22.05.2014FDPFDP

LINDNER-Interview für den „Schwarzwälder Boten“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab dem „Schwarzwälder Boten“ (Donnerstag Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte JULIA FIEDLER:

Frage: Herr Lindner, sind Sie gerne FDP Chef?

LINDNER: Außerordentlich gerne. Die Pionierarbeit, die wir jetzt leisten, macht Freude. Wir haben 3500 neue Mitglieder in der FDP, 350 davon allein in Baden-Württemberg. Offensichtlich spüren auch andere, dass die FDP eine Partei ist, die ihr liberales Profil aktualisiert. Dass im Wahlkampf viele noch abwarten und sagen „In welche Richtung entwickelt ihr euch?“, das ist klar. Aber möglicherweise wird’s am Sonntag eine Überraschung geben, wenn viele von denen, die noch abwarten, die FDP dann doch stark machen. Um ein Signal für ein Europa zu senden, das marktwirtschaftlicher und bürgernäher wird als das jetzige.

Frage: Wie wollen Sie es schaffen, dass die FDP stärker wahrgenommen wird? Mittlerweile wird – zumindest nach außen – zwar weniger gestritten. Aber reicht das?

LINDNER: Das braucht ein wenig Zeit, und es gelingt durch Ideen, die sich von dem politischen Einheitsbrei im Bundestag unterscheiden. Nehmen wir das aktuelle Thema dieser Woche: die Rente. Im Bundestag wird überwiegend gestritten, ob Rente mit 67 oder mit 63 richtig ist. Erste Stimmen sprechen von einer Rente mit 70, wie sie in Japan oder Australien bereits beschlossen worden ist. Wir wollen ein anderes Modell, eines, das einen individuell flexiblen Renteneintritt ermöglicht. Wer zwischen 60 und 70 länger arbeitet, bekommt eine höhere Rente, wer früher in Rente geht, bekommt eine niedrigere Rente. Da kann jeder selbst entscheiden. 75 Prozent der Deutschen finden unser Modell laut einer Insa-Umfrage gut. Das zeigt, dass in Deutschland die Schablonen des Wohlfahrtsstaats für immer weniger Menschen passen – sondern dass sich der Staat eher an die Biografien der Menschen anpassen sollte.

Frage: Sie halten also von der Rente, wie sie jetzt kommen wird, wenig?

LINDNER: Vom Rentenpaket profitiert ein Teil der sogenannten Babyboomer-Generation. Es bezahlen aber die heutigen Rentner und alle, die jünger als 48 sind. Eine Rentenpolitik, die aber nur für eine Generation gut ist, zulasten aller anderen, die ist nicht verantwortbar. Mit dieser Rentenpolitik treibt die große Koalition einen Keil zwischen Jung und Alt. Wir wollen einen stabilen, fairen Generationenvertrag.

Frage: Die Jungen beschweren sich aber kaum, zumindest gehen sie nicht auf die Straßen.

LINDNER: Ja, obwohl nach einer Umfrage 80 Prozent der 35- bis 45-Jährigen sagen, sie machen sich Sorgen um ihr eigenes Alter. Dennoch nehmen sie das geschäftsmäßig hin, dass ihnen weitere Belastungen aufgebürdet werden. Es sind ja nicht nur die enormen Kosten durch das Rentenpaket; die große Koalition verpasst auch die Chance, in die Tilgung von Altschulden beim Staat einzusteigen. Wir haben künstlich niedrige Zinsen, die dazu führen, dass die privaten Ersparnisse wie Eis in der Sonne schmelzen. Gleichzeitig hat der Staat durch niedrigere Zinsen weniger Ausgaben und müsste dafür Altschulden tilgen. Die große Koalition vergibt aber diese historische Chance und verteilt lieber teure Wahlgeschenke. Das heißt, die junge Generation erbt leere Rentenkassen, hohe Staatsschulden und marode öffentliche Infrastruktur. Das ist kein fairer Deal.

Frage: Sie wollen eine flexible Rente. Sie wollen gegen Handelsbarrieren in Europa angehen, lehnen allzu viele Subventionen ab, kritisieren die schleppende Aufklärung der NSA-Affäre. Viele Themen, aber keines, das wirklich in der Diskussion bleibt. Warum?

LINDNER: Doch, die FDP hat ein riesen Thema. Wir vertrauen auf die Eigenverantwortung und die Eigeninitiative der Bürger, bevor wir den Staat zu Hilfe rufen. In Deutschland gibt's leider eine bemerkenswerte Neigung, zuerst den Beamten und dem Staat zu vertrauen. Gegen diesen Zeitgeist von immer mehr Umverteilung und Staatseingriff stellen wir uns; souverän, entspannt, auch mit dem notwendigen Humor. Und: Vier Jahre hat die FDP Vertrauen verloren, da braucht's mehr als vier Monate, um das wieder aufzubauen. Trotzdem: Wir werden das schaffen, weil es eine riesige Leerstelle im Parteiensystem gibt. Für eine Kraft, die auf solide Finanzen setzt, die rechnen kann, die gleichzeitig für faire Bildungschancen und einen positiven Leistungsbegriff steht und das nicht mit Ressentiments verbindet. Das ist das klassische liberale Profil.

Frage: Haben Sie noch Kontakt zu den Parteien in den Bundestag oder zur Bundeskanzlerin?

LINDNER: Meine SMS-Korrespondenz – mit wem auch immer – will ich nicht öffentlich machen. Aber: Sie brauchen ja nur die öffentlichen Äußerungen aus anderen Parteien zu sehen, insbesondere auch aus der SPD; dort gibt es ein wachsendes Interesse an Gespräch mit uns. So wie ich auch wahrnehme, dass die SPD bei der Dämpfung der kalten Progression auf unsere Linie eingeschwenkt ist. Das Lohnplus wird von Wolfgang Schäuble eingestrichen, damit der Staat sich daran bereichern kann. Wenn die SPD jetzt auch an dieses Thema ran will, müssen wir uns für diese Gemeinsamkeit nicht schämen, sondern sollten uns gemeinsam wundern, warum die CDU bei den Facharbeitern so abkassieren will.

Frage: Sie haben erklärt, dass zumindest in nächster Zeit keine weiteren Länder in die EU aufgenommen werden sollen. Muss man die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aussetzen?

LINDNER: Recep Tayyip Erdogan hält am Samstag in meiner rheinischen Heimat, in Köln, eine Rede. Ein autoritärer Politiker, der Wahlkampf in Deutschland macht, ist mir hier nicht willkommen. Das grenzt an einen Missbrauch des Gastrechts in meinen Augen. So wie er in der Türkei Twitter sperrt, wie er nach dem Grubenunglück mit den Menschen umgeht, so wie er Strafverfolgung behindert, indem er Angehörige der Justiz reihenweise querversetzt hat, zeigt das doch, dass er nicht unser Verständnis von Bürgerrechten, Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit teilt. Solange er nicht diese Grundauffassungen mit uns Europäern teilt, sollten wir ihm bei den Beitrittsverhandlungen eine Besinnungspause gönnen. Also aussetzen!

Frage: Die AfD haben Sie als „Republikaner reloaded“ bezeichnet. AfD-Sprecher Bernd Lucke war außer sich. Bleiben Sie dabei?

LINDNER: (liest Wahlplakate vor). „Wir sind nicht das Sozialamt der Welt“, kommt von der NPD. „Wir wollen nicht das Sozialamt der Welt sein“, ist von PRO NRW. „Wir sind nicht das Weltsozialamt“, plakatiert die AfD. Das zeigt doch, dass hier mit Ängsten und Ressentiments die Stimmung aufgeheizt wird. Funktionäre der Republikaner wünschen der AfD viel Erfolg, weil die AfD das vertritt – so sagen es diese Leute –, was die Republikaner seit 20 Jahren wollen. Wir setzen uns mit der AfD argumentativ auseinander, wir laufen ihr nicht opportunistisch hinterher wie zum Beispiel die CSU – und die Bundeskanzlerin schaut tatenlos zu. Aber ich verurteile gleichzeitig, wenn es Gewalt gegen diese AfD gibt. Wir halten solche Leute mit ihren Argumenten aus und setzen uns über Sachpositionen mit ihnen auseinander, nicht mit Fäusten.

Frage: Die CSU läuft der AfD hinterher?

LINDNER: Legen Sie Aussagen von Peter Gauweiler neben Aussagen der AfD – dieselben Parolen mit demselben Duktus. Mit dieser europapolitischen Positionierung wären große konservative Politiker sehr unglücklich gewesen.

Frage: Am Sonntag finden Kommunal- und Europawahlen statt. Was ist Ihnen wichtiger?

LINDNER: Ich wäre ein schlechter Parteivorsitzender, wenn ich sagen würde, irgendeine Wahl sei unwichtig. Die kommunale Basis ist für uns von großer Bedeutung. Die liberalen Kommunalpolitiker haben in den vergangenen Jahren oft genug unter der Bundespartei gelitten – wenn wir ehrlich sind. Sie hatten vor Ort die Prinzipienfestigkeit und Geländegängigkeit, die der FDP im Bund manchmal gefehlt hat. Und deshalb haben sie ein ordentliches Ergebnis verdient.

Frage: Und bei der Europawahl?

LINDNER: Wir wollen, dass der Stabilitätskurs in Europa fortgesetzt wird. Es gibt ja auch Erfolge, etwa in Portugal. Aber die große Koalition distanziert sich davon – wenn beispielsweise Kanzlerin Merkel Verständnis für den französischen Präsidenten Hollande hat, der für Reformen mehr Schulden plant. Hollande, der Reformen machen will, ist für mich so glaubwürdig wie der Limburger Bischof Tebartz-van Elst auf dem Jakobsweg. Oder warum kann man sich ein Buch in Luxemburg kaufen, weil wir einen europäischen Binnenmarkt haben, aber keinen Strom aus den Niederlanden? Dürfte man das, könnten die Stromverbraucher 12 Milliarden Euro sparen – allein durch den Wettbewerb. Wir wollen einen europäischen Energie-Binnenmarkt.

Frage: Die anderen Parteien sehen das anders?

LINDNER: Die denken teils in provinzieller Planwirtschaft. Horst Seehofer will, dass in Bayern keine Stromtrassen gebaut werden, weil er glaubt, Bayern könnte energiepolitisch autark werden. Dabei brauchen wir bei den großen Fragen mehr Europa und nicht weniger. Auch als Antwort auf NSA und Google – mit einer digitalen Emanzipation Europas von den USA, etwa mit einem Leitanbieter für Datensicherheit. Europa bietet uns riesige Chancen.

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