LINDNER-Interview: Ich will heimliche Steuererhöhungen verhindern
Der FDP-Markenkern war während der Bundestagswahl das Versprechen: Keine Steuererhöhungen. Steht diese Zusage bis zum Ende der Legislaturperiode?
Lindner: Ja. In einem Höchststeuerland die Belastungen weiter zu erhöhen, würde die wirtschaftliche Entwicklung gefährden. Im Gegenteil, es ist schon gelungen, zu deutlichen Entlastungen zu kommen.
Warum gilt diese Zusage für Steuern, nicht aber für Sozialabgaben?
Lindner: Die Entwicklung der Sozialbeiträge besorgt mich ebenfalls. Hier haben wir nur einen mittelbaren Einfluss. Denn die Sozialversicherungen werden durch die Beiträge von Arbeitgebern und Beschäftigten getragen. Die Lage am Arbeitsmarkt, die Entwicklung der Demographie und Kostensteigerungen wirken sich aus. Vor allem aber hat die CDU-geführte Vorgängerregierung Leistungsversprechen beschlossen, die nie nachhaltig finanziert waren. Das ist eine Hypothek, an der wir arbeiten müssen.
In der Pflege-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung drohen immerhin steigende Beiträge von zusammen rund einem Prozentpunkt. Passt das zu Ihrem Versprechen, dass gerade kleine und mittlere Einkommen entlastet werden sollen?
Lindner: Die Gesamtbelastung soll und wird sinken. Beispielsweise wird der Beitrag zur Rentenversicherung schon im kommenden Jahr komplett von der Steuer absetzbar, das ist eine Entlastung von gut drei Milliarden Euro. Daneben stabilisieren wir die Sozialversicherungen aus dem Bundeshaushalt. Die gesetzliche Krankenversicherung bekommt zum Beispiel zusätzliche zwei Milliarden Euro als Zuschuss und eine Milliarde Euro Darlehen. Ohne das würden die Beiträge stark steigen. Zugleich wird Karl Lauterbach aber für das Jahr 2024 Reformvorschläge unterbreiten, denn dauerhaft können wir das aus Steuermitteln nicht stemmen.
Die Ampel plant weitere Entlastungen in Milliardenhöhe. (Darüber gleich mehr im Detail). Es hieß, das Paket sei „in den letzten Abstimmungen“. Können Sie uns einen zeitlichen Rahmen nennen?
Lindner: Die Entlastungsvorschläge sollten rechtzeitig zur parlamentarischen Beratung des Haushalts 2023 vorliegen.
Heißt konkret, wenn die Beratungen im September aufgenommen werden oder wenn der Haushalt im Dezember beschlossen wird?
Lindner: Es wird intensiv gearbeitet. Ich will jetzt öffentlich keine Frist setzen. Es sind ja teilweise weitreichende Vorhaben wie etwa für die Wohngeldreform oder das Bürgergeld. Dazu kommen die Maßnahmen im Bereich der Lohn- und Einkommensteuer und weitere Optionen, über die wir beraten.
Sind über die bekannten Vorhaben hinaus weitere Entlastungen im Gespräch. Können Sie sich über die genannten Vorhaben hinaus weitere Entlastungen vorstellen?
Christian Lindner: Für mich ist wichtig, dass wir am Ende ein Konzept haben, das drei Bausteine umfasst: Hilfe für Bedürftige, den Inflationsschutz für die arbeitende Mitte und gezielte wirtschaftliche Hilfen in den Bereichen, in denen Strukturbrüche drohen durch gestiegene Energie- und Gaspreise. Insgesamt sollten wir es anders machen, als beim ersten und zweiten Entlastungspaket, die wir dieses Jahr geschnürt haben.
Wieso?
Lindner: Das waren viele Einzelmaßnahmen, mit denen wir rasch auf den Schock des Ukraine-Kriegs geantwortet haben. Inzwischen wissen wir, dass wir es mit dauerhaften und strukturellen Herausforderungen zu tun haben. Da sollten wir andere Instrumente einsetzen.
Olaf Scholz hat gestern verkündet, dass es eine Mehrwertsteuersenkung auf Gas geben soll. Droht durch das Absenken des Preises nicht, dass der Anreiz zum Energiesparen verloren geht?
Lindner: Die Gaspreise sind so hoch, dass viele Menschen sich große Sorgen machen. Da fehlt kein Anreiz zum Energiesparen. Angesichts der Preise für Heizenergie reguliert niemand mit dem Fenster die Raumtemperatur.
Droht sich hier nicht das Szenario Tankrabatt zu wiederholen? Wie garantiert der Bund, dass hier die Entlastung an den Verbraucher weitergegeben wird?
Lindner: In der Frage ist eine falsche Feststellung. Denn der Tankrabatt wurde ja sehr weitgehend weitergegeben. Studien zeigen, dass er komplett bei den Menschen ankam. Es ist jedenfalls gelungen, steuerliche Inflationsgewinne beim Staat zu verhindern.
