LINDNER-Interview für die „Thüringische Landeszeitung“
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Thüringischen Landeszeitung“ (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Hartmut Kaczmarek:
Frage: In Thüringen stehen in diesem Jahr Landtagswahlen an. Mittlerweile flirten hier im Freistaat die CDU und die Grünen ganz offen miteinander. Schwarz-Grün ist in Thüringen eine Option. Wenn der FDP der mögliche Koalitionspartner CDU abhandenkommt, was dann?
Lindner: Das sagt ja manches über die verloren gegangene bürgerliche Identität der Union. Wir definieren uns aber nicht länger in Abhängigkeit von anderen Parteien, sondern über eigene Positionen. Wir verbinden den Einsatz für eine starke Marktwirtschaft mit der Arbeit für eine tolerante Gesellschaft. Die Kombination gibt es sonst nirgends. Wie groß diese Lücke ist, kann man derzeit im Bundestag sehen.
Frage: Und Schwarz-Grün?
Lindner: Wenn CDU und Grüne einander näherkommen, dann ist das so, als ob Vater Staat und Mutter Erde sich die Hand reichen. In Hessen tauchte in der Regierungserklärung das Wort Freiheit deshalb nicht auf. Stattdessen erhöhen die die Grunderwerbsteuer, mit denen jungen Familien der Weg zur eigenen Wohnung weiter erschwert wird. Wir setzen uns dagegen für diejenigen ein, die sich mit Fleiß etwas aufbauen wollen.
Frage: Mit welchem Wahlziel geht die FDP in Thüringen in die Landtagswahl? Wiedereinzug in den Landtag ist doch sicherlich das mindeste?
Lindner: Ich bin mir sicher, dass Uwe Barth und unsere Freunde in Thüringen weiter dem Landtag angehören werden. Es braucht eine Partei, die im Zweifel der Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger eine Chance gibt, bevor nach dem Staat gerufen wird. Eine Partei, die den Respekt vor individueller Anstrengung, vor dem privaten Eigentum, den persönlichen Lebensentscheidungen und der Privatsphäre nicht verloren hat.
Frage: Diese bürgerliche Ausrichtung der Politik nimmt auch die CDU für sich in Anspruch. Wo ist der Unterschied?
Lindner: Die CDU ist in weiten Teilen leider erkennbar nicht mehr der Anwalt dieser bürgerlichen Werte, weil sie mehr Schulden macht, Wahlgeschenke verteilt, die Belastungen erhöht und weil sie in freie Lebensentscheidungen ohne große Skrupel eingreift. Damit hat sie sich von den Prinzipien bürgerlicher Politik in der Großen Koalition kampflos verabschiedet.
Frage: Frau Lieberknecht ist eine Protagonistin einer Entwicklung der CDU, die Uwe Barth gerne als Sozialdemokratisierung der CDU bezeichnet. Liegt hier die Chance der FDP als eine Art Korrektiv?
Lindner: Der Wirtschaftsflügel und die Konservativen in der CDU haben die Notwendigkeit der FDP gerade in dieser Woche betont. Deren Appell richtet sich weniger an uns als an Frau Lieberknecht. Derzeit weiß man ja nicht mehr, wo die CDU aufhört und die SPD anfängt. Dazu ist die FDP der klare Kontrast – in Thüringen wie in Berlin.
Frage: Steuerhinterziehung ist derzeit ein viel diskutiertes Thema. Muss Klaus Wowereit, der von den Steuersünden seines Kulturstaatssekretärs seit längerem wusste, zurücktreten?
Lindner: Klaus Wowereit hätte eigentlich schon wegen des katastrophalen Missmanagements am Flughafen Berlin-Brandenburg zurücktreten müssen. Spätestens jetzt hat aber auch seine moralische Autorität verloren. Die SPD stellt öffentlich jeden Steuersünder an den Pranger, aber hinter den Kulissen werden Parteifreunde gedeckt. Das ist Doppelmoral.
Frage: Sollte die Möglichkeit der Selbstanzeige von Steuersündern abgeschafft werden?
