merkel hatte nichts zu tun mit dem Scheitern der FDP. Wenn man andere für sein Scheitern verantwortlich macht, ist man selber machtlos. Wenn man aber die eigenen Fehler erkennt, hat man die Macht, Fehler zu korrigieren. Wir haben aus Fehlern gelernt und werden sie nicht wiederholen. Wir lassen uns stattdessen neue einfallen. Denn fehlerfrei sind wir nicht.
Frage: Was war denn Ihr Hauptfehler?
Lindner: Die FDP hatte nicht die Ressorts reklamiert, die sie brauchte, um ihr damals sehr auf Steuersenkung fokussiertes Programm umzusetzen. In Nordrhein-Westfalen haben wir jetzt hingegen die Ressorts besetzt, die zu unseren Themen passen: Bildung, innovative Arbeitsplätze, Integration, Digitalisierung, Einwanderung. Wir haben außerdem gelernt, uns breiter aufzustellen. Man ist kein Liberaler, nur weil man Steuern senken will. Das will Herr Trump auch und der hätte bei uns nun wirklich keinen Platz. Liberalität ist eine Haltung zum Leben, geprägt vom Wunsch, Menschen in allen Bereichen ihres Alltags stark und selbstbestimmt statt machtlos zu machen.
Frage: Jamaika, ein Bündnis mit Union und Grünen, ist auch eine Option. Wäre das eine Spielwiese, auf der Sie sich wohl fühlen...
Lindner: Ich empfehle ganz generell eine Abrüstung in koalitionsphilosophischen Fragen. Es geht diesmal um eine Mehrheit, nicht um eine Offenbarung oder ein Generationenprojekt. Wir werden ganz pragmatisch klären, was mit wem erreicht werden kann. Gerade deshalb bin ich allerdings davon überzeugt, dass eine Jamaika-Mehrheit nicht zu einer Regierung führen wird. Die Grünen sind in der Einwanderungspolitik im Jahr 2015 stehen geblieben. Allein schon in dieser Frage würde man bei Jamaika nicht zusammenkommen. Und dann haben wir noch gar nicht über die grüne Forderung nach einem Verbot des Verbrennungsmotors geredet, die Herr Kretschmann zu Recht schwachsinnig genannt hat.
Frage: Sie schlagen die Tür zu?
Lindner: Ich schließe nicht aus, dass die Grünen ihr Programm über Bord werfen. Für Herrn Özdemir und Frau Göring-Eckardt geht es persönlich schließlich um alles oder nichts. Die grüne Taktik ist aber darauf gerichtet, die FDP zu bekämpfen, um schwarz-grün zu regieren. Herr Dobrindt und Herr Hofreiter in einem Kabinett, das wäre für mich als Oppositionspolitiker eine sportive Herausforderung.
Frage: Die Dieselaffäre und der Streit über die Zukunft der Autoindustrie prägen den Wahlkampf. Wissen Sie einen Königsweg?
Lindner: Es gibt keinen Königsweg, wir müssen unterschiedliche Instrumente gleichzeitig nutzen, um die Luftqualität in den Innenstädten zu verbessern: Wir müssen Heizungen sanieren. Wir müssen mehr für eine intelligente Verkehrsführung in den Innenstädten tun – freundliche Grüße an dieser Stelle an Fritz Kuhn und Winfried Hermann, die das als Grünen-Politiker total verpennt haben. Drittens muss es eine Entschädigung der Diesel-Käufer geben inklusive einer möglichen Motorenumrüstung auf Kosten der Hersteller. Wenn es für die Autohersteller schon keine Frage der Ehre ist, muss die Politik ihr Druck machen. Frau Merkel ist da zu zurückhaltend. Und es gibt direkte Einflussmöglichkeiten etwa bei VW über das Land Niedersachsen als Anteilseigner. Zuletzt müssen wir uns auch mit den Schadstoff-Grenzwerten beschäftigen. Die sind politisch gemacht und keine Offenbarung wie die Tafeln, mit denen Moses vom Berg gestiegen ist. Die Luftqualität hat sich in den vergangenen Jahren schon enorm verbessert, diesen Weg muss man weitergehen, aber nötigenfalls langsamer und mit Zwischenschritten.