Die Ampel hat also sichergestellt, dass bei der Umlage der Rabatt weitergegeben wird?
Lindner: Der Bundeskanzler und Robert Habeck haben an die Unternehmen appelliert, dies zu tun. Diesen Appell teile ich. Tatsächlich bin ich bei der Senkung von Verbrauchssteuern zurückhaltend. Auch beim Tankrabatt hatte ich ursprünglich ja andere Vorstellungen. Jetzt gab es aber keine bessere Option. Denn auf eine Maßnahme des sozialen Ausgleichs wie die Gas-Umlage noch Mehrwertsteuer zu erheben, das wäre politisch falsch.
Die Finanzstärksten 10 Prozent des Landes nutzen doppelt so viel Gas, wie die ärmsten 10 Prozent. Finanziert dann nicht derjenige, der nur seine Einzimmerwohnung heizen muss plötzlich den Wintergarten vom Hausbesitzer mit?
Lindner: Nein, denn wir zahlen ja alle einen Preis pro Kilowattstunde. Wer mehr verbraucht, der zahlt entsprechend mehr.
Ein zentraler Vorschlag von Ihnen ist die Einkommenssteuersenkung. Grüne und SPD kritisieren, dass es sich bei Ihrer Einkommenssteuersenkung um ein enorm teures Vorhaben handelt, was besonders Gutverdienern zugutekommt.
Lindner: Nein, ich schlage keine Steuersenkung vor. Ich will heimliche Steuererhöhungen verhindern. Je höher das Einkommen, desto höher der Prozentsatz, den man an Steuern zahlen muss. Das ist richtig so. Aber wenn die Leistungsfähigkeit gar nicht steigt, man wegen der Inflation aber dennoch höhere Steuern zahlen muss, dann ist das unfair. Diese heimlichen Steuererhöhung durch die kalte Progression will ich verhindern.
Braucht jemand mit keinem oder einem geringen Einkommen ein paar Hundert Euro gerade nicht dringender als jemand, der ein Jahresgehalt von 60 Tausend Euro aufwärts hat?
Lindner: Die notwendige Unterstützung von Bedürftige ist das eine, Fairness gegenüber der Mitte der Gesellschaft ist das andere. Das sollte man nicht gegeneinander ausspielen. Wer 40.000, 50.000 oder 60.000 Euro verdient, viel an Steuern abgibt, seine Gasrechnung selbst zahlt, dem möchte ich zumindest eine Steuererhöhung ersparen.
Wir sprechen hier immerhin von einer Maßnahme, die den Bund rund 10 Milliarden Euro kostet. In Zeiten der notwendigen Priorisierung also nochmal die Frage: Braucht jemand wie Sie das Geld?
Lindner: Es geht nicht um mich. Deshalb ist die Wirkung auch bei etwa 62.000 Euro Einkommen gedeckelt. Die 10 Milliarden Euro wären Einnahmen aus einer Steuererhöhung, die schlicht durch politische Unterlassung zustande kommt. In den letzten zehn Jahren wurde das Steuersystem immer an die Inflation angepasst. Ausgerechnet jetzt, wo die Inflation besonders hoch ist, wird das in Frage gestellt? Das halte ich für falsch.
Sie sprachen jetzt nur von der arbeitenden Mitte der Gesellschaft. Was ist mit den Einkommensschwächeren?
Lindner: Moment, auch Einkommensschwächere gehören zur arbeitenden Mitte. Hier wollen wir den Kreis der Berechtigten für das Wohngeld ausweiten. Zudem sollten Heizkosten mit einbezogen werden. In der Diskussion ist zudem, dass Einmalzahlungen von Arbeitgebern bei den Menschen steuerfrei ankommen sollen. Das gab es mit dem Corona-Bonus bereits.
Ist es nicht ein Unterschied, ob ich passiv mehr Geld über die Einkommenssteuer bekomme, oder beim Amt Wohngeld beantragen muss. Machen Sie mit dieser Politik nicht unzählige Deutsche zu Sozialfällen?
Lindner: Niemand muss sich schämen, die Solidarität unserer Gesellschaft in Anspruch zu nehmen.
Wird die Schuldenbremse trotz der geplanten Entlastungen in jedem Fall eingehalten?
Lindner: Ich bin überzeugt, dass wir aus verfassungsrechtlichen Gründen da keinen Entscheidungsspielraum haben. Angesichts der für den Staat gestiegenen Zinsen und der Inflation gibt es auch ökonomisch gute Gründe, mit immer mehr Schulden aufzuhören. Der Haushaltsentwurf, den wir vor der Sommerpause beschlossen haben, enthält bereits Vorsorgen, so dass wir alle notwendigen Maßnahmen realisieren können.