LINDNER-Interview: Europa darf sich nicht von Tsipras vorführen lassen
Frage: Herr Lindner, nachdem jüngst Forsa Ihrer Partei in einer Umfrage sieben Prozent attestierte, twitterte das CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn: „Welcome back!“ Ist es schon so weit?
LINDNER: Ich freue mich über die Aufhellung in den Umfragen, die im Sommer auch noch mal wieder zurückgehen können. Die größte Gefahr wäre also zu glauben, das Comeback sei erreicht. Im Gegenteil werden wir noch viel konzentrierter an unserer Substanz arbeiten.
Frage: Die FDP hat sich jüngst in Hamburg und Bremen von ihrem tiefen Fall ein wenig erholt. Was war – im Rückblick – der größte Fehler, der zum Rauswurf der FDP aus dem Bundestag beitrug?
LINDNER: Wir haben zehn Jahre lang die Entbürokratisierung im Steuerrecht gefordert und dann nicht das Bundesfinanzministerium beansprucht.
Frage: Haben Sie dabei auch eine Mitschuld?
LINDNER: Ja! Bei uns duckt sich keiner weg. Weil wir unsere Ziele nicht erreicht haben, ist der Problemdruck gewachsen. Deshalb bleiben wir am Thema dran. Durch die niedrigen Zinsen gibt es eine enorme Umverteilung von den Bürgern hin zum Staat. Das Mindeste wäre, dass Herr Schäuble auf den Solidaritätszuschlag verzichtet.
Frage: Guido Westerwelle, Ihr Vor-Vorgänger als FDP-Chef, war damals in der Verantwortung. Westerwelle ist 2014 schwer an Krebs erkrankt. Haben Sie Kontakt zu ihm?
LINDNER: Natürlich. Er hat mir zuletzt zu meiner Wiederwahl gratuliert.
Frage: In der FDP-Ahnengalerie – welche Rolle nimmt Westerwelle ein?
LINDNER: Guido Westerwelle war ein wichtiger Vorsitzender, der mit den Wiesbadener Grundsätzen Ende der Neunzigerjahre der FDP eine neue Perspektive gegeben hat – damals haben wir als erste Partei die Schuldenbremse im Grundgesetz gefordert. So wie wir heute übrigens als erste Partei die heilige Kuh des Bildungsföderalismus infrage stellen. Bildung muss ein Projekt des Gesamtstaats werden, wenn wir zurück in die Weltspitze wollen.
Frage: Aber die FDP war unter Westerwelle zeitweise auch eine Spaßpartei, die am Ende nicht mehr ernst genommen wurde. Ist das Vergangenheit oder gibt es doch noch Verlockungen zum Leichten und Seichten?
LINDNER: Wir setzen auf Ernsthaftigkeit. Alle anderen Beurteilungen überlasse ich Ihnen.
Frage: Sie haben nach dem Rauswurf aus dem Bundestag und Ihrer Wahl zum Vorsitzenden mit der Basis diskutiert, der Partei in diesem Jahr ein neues Logo gegeben – doch wo hat sich die Partei thematisch wirklich verändert?
LINDNER: Wir haben den Kern unserer Überzeugung freigelegt. Uns geht es um den einzelnen Menschen, dem wir vertrauen und den wir stark machen wollen. Deshalb beginnen wir die liberale Erzählung jetzt bei der Bildung. Das ist die eigentliche Gerechtigkeitsfrage, wenn jedes Jahr 80.000 junge Menschen ohne Schulabschluss bleiben. In der Bildung gibt es einen großen Modernisierungs- und Investitionsbedarf. Insbesondere die Digitalisierung können wir als Hebel für bessere Förderung nutzen.
Frage: Was meinen Sie konkret?
LINDNER: Ich kenne Schulen, die digitales Lernen ergänzend mit großem Erfolg einsetzen. Ein Tablet für jeden Schüler, das hochindividuelle Förderung erlaubt, wäre zum Beispiel ein ehrgeiziges Ziel.
Frage: Der FDP haftet das Image einer marktradikalen Partei an.
LINDNER: Wir haben Vertrauen in den Markt, also in die freien Entscheidungen der Menschen. Wenn das marktradikal sein soll, dann war Ludwig Erhard auch so einer. Damit kann ich gut leben. Uns geht es um faire Regeln. Wenn zum Beispiel das Taxigewerbe durch Uber herausgefordert wird, dann wollen wir nicht die Etablierten schützen, sondern fairen Wettbewerb schaffen. Indem das Taxigewerbe von bürokratischem Ballast befreit wird und bei Uber soziale Mindeststandards gefordert werden. Danach sollen die Kunden das Wort haben.
Frage: Apropos Freiheit und Chancengleichheit – wie halten Sie es mit dem Tarifeinheitsgesetz der Bundesregierung, das die Möglichkeiten kleinerer Gewerkschaften wie der GDL einschränken soll?
LINDNER: Dieses Gesetz bahnt den Weg zur Einheitsgewerkschaft, die übermächtig wird. Das finde ich falsch.
Frage: Die deutsche Wirtschaft begrüßt aber überwiegend das Gesetz, weil sie durch Streiks kleinerer Gewerkschaften die ökonomische Stabilität des Landes in Gefahr sieht. Nimmt die FDP jetzt Partei für Claus Weselsky von der GDL?
LINDNER: Wir sind nicht die Partei der GDL und nicht die der Arbeitgeber. Die Beschäftigten sollten die Freiheit haben, sich der Gewerkschaft ihrer Wahl anzuschließen. Den unverantwortlichen Missbrauch des Streikrechts durch Herrn Weselsky muss man mit besseren Mitteln bekämpfen. Notfalls mit anderen Schlichtungsverfahren.
Frage: In der Eurokrise haben sie vorgeschlagen, Griechenland solle zeitweise aus dem Euro austreten können. Trauen Sie Athen nichts mehr zu?
LINDNER: Europa darf sich nicht von Herrn Tsipras vorführen und täuschen lassen. Wenn Athen nicht bereit ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen, dann verabschiedet sich Griechenland selbst aus dem Euro.
Frage: Ist das Ihre populistische Antwort auf die AfD?
LINDNER: Im Gegenteil. Ich bin für die konsequente Fortsetzung der seit 2010 geltenden Krisenpolitik – Solidarität, aber nur gegen Reformen. Die AfD hätte zu jedem Zeitpunkt die ökonomischen und politischen Risiken eines Zerfalls des Euros in Kauf genommen. Ich wünsche mir auch jetzt noch eine 180-Grad-Wende bei Herrn Tsipras. Wenn sie aber ausbleibt, darf es kein falsches Entgegenkommen geben.
Frage: Freut es Sie, dass sich die AfD gerade zerlegt?
LINDNER: Die AfD ist mir egal. Wir sind das Gegenmodell – weltoffen statt deutschnational, individualistisch statt völkisