LINDNER-Interview für die „Rheinische Post“
Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Rheinischen Post“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte MICHAEL BRÖCKER:
Frage: Sie stehen mit der FDP vor einem Scherbenhaufen. Wo fängt man da an?
LINDNER: Bei der Parteibasis – ihr hören wir jetzt zu. Die liberale Idee ist lebendig, aber wir müssen uns auf die Grundsätze besinnen. Wirtschaftliche Vernunft, ideologiefreie Bildungspolitik, ein positives Menschenbild – das ist attraktiv. Mir haben 600 Menschen geschrieben, die uns nicht gewählt haben, um so den Neuanfang zu erzwingen, bei dem sie jetzt mitmachen wollen.
Frage: Wie groß ist die Gefahr, dass Liberalismus nicht mehr mit FDP verbunden wird?
LINDNER: Mögen wir auch unvollkommen sein, so gibt es doch keine andere liberale Partei. Es ist absurdes Theater, dass die Grünen, die gerade noch Steuersätze von 87 Prozent gefordert haben und uns den Speiseplan diktieren wollten, jetzt plötzlich die Partei der Freiheit sein wollen. Viele Menschen teilen unsere Werte, sie wollen selbstbestimmt leben, sie wollen einen bescheidenen Staat und eine weltoffene Gesellschaft. Diese Menschen werden wir wieder für uns gewinnen.
Frage: Die FDP wirkt ausgelaugt und gestrig, das Image einer westdeutschen von Männern dominierten Macho-Partei ist sie nie losgeworden.
LINDNER: Ich sehe andere Defizite. Wir haben zu viel von dem, was wir uns vorgenommen haben, nicht umsetzen können. Sicherlich haben wir auch im Auftreten und im Stil Nachholbedarf. Vor allem in der letzten Woche waren wir neben der Spur. Das Wahlergebnis haben wir daher selbst zu verantworten. Dennoch wird ja bereits nach wenigen Tagen deutlich, dass im Bundestag die marktwirtschaftliche Stimme fehlt.
Frage: Sie waren FDP-Vize. Warum haben Sie sich nicht gegen die Zweitstimmenkampagne gewehrt?
LINDNER: Ich habe bestimmte Formulierungen nicht übernommen, denn die FDP wird nicht gewählt, damit irgendjemand aus einer anderen Partei etwas wird. Die FDP sollte mit ihren Inhalten, nicht mit ihrer Funktion überzeugen.
Frage: Muss die FDP weiblicher werden?
LINDNER: Wir müssen uns auch personell erneuern. Unsere starken Frauen will ich in der Parteiführung sichtbar machen. Entscheidend ist: Es muss eine Teamlösung geben, einer alleine schafft die Arbeit nicht. Wir brauchen einen neuen Corpsgeist in der FDP.
Frage: Was soll das Profil der Lindner-FDP sein?
LINDNER: Die FDP bleibt die Partei der wirtschaftlichen Vernunft und einer modernen, menschenbejahenden Gesellschaftspolitik. Konzernkapitalismus, Bevormundungspolitik, Datenschnüffeleien, all das treibt die Menschen um. Viele haben das Gefühl, solchen Kräften nichts entgegensetzen zu können. Wir wollen den einzelnen Bürger stärken, denn nur eine selbstbewusste und selbstbestimmte Gesellschaft kann solche Herausforderungen meistern.
Frage: Bleibt das Thema „Steuern runter“?
LINDNER: Eine Partei muss die Belastungsgrenze von Bürgern und Betrieben im Blick haben. Für die Union ist das offenbar trotz Rekordsteuereinnahmen keine Frage der Überzeugung mehr, sondern nur noch Verhandlungssache. Ich bin gespannt, wie sich Horst Seehofer aus seinem Ehrenwort winden wird. Es gibt für uns also eine Leerstelle in der politischen Mitte.
Frage: Gibt es da auch eine Äquidistanz zu Union und SPD?
LINDNER: Es geht um unser eigenständiges Angebot. Ich will mich nicht vor allem von CDU oder Rot-Grün abgrenzen, sondern uns selbst neu definieren. Es geht um liberale Inhalte, nicht um Koalitionen.
Frage: Also kein Ausschluss von Koalitionen mehr?
LINDNER: Wir streben jetzt nur eine Koalition an. Die mit den Bürgern.