LINDNER-Interview: Grundsatztreue ist unbequem
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab dem Straubinger Tagblatt (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Markus Peherstorfer.
Frage: Herr Lindner, haben Sie eigentlich schon genug an Ihrem Rudergerät trainiert, um nach den Jamaika-Sondierungen wieder Ihr Idealgewicht zu erreichen?
Lindner: Machen Sie sich keine Sorgen, das geht alles vorwärts. Ich habe jetzt im Karneval ein bisschen Zeit, Urlaub zu machen. Seit dem Sommer war das nicht mehr möglich, und ich freue mich darauf.
Frage: Ist der parlamentarische Normalbetrieb also weniger stressig als die Jamaika-Sondierungen?
Lindner: Das letzte Jahr war sehr herausfordernd: Wahlkampf als Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen, danach Verhandlungsführer bei der schwarz-gelben Regierungsbildung in Düsseldorf, dann Wahlkampf als Spitzenkandidat im Bund und Sondierungen zu einer Jamaika-Koalition – inklusive der Nachbereitung und der Reise durch ein politisches Sturmgewitter, nachdem wir unser Wort wichtiger genommen haben als das, was andere aus uns machen wollten, nämlich einen bloßen Mehrheitsbeschaffer. Es war ein hartes Jahr.
Frage: Am Politischen Aschermittwoch treten Sie wieder in Dingolfing auf. Wen werden Sie sich rhetorisch am stärksten zur Brust nehmen?
Lindner: Auch am Politischen Aschermittwoch steht für uns die Abarbeitung an der Sache und nicht am politischen Gegner im Vordergrund. Da, wo man über die CSU sprechen muss, die während der Jamaika-Verhandlungen jede Reform des Bildungsföderalismus blockiert hat, wo man über die Grünen sprechen muss, die immer noch mehr Umverteilung propagieren, über die AfD, die völkisches Denken vertritt und unser Land abschotten will – dort, wo man über die Probleme bei den politischen Mitbewerbern sprechen muss, da tut man das.
Frage: Können Sie damit leben, dass Sie bei den anderen Parteien vermutlich eine der Hauptzielscheiben für Spott und Hohn werden?
Lindner: Ja. Die FDP hat es den anderen ja auch schwergemacht. CDU, CSU, Grüne und SPD können nicht mögen, dass die FDP ihre Eigenständigkeit in der Sache betont hat und dass wir uns nach der Wahl gebunden gefühlt haben an unsere Zusagen. Es hat ja in allen diesen Parteien seitdem enorme Bewegungen gegeben. Denken Sie an die CSU, die einen Generationenwechsel eingeleitet hat, an die Grünen, die einen Führungswechsel vollzogen haben, an die CDU, in der eine Debatte über die Zukunft schwelt, und die SPD, auf deren letztem Bundesparteitag man die Schwierigkeiten gesehen hat, eine Linie zu finden.
Frage: War es ein strategischer Fehler, Jamaika platzen zu lassen?
Lindner: Wie kommen Sie darauf? Was könnte da der Fehler gewesen sein?
Frage: In Bayern steht die FDP nach dem Jamaika-Aus auf der Kippe, ob sie den Einzug in den Landtag schafft. Da lagen Sie schon besser.
Lindner: Die Fakten sind andere. Die FDP ist in den Umfragen nicht abgesackt. Zuletzt haben uns die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die ARD bei zehn Prozent gemessen, bei Forsa sind wir auf neun gestiegen. Die Wahrheit ist: Die FDP steht stabil an der Zweistelligkeit, obwohl alle Mitbewerber und deren Unterstützer sich an uns abarbeiten. Zu den eigenen Grundsätzen zu stehen und weiter die Partei zu sein, die das Land erneuern will, das war eine Investition, die uns stärker macht. Wir haben diese Entscheidung nicht aus taktischen Motiven getroffen, sondern aus Überzeugung. Diese Überzeugungsstärke hilft uns eher. Wir beweisen in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, dass wir regieren können, wenn die Richtung stimmt. Aber ich betrachte es als ein Alleinstellungsmerkmal der FDP, zu sagen: Bei aller Kompromissbereitschaft gibt es auch Grenzen des Kompromisses. Wir wollen eine Politik machen, die eine Haltung hat. Das, was beispielsweise die große Koalition beschlossen hat beim Familiennachzug, drückt keine Haltung aus.
Frage: Inwiefern?
Lindner: 1000 im Monat, das ist eine willkürlich gegriffene Zahl. Entweder man öffnet den Familiennachzug für Härtefälle und gut integrierte Menschen, wie wir das wollen. Oder man ist komplett dagegen, wie die AfD. Das ist herzlos. Oder man ist dafür, dass jeder die Familie nachholen kann, wie die Grünen – ob integriert oder nicht, Arbeit oder nicht, Aufenthaltsperspektive oder nicht. Das ist naiv, aber es ist eine Haltung. Aber das, was die GroKo gemacht hat, ist keine Haltung. Einen Formelkompromiss ohne innere Begründung unterstützen wir nicht.
Frage: Sind Sie eigentlich manchmal neidisch auf die GroKo-Verhandler? Dort scheinen Kompromisse ja zumindest möglich zu sein.
Lindner: Union und SPD sind sich in der Sache viel näher, als CSU, Grüne und FDP es waren. Diese drei Parteien hatten jeweils harte, sehr unterschiedliche Positionen. Deshalb kann man diese Gespräche nicht vergleichen. Allerdings kann man zwei Dinge feststellen. Erstens: In den allermeisten Fragen unterscheiden sich die Jamaika-Zwischenstände, die uns nicht gereicht haben, nicht von dem, was die GroKo jetzt verabredet.
Frage: Und zweitens?
Lindner: In zwei Bereichen gibt es allerdings gegenüber Jamaika Verbesserungen. Die erste Verbesserung betrifft die Energie- und Industriepolitik: Hier gibt es einen neuen Realismus. Die CDU hat eine 180-Grad-Wende hingelegt: Erst wollte sie den Grünen alles zusagen und konnte auf die Schnelle nicht genug Kohlendioxid einsparen – plötzlich ist jetzt von Realismus die Rede und Fahrverbote sollen vermieden werden. Herzlichen Glückwunsch, das ist die alte FDP-Position! Der zweite Punkt ist der Bildungsföderalismus. Winfried Kretschmann und Horst Seehofer waren gegen jede Reform. Die große Koalition öffnet jetzt die Tür wenigstens einen kleinen Spalt in die richtige Richtung.
Frage: Mit welchen Themen wollen Sie künftig in der Opposition punkten?
Lindner: Mit denselben, für die wir in den Bundestag gewählt worden sind: Bildungsqualität im Weltmaßstab, indem auch digitale Methoden genutzt werden und der Bund für mehr Vergleichbarkeit und Finanzierbarkeit sorgt. Zweitens eine Entlastung der Menschen von ärgerlicher Bürokratie und finanzieller Überlastung, damit sie wirtschaftlich vorankommen, damit neue Start-ups gegründet werden, die Zukunftsarbeitsplätze schaffen. Drittens ein Europa als Raum der Freiheit, in dem es aber mehr Rücksichtnahme auf regionale Besonderheiten gibt und in dem vor allem Verantwortung, Haftung und Finanzen nicht vergemeinschaftet werden. Viertens eine nach kanadischem Vorbild organisierte Einwanderungspolitik, die klaren Regeln folgt, damit sich das Chaos nicht wiederholt, das wir 2015 erlebt haben. Das bleiben die Themen.
Frage: Haben Sie schon eine Linie gefunden, wie Sie mit der AfD umgehen?
Lindner: Ja. Wir wollen die Probleme klein machen, die die AfD großgemacht haben. Das ist insbesondere die Einwanderungspolitik. Deshalb ist es bedauerlich, dass weder Jamaika noch die große Koalition in der Lage sind, eine wirklich grundlegende Reform zu erreichen und sich endlich von der Lebenslüge zu verabschieden, wir seien kein Einwanderungsland. Beim Fachkräftezuzug stand die CSU auf der Bremse. Bei der Begrenzung und Steuerung der zeitweiligen humanitären Einwanderung waren die Grünen der bremsende Faktor. Jetzt hat die SPD diese Rolle übernommen – ich glaube, die Sozialdemokraten verkennen völlig, was die eigenen Wähler wollen. Und außerdem darf die AfD keinen Opfermythos bekommen, indem sie unfair behandelt wird. Diese Partei wurde als dritte Kraft ins Parlament gewählt. Deshalb erkennen wir beispielsweise ihr Recht bei der Besetzung der Ausschussvorsitze an, die ihnen zustehen.
Frage: Deshalb haben Sie also als einzige der anderen Fraktionen für den umstrittenen AfD-Politiker Peter Boehringer als Vorsitzenden des Haushaltsausschusses gestimmt?
Lindner: So ist das. Da sind wir gute Demokraten und ertragen die AfD dort. Lediglich bei Gremien wie jenem der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas oder der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die vom Geiste her schon gegen die Positionen der AfD gegründet worden sind, da werden wir uns dafür starkmachen, dass ihnen gar keine AfD-Vertreter angehören.
Frage: Was erwarten Sie sich von der Landtagswahl in Bayern?
Lindner: Die FDP wird gestärkt in den Bayerischen Landtag zurückkehren als eine Kraft der politischen Mitte. Wir sind gegen eine absolute Mehrheit irgendeiner Partei, somit auch der CSU. Nach der Wahl wollen wir schauen, was sich ergibt. Eins ist jedenfalls klar: So wie wir bereit sind zur Übernahme von Verantwortung – das zeigen wir ja in drei Ländern –, scheuen wir uns auch nicht vor der Oppositionsrolle, wenn eine Erneuerung des Landes von der Regierung aus nicht möglich ist.
Frage: Der künftige Ministerpräsident Markus Söder hat sich schon skeptisch zu einer möglichen Koalition mit Ihnen geäußert.
Lindner: Wenn Herr Söder lieber mit Grünen und Freien Wählern regieren will, nachdem er die absolute Mehrheit verfehlt hat, ist das seine Sache. Das können die Wähler dann aber beurteilen, insbesondere im ländlichen Raum. Wenn die CSU sich den Grünen näher fühlt als der FDP, sagt das mehr über die CSU und Herrn Söder als über uns.
Frage: Welches Signal soll von Ihrem Auftritt am Politischen Aschermittwoch in Dingolfing ausgehen?
Lindner: Dass die FDP mit sich im Reinen ist und dass wir uns gestärkt fühlen dadurch, unsere Unabhängigkeit und unsere Überzeugungen vertreten zu haben.