Lindner: Dieses Instrument gibt es schon seit 100 Jahren. Man kann damit einen Fehler oder ein Versäumnis im Nachhinein korrigieren. Aber nur, wenn die Behörden dem Steuersünder nicht schon auf den Fersen sind. Solche Wege zurück in die Legalität muss es im Steuerrecht geben.
Frage: Die Bundesregierung will außenpolitisch mehr Verantwortung in der Welt übernehmen. Sie nimmt damit einen Kurswechsel in der Außenpolitik vor. Die neue Verteidigungsministerin von der Leyen schließt weitere Kampfeinsätze nicht aus. Wie gefährlich ist ein solcher Kurs für Deutschland, der sich ja auch deutlich von dem des früheren FDP-Außenministers Guido Westerwelle unterscheidet?
Lindner: Deutschland gewinnt nicht an weltpolitischer Reife, wenn wir jetzt mit Militäreinsätzen pauschal kokettieren. Jede Krisensituation und jede Anforderung muss individuell bewertet und entschieden werden. Im Prinzip halte ich aber daran fest, dass Deutschland diplomatische Mittel den militärischen vorziehen sollte. Man muss zudem eher über eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik nachdenken als eine ohnehin schon überlastete Bundeswehr in weitere Auslandseinsätze zu treiben. Das sind Profilierungsversuche für Frau von der Leyen, mit denen sie sich als eine Art Ersatzkanzlerin empfehlen will.
Frage: Diesen Kurs trägt aber auch der Bundespräsident mit.
Lindner: Der Bundespräsident hat von mehr Verantwortung Deutschlands in der Welt gesprochen. Dem ist zuzustimmen. Aber Verantwortung bedeutet nicht, pauschal Militäreinsätze einzugehen.
Frage: In Thüringen wird sehr derzeit über zu hohe Strompreise geklagt. Was läuft in der Energiewende schief?
Lindner: Wir erleben eine planwirtschaftliche Energiewende, wie sie in der Sowjetunion nicht schlechter hätte gemacht werden können. Es erweist sich wieder einmal: Planwirtschaft funktioniert nicht. Bei der Energiewende muss viel mehr auf marktwirtschaftliche Elemente gesetzt werden, weil nur der Wettbewerb zu sinkenden Preisen führt. Auch hier ist europäisches Denken nötig, denn ein deutscher Sonderweg bringt nichts. Wir müssen dazu kommen, die europäischen Möglichkeiten zu bündeln: Wasserkraft aus Skandinavien, Windenergie von den Küsten und Sonnenenergie aus dem Süden. Der derzeit verfolgte deutsche Sonderweg treibt nur die Kosten nach oben.
Frage: Thema Olympische Winterspiele und die Lage in Russland: Sind wir zu defensiv beim Ansprechen kritischer Themen wie Demonstrationsrecht, Unterdrückung der Opposition, Minderheitenrechte?
Lindner: Der Bundespräsident hat mit seiner Entscheidung, nicht nach Sotschi zu fahren, ein gutes Signal gesendet. Ansonsten empfehle ich, die von Ihnen angesprochenen Bereiche ausdrücklich anzusprechen. Es geht nicht um eine Politisierung der Olympischen Spiele, aber Putin-Russland darf unseren Sportlerinnen und Sportlern keinen Maulkorb verhängen. Dafür braucht unser Team mehr Rückendeckung seitens der deutschen Politik. Die Bundesregierung ist mir zu schweigsam.
Frage: Was ist die wichtigste Botschaft, die Sie Ihren Parteifreunden hier in Thüringen am Sonntag vermitteln wollen?
Lindner: Fürchtet Euch nicht - sozusagen. Es gibt für die Liberalen unverändert einen Platz in der deutschen Politik mit unseren liberalen Werten wie Eigenverantwortung, Selbstbestimmung, Leistungsbereitschaft und Toleranz. Nicht diese Werte sind am 22. September abgewählt worden, sondern eine FDP, die dem nicht gerecht geworden ist. Und jene liberale Partei bauen wir jetzt wieder auf.