06.04.2013FDP, FDP-FraktionAußenpolitik

LINDNER-Interview für "Die Welt"

Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der "Welt" (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten THORSTEN JUNGHOLT und KARSTEN KAMMHOLZ:

Frage: Schlagen Sie Brücken, Herr Lindner, Sie können das! Mit dieser Aufforderung entlässt Sie Hans-Dietrich Genscher aus Ihrem gemeinsamen Interview-Buch. Welche Brücken meint der FDP-Ehrenvorsitzende?

LINDNER: Wir wollen Brücken schlagen von der FDP zu den Menschen, die an der liberalen Partei gezweifelt haben. Wir wollen eine Brücke schlagen von einer großen Tradition zu zukünftigen Gestaltungsaufgaben. So wie das Buch selbst eine Brücke zwischen zwei Generationen ist.

Frage: Die Brücke zur SPD haben Sie vergessen.

LINDNER: Nein, es geht eben ausdrücklich nicht um solche Signale. Wir sprechen uns in aller Klarheit für eine Fortsetzung der erfolgreichen schwarz-gelben Koalition aus. Unser Buch hat auch keinen personalpolitischen Hintergrund, worüber ja ebenfalls spekuliert wird. Um solchen Interpretationen nicht Vorschub zu leisten, hatten wir übrigens bewusst keine Präsentation vor der Hauptstadtpresse geplant. Wer das tut, muss eine Schlagzeile für den nächsten Tag zu Personal- oder Koalitionsfragen liefern wollen. Das wollten wir nicht, weil es uns um die Sache geht.

Frage: Wir lesen, dass Sie genauso viele Gesprächspartner bei der SPD haben wie bei der CDU. Worüber reden Sie mit denen, wenn nicht über eine künftige Zusammenarbeit?

LINDNER: Ich halte es für wichtig zu wissen, was der politische Mitbewerber denkt. Aus diesen Gesprächen weiß ich, dass der industriepolitisch aufgeklärte Teil der SPD in der Minderheit gegenüber dem sozialpopulistischen Flügel ist. Deshalb ist die SPD programmatisch vor der erfolgreichen Agenda-Politik auf der Flucht.
Frage: Gab es Reaktionen aus der SPD auf Genschers Hommage an die sozialliberalen Zeiten?

LINDNER: Das weiß ich nicht. Zur erfolgreichen Ostpolitik, der emanzipatorischen Gesellschaftspolitik und den bildungspolitischen Impulsen der sozialliberalen Koalition kann sich die FDP aber unverändert bekennen. Leser aus der SPD würden sicher registrieren, dass Hans-Dietrich Genscher die Notwendigkeit der Wende von 1982 hin zu einer marktwirtschaftlichen Politik mit der Union in unserem Buch ausdrücklich unterstrichen hat.

Frage: Genscher sagt: Die FDP muss sich aus der Lage befreien, entweder mit der Union zu regieren oder in der Opposition zu sitzen. Gilt diese Analyse heute nicht mehr?

LINDNER: Dieses Zitat bezog sich auf die 1960er Jahre. Die nachfolgende Geschichte hat gezeigt, dass die FDP eine eigenständige Kraft in der Mitte des Parteiensystems wurde. Die Zusammenarbeit ergibt sich aus Schnittmengen in der Sache. Und heute ist es schlicht so, dass die SPD von der Agenda-Politik eines Gerhard Schröder nichts mehr wissen will.

Frage: Peer Steinbrück ist doch auch ein Agenda-Mann.

LINDNER: Würde Peer Steinbrück offen sagen, was er noch kürzlich in seinen Büchern geschrieben hat, dann wäre er bereits als Kanzlerkandidat in der SPD so isoliert, wie es Helmut Schmidt am Ende seiner Kanzlerschaft war. Stattdessen liebäugelt Herr Steinbrück mit den Rezepten des französischen Präsidenten Hollande. Dessen Steuererhöhungen und Staatseingriffe in die Wirtschaft führen nachweislich zu steigender Arbeitslosigkeit und wachsendem Staatsdefizit. Anders als Herr Steinbrück möchte ich das nicht nach Deutschland importieren.

Frage: Unter welchen Bedingungen ist eine sozialliberale Neuauflage zusammen mit den Grünen überhaupt vorstellbar?

LINDNER: Ich halte das für kein realistisches Szenario.

Frage: Gelb und grün passt unter keinen Umständen zusammen?

LINDNER: In der Machtauseinandersetzung dieses Jahres sind Liberale und Grüne die Pole. Die FDP steht für Selbstbestimmung, Verantwortungsgefühl, wir trauen den Bürgern etwas zu. Grüne greifen mit erhobenem Zeigefinger in das Privatleben ein, sie wähnen sich in die Geheimnisse der Geschichte eingeweiht, sie missbrauchen den Staat als Instrument für ihre wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Reißbrettplanungen. FDP und Grüne, das ist Voltaire gegen Rousseau.

Frage: Eine Ampel ist also definitiv ausgeschlossen?

LINDNER: Die Zusammenarbeit mit einer Partei, deren Programm auf autoritärer Verbotspolitik, Umverteilung zu Lasten von Arbeitsplatzchancen und der Huldigung besserwisserischer Eingriffe in Wirtschaft und Gesellschaft fußt, ist für einen Liberalen von begrenztem Reiz.

Frage: Wie hat eigentlich Parteichef Rösler auf Ihr Buch mit Genscher reagiert?

LINDNER: Er hat mir letzte Woche zum auszugsweisen Vorabdruck des Kapitels zur Verantwortungswirtschaft gratuliert.

Frage: Kein Neid, dass Genscher Ihnen seine Gunst so überschwänglich widmet?

LINDNER: Er wird das Buch so verstehen, wie es gemeint ist: Als einen der Beiträge, für die FDP neues Vertrauen zu erarbeiten.

Frage: Hat die FDP Rösler unterschätzt? Spätestens nach Ihrem Rücktritt als Generalsekretär Ende 2011 galt er nur noch als Parteichef auf Abruf.

LINDNER: Inzwischen sind alle Führungsfragen geklärt. Ich bin froh, dass Rainer Brüderle und Philipp Rösler sich gefunden haben. In neuen Rollen arbeiten wir alle gemeinsam, jeder auf seine Weise, an der Aufgabe, dass Deutschland weiter aus der Mitte regiert wird.

Frage: Rösler ist im Deutschlandtrend in der Beliebtheitsliste der Politiker wieder auf den Tiefstwert von 18 Prozent Zustimmung gefallen. Was macht der Kollege falsch?

LINDNER: Sie glauben noch an Umfragen? Bei drei Landtagswahlen in Folge wurden wir unter der Fünfprozenthürde verortet - und lagen dann am Wahltag näher bei zehn Prozent. Das wiederholen wir im Herbst.

Frage: Was muss noch ins Wahlprogramm?

LINDNER: Wir arbeiten an Details, aber inzwischen ist es ein sehr guter Entwurf. Es war richtig, dass die Steuerpolitik couragierter hervorgehoben worden ist. Unsere Priorität liegt bei der Entschuldung der Haushalte. Aber die Ziele der Steuervereinfachung und in einer längerfristigen Perspektive auch der Entlastung der Mitte sind unverändert richtig.

Frage: In der Union wird mit einem Spitzensteuersatz von 53 Prozent geliebäugelt...

LINDNER: Das unterstreicht die Bedeutung der FDP. Das oft gehörte Argument, dass es unter Helmut Kohl diesen Spitzensteuersatz gab, ist übrigens Rosstäuscherei. Damals galt eine ganz andere Bemessungsgrundlage, insbesondere für die mittelständische Wirtschaft. Die gültigen Steuersätze haben zu Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit beigetragen. Davon profitieren Millionen neue Arbeitsplatzbesitzer. In Zeiten von Rekordeinnahmen des Staates sind nicht angeblich zu niedrige Steuersätze die Gerechtigkeitsfrage, sondern die kalte Progression. Es ist skandalös, dass den Menschen von ihren Lohnsteigerungen wenig bleibt, weil der Staat über das Steuerrecht stärker vom Aufschwung profitiert als die Bürger. Zu verantworten hat das die rot-grüne Blockademehrheit im Bundesrat.

Frage: Wann öffnet sich also wieder ein Fenster für Steuersenkungen?

LINDNER: Jetzt einen genauen Zeitpunkt zu nennen, wäre nicht seriös. Aber in der mittelfristigen Finanzplanung von Herrn Schäuble sind doch jetzt schon Haushaltsüberschüsse prognostiziert. Das zeigt: Es wird zukünftig Spielräume geben, die auch für Entlastungen genutzt werden können, wenn nicht sofort wieder neue Staatsaufgaben erfunden werden.

Frage: Ab wann?

LINDNER: Schritt für Schritt mit Erfolgen bei der Haushaltskonsolidierung. Es ändert sich ja nichts an der Neuordnung der Prioritäten der FDP: Wir wollen erst den Haushalt in Ordnung bringen - das ist die Lehre aus der Staatsschuldenkrise in Europa. Danach kann man an eine Spardividende für die Bürger denken. Der strukturelle Ausgleich 2014 und der Verzicht auf eine Kreditaufnahme 2015 sind wichtige Meilensteine.

Frage: Wenn Sie an der Regierung bleiben…

LINDNER: Darum kämpfen wir. Schwarz-Gelb ist nah an einer Mehrheit. Viele FDP-Wähler von 2009 sind zudem nicht bei einer anderen Partei gelandet, sondern bei den Nichtwählern. Die beobachten uns. Und wenn wir es richtig machen, dann sind sie auch wieder bereit, uns zu unterstützen. Das haben die Landtagswahlen gezeigt.

Frage: Nächste Woche gründet sich die Alternative für Deutschland. Macht Ihnen die neue Konkurrenz im bürgerlichen Lager Sorgen?

LINDNER: Nein. Da erklären Professoren, was man angeblich vor 20 Jahren hätte tun müssen. Es geht aber um die Gestaltung der Zukunft. Der Mittelstand will nicht mehr zurück in die Zeiten der Währungsschwankungen. Die FDP weiß, was wir an Europa und dem Euro haben. Wir wollen aber beides besser machen, durch mehr Wettbewerbsfähigkeit, Stabilität und Subsidiarität.

Frage: Die Alternative könnte Ihnen und der Union aber zwei, drei Prozentpunkte abnehmen, die dann für eine Mehrheit fehlen.

LINDNER: Das sehe ich nicht. Die Alternativen sind klar: Schwarz-Gelb oder Rot-Grün mit der Machtreserve der Linkspartei. Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen kam so an die Macht. Die Wähler in der bürgerlichen Mitte sind hellwach.

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