28.01.2018FDPFDP

LINDNER-Interview: Ich befürchte Schlimmes

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der B.Z. am Sonntag (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Ulrike Ruppel.

Frage: Herr Lindner, was sagen Sie zum GroKo-Hin-und-Her der Sozialdemokraten?

Lindner: Die Debattenkultur in der SPD hat mich beeindruckt. Die knappe Mehrheit für Koalitionsverhandlungen zeigt, dass es nicht nur in der FDP, sondern auch anderswo den Wunsch nach einer echten Erneuerung gibt – und die Bereitschaft, mutige Entscheidungen zu treffen, um dem „Weiter so" von Frau Merkel zu entgehen.

Frage: Ist es nicht bedenklich, wenn Parteien nicht mehr bereit sind, sich zurückzunehmen, um Kompromisse zu finden?

Lindner: Diese Sichtweise finde ich vordemokratisch. Die Wahrheit ist, dass eine Demokratie Kontroverse und Unterschiede braucht. Es ist ein Problem, wenn Parteien kein eigenes Profil mehr haben. Die Union hat bei den Jamaika-Gesprächen unsere physikalischen Bedenken bei der grünen Klimapolitik in den Wind geschlagen. Jetzt fordert die CDU plötzlich selbst im Brustton der Überzeugung Realismus bei den Klimazielen. So eine Kompromissfähigkeit darf nicht in Beliebigkeit umschlagen. Auch der Verzicht auf einen gedanklichen Überbau, eine politische Leitidee betäubt die Politik und macht leider die Ränder stark.

Frage: Das klingt, als wären Sie für eine Minderheitsregierung?

Lindner: Wenn diese Große Koalition scheitert, wäre eine Neuwahl die klarste und sauberste Lösung. Die politische Landschaft hat sich verändert, das Personal hat sich verändert – siehe Grüne, siehe CSU. Deshalb würde das Ergebnis einer Neuwahl vermutlich auch anders ausfallen als im September.

Frage: Dann könnte man auch wieder über Jamaika sprechen?

Lindner: Was nach der nächsten Wahl an neuen Ideen im Spiel ist, wird man dann sehen. In den jetzigen Wahlprogrammen sind die Gegensätze zu groß.

Frage: Sehen Sie Bewegung bei den Grünen?

Lindner: Die Grünen sind nach eigenen Angaben eine linke Partei. Bei den Jamaika-Gesprächen war zu spüren, dass sie die Gesellschaft umbauen, Unterschiede einebnen und Menschen erziehen wollen. Wir haben für das Gegenteil geworben. Der Strippenzieher hinter den Kulissen hieß Jürgen Trittin. Jetzt sagt Herr Habeck, man wolle liberaler werden. Solche Ankündigungen gab es öfter. Ich bin gespannt, was dieses Mal daraus wird.

Frage: Was erwarten Sie von einer neuen GroKo für Deutschland?

Lindner: Ich erwarte – nichts. Es ist die Methode Merkel, dass Widersprüche mit Milliarden an Steuergeld zugeschüttet werden und notwendige Richtungsentscheidungen weggeschwiegen werden. Und wo Union und SPD tatsächlich etwas ändern wollen, befürchte ich Schlimmes – nämlich bei der Reform der Euro-Zone. Schon während der Jamaika-Gespräche war zu spüren, dass Frau Merkel hier die Linie von Wolfgang Schäuble verlassen und stärker auf die der Grünen einschwenken wollte. Wir Deutschen haben immer Wert auf die finanzpolitische Eigenverantwortung der Euro-Mitgliedstaaten gelegt.

Frage: Was sagen Sie?

Lindner: Für die FDP ist es ein Gebot der Klugheit, daran festzuhalten, damit die Reformanreize zum Beispiel in Italien erhalten bleiben. Ein Teil der CDU, die SPD und die Grünen wollen anderes. Das könnte dazu führen, dass der Bundestag seinen Einfluss auf Euro-Rettungsaktionen verliert und die Kunden deutscher Sparkassen und Banken für marode Institute anderswo in Mithaftung genommen werden.

Frage: Was ist mit der weiteren GroKo-Agenda?

Lindner: Von dieser Großen Koalition geht kein Erneuerungsimpuls aus. Wie bei den Jamaika-Gesprächen bleiben die großen Fragen ungelöst. Ein modernes, konsequentes Einwanderungsrecht? Mehr Standards und Vergleichbarkeit in der Bildungspolitik? Eine spürbare finanzielle und bürokratische Entlastung der Bürger? Konzepte für die Digitalisierung? Leider Fehlanzeige.

Frage: Hätten Sie vielleicht doch besser mitregiert ...

Lindner: Mit 10,7 Prozent kann man bei Partnern, die in eine andere Richtung wollen, nicht den Kurs bestimmen. Fairerweise muss man sagen, dass zwei Punkte bei der Großen Koalition besser sind als das, was bei Jamaika möglich war.

Frage: Was ist besser?

Lindner: Auch wenn es keine große Reform des Bildungsföderalismus gibt, soll immerhin die Beteiligung des Bundes an der Finanzierung von Schulen möglich werden. Bei uns hatten sich der Grüne Winfried Kretschmann und die CSU noch dagegen gesperrt. Zweitens bleibt uns ein planwirtschaftliches Deindustrialisierungs-Programm der Grünen inklusive Fahrverboten erspart. Mit dem bloßen Aufschieben der Klimaziele, ohne neue Konzepte, bleiben Union und SPD nur leider auf halbem Weg stecken. Wir brauchen smarte, neue Strategien, um die Klimaziele zu erreichen – durch Technologie und marktwirtschaftlichen Ideenwettbewerb.

Frage: Das Jamaika-Aus hat die FDP Zuspruch gekostet. Haben Sie sich verkalkuliert?

Lindner: Es war eine Entscheidung aus Überzeugung und nicht aus Taktik heraus. Die Leute, die uns nicht mögen, hätten uns so oder so kritisiert. Wir wären wieder als postengierige Umfaller beschimpft worden, weil wir in Jamaika nichts umgesetzt hätten. Jetzt gibt es eben Kritik, weil wir CDU, Grünen und SPD das Leben schwermachen. Die letzten Umfragen sind wieder auf zehn Prozent gestiegen, weil die Leute sehen, dass wir es ernst meinen.

Frage: Wie hart waren die letzten Wochen?

Lindner: Während unserer Abwägung war mir klar: Das wird ruppig. Finanzminister zu werden, wäre kurzfristig der leichtere Gang gewesen.

Frage: Vielleicht hätten Sie manches verhindern können, was Sie jetzt kritisieren.

Lindner: Nein, so läuft das nicht in der Politik. Man kann nicht Finanzminister werden und dann in Opposition zur eigenen Regierung treten. Was im Koalitionsvertrag steht, wird umgesetzt. Deshalb muss von vornherein die Richtung stimmen. Sonst lässt man es besser sein.

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