LINDNER-Interview: FDP nicht Mehrheitsbeschaffer für eine abgewählte rot-grüne Regierung
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Tobias Armbrüster.
Frage: Herr Lindner, warum in Hannover dieser schnelle Rückzug aus der Verantwortung?
Lindner: Die FDP hat dort bereits vor der Wahl gesagt, dass sie einen Politikwechsel in Hannover erreichen möchte und dass dies nicht möglich ist in einer Ampel-Konstellation. Die Situation gleicht also in etwa der in Nordrhein-Westfalen im Mai dieses Jahres. Dort hatten wir auch gesagt, wir stehen natürlich zur Übernahme von Verantwortung in einer Koalition bereit, aber nicht als Mehrheitsbeschaffer für eine abgewählte rot-grüne Regierung. Genau das passiert jetzt in Hannover. Rot-Grün hat die Mehrheit verloren und die FDP kann dem nicht beitreten, weil man nicht als dritter und kleinster Partner einer amtierenden Regierung deutlich machen kann, dass es eine politische neue Weichenstellung gibt.
Frage: Das heißt, ohne auch nur darüber zu reden, wissen Sie jetzt schon, dass SPD und Grüne die FDP über den Tisch ziehen würden?
Lindner: Herr Armbrüster, man muss doch Realist sein. Dort gibt es eine seit Jahren amtierende Regierung. Die FDP stand dazu in der Opposition. Das sind Ministerien, die sind von SPD und Grünen geführt worden. Und jetzt kommt ein neuer und auch dann noch der kleinste Partner dazu. Und der soll dann einen Politikwechsel durchsetzen? Das ist nicht realistisch und das kann man auch nicht glaubwürdig dokumentieren. Deshalb habe ich großen Respekt davor, dass die FDP in Niedersachsen zu ihren Prinzipien steht und nach der Wahl genau das tut, was vor der Wahl gesagt worden ist.
Frage: Warum haben Sie denn dann nach der Bundestagswahl genau einen solchen Rückzieher der SPD immer zum Vorwurf gemacht?
Lindner: Weil die Sozialdemokratie ja Teil der Großen Koalition ist. Das heißt, ein politischer Richtungswechsel ist da offensichtlich nicht erforderlich, denn die SPD war ja bereits Teil der Regierung. Und außerdem ist es unsere ständige Staatspraxis in Deutschland, dass die Funktionsfähigkeit der Regierung durch die beiden jeweils größten Parteien sichergestellt wird. Bei der FDP ist es nun beklagenswerterweise so, dass sie nicht zu den beiden größten Parteien gehört. Deshalb ist es richtig, dass die FDP in Niedersachsen sagt, wir bleiben genau bei dem, was vor der Wahl gesagt wird. Lieber sagen manche jetzt, warum verweigert ihr euch denn Gesprächen, als dass gesagt wird, da, schau mal her, es gab große inhaltliche Forderungen und Positionen vor der Wahl und nach der Wahl ist die FDP doch wieder dabei, ganz schnell in eine Regierung einzutreten, selbst wenn die Inhalte nicht stimmen.
Frage: Aber, Herr Lindner, können Sie das zumindest verstehen, dass viele Leute hier den Eindruck haben, in beiden Fällen möglicherweise, bei der SPD und auch bei der FDP, da steht Parteitaktik vor Staatsverantwortung?
Lindner: Nein, das kann ich nicht verstehen. Denn staatspolitische Verantwortung kann auch bedeuten, in die Opposition zu gehen, damit die Vielfalt der politischen Ideen und Meinungen zum Tragen kommt. Ich sage noch mal: Die FDP hat doch dokumentiert, beispielsweise in Mainz, dass wir auch in der Lage sind, in schwierigen Konstellationen Verantwortung zu übernehmen.
Frage: Gutes Beispiel! Da sind Sie in einer Ampel-Koalition.
Lindner: Genau, aber unter völlig anderen Voraussetzungen. Denn in Rheinland-Pfalz gab es eine langjährige sozial-liberale Tradition und auch noch entsprechende Kontakte. Zum zweiten ist die FDP dort die zweitgrößte Kraft in der Koalition. Man kann also dort dokumentieren, und das ist auch erreicht worden im Koalitionsvertrag, hier wird nicht rot-grüne Politik fortgesetzt, sondern es gibt einen neuen Anfang für Rheinland-Pfalz. Das ist in der Konstellation in Hannover nicht möglich und es wäre auch übergeschnappt, Herr Armbrüster. Es wäre übergeschnappt, käme eine Partei mit elf Abgeordneten, die die Fraktion jetzt hat, in eine Regierungskonstellation und würde dem amtierenden bestätigten Ministerpräsidenten sagen, das was Du vorher die Jahre gemacht hast, war in unseren Augen falsch, jetzt bitte 180 Grad wenden. Das wäre anmaßend und auch nicht realistisch umsetzbar, und deshalb ist es richtig, dass die FDP diese Konstellation ausschließt.
Frage: Herr Lindner, ich glaube trotzdem nach wie vor, da bleibt für viele Menschen der Eindruck, da drehen und wenden Sie das so, wie Sie es gerne möchten. Hinzu kommt ja, dass Sie beispielsweise mit Grünen durchaus in eine Koalition eintreten würden in Hannover, nämlich wenn es um ein Jamaika-Bündnis dort ginge.
Lindner: Ja, in der Tat.
Frage: Das ist ja auch nicht gerade konsequent.
Lindner: Das finde ich ganz anders. Aber das können ja die Hörerinnen und Hörer beurteilen, wie sie es sehen. In meinen Augen wäre eine Jamaika-Koalition eine neue Regierung, die eine neue Politik macht in Hannover, während eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP, wo die FDP als kleinster Partner dazukommt, da wird die FDP Mehrheitsbeschaffer sein. Dann kann man ein, zwei Stellschrauben bewegen, aber es gäbe keine konzeptionell andere Politik. Sie einzufordern als kleinster Partner, käme gerade einer politischen Erpressungssituation gleich, und deshalb ist es ein Zeichen von Charakter zu sagen, das machen wir nicht. Ich habe jedenfalls volles Verständnis dafür, was meine Freundinnen und Freunde in Niedersachsen machen. Und wissen Sie, ich kann besser damit leben, dass Sie und andere sagen, die FDP verweigert sich und das ist inkonsequent, als dass gesagt wird an einem Tag, ja, die FDP ist Gott sei Dank bereit, in eine Ampel einzutreten, am nächsten Tag schon hieß es, da käme die ganze Phalanx von Vorwürfen über Umfaller, es zählen nur die Dienstwagenschlüssel, die Inhalte zählen nicht, da schau her, die Opportunisten. Lieber nehme ich Ihren jetzigen Vorwurf gerne entgegen.
Frage: Herr Lindner, dann lassen Sie uns kurz auf morgen blicken, die Jamaika-Sondierungen in Berlin.
Lindner: Ja.
Frage: Sie haben es da mit einer geschwächten CDU zu tun. Ist das ein guter möglicher Koalitionspartner?
Lindner: Man muss prüfen, ob Gutes fürs Land bewirkt werden kann. Ich nehme in der CDU eine gewisse Unruhe wahr, insbesondere in der CSU, auch nach dem Ergebnis der Nationalratswahl in Österreich. Frau Merkel hat allerdings in der Flüchtlingspolitik dokumentiert, dass sie bereit ist zu Veränderungen ihrer politischen Linie. Jetzt muss man ausloten, ob daraus eine Plattform für gemeinsame Politik werden kann. Für mich ist das offen.
Frage: Und wenn die CDU vor einem Rechtsruck steht, wie das viele jetzt prophezeien?
Lindner: Da gibt es unterschiedliche Signale. Ich lese von Spekulationen, die Union stünde vor einem Linksruck, würde insbesondere jetzt stärker auf Staatsausgaben und auf Umverteilung setzen, um auf das Phänomen AfD reagieren zu wollen. Andere sprechen von einem Rechtsruck. Ich will das gar nicht taktisch und abstrakt bewerten, sondern für mich und uns zählt, gibt es bei den wesentlichen Fragen, die für unser Land jetzt wichtig sind, Bewegungsbereitschaft und neue Prioritätensetzung. Also: Tun wir mehr auch auf der Bundesebene für die Bildung? Kommt es zu einer Reform des Föderalismus zwischen den 16 Ländern im Bildungsbereich? Zweitens: Geben wir der Digitalisierung Priorität, um diesen gesellschaftlichen Wandel zu gestalten, die Infrastruktur auszubauen, den Staat selbst zu digitalisieren, auch Regeln für fairen Wettbewerb in Zeiten des Silicon Valley Kapitalismus durchzusetzen?
Frage: Und glauben Sie, dass die Union für solche Fragen jetzt gerade noch Zeit hat?
Lindner: Die Union ist auf anderes offensichtlich konzentriert. Aber es darf nicht dabei bleiben, dass die wichtigsten Fragen nur im Schlusswort des Kanzlerduells vor einer Wahl debattiert werden, sondern die müssen an die Spitze der politischen Tagesordnung. Selbstverständlich habe ich auch ein Einsehen und halte es selbst für notwendig, dass die für viele virulente Frage der Einwanderungspolitik geklärt wird. Das wird auch eine der Prioritäten einer Jamaika-Koalition sein. Es ist ja ganz offensichtlich, dass die politische Landschaft in Bewegung ist und dass es eine neue gesellschaftliche Konfliktlinie durch die Frage der Migration gibt, und Deutschland braucht da ein angepasstes Set von Regeln, damit wir nicht unvorbereitet in den neuen Fall eines Massenzustroms geraten und damit wir auch unsere humanitäre Verantwortung und unsere wohlverstandenen Interessen gleichermaßen wahrnehmen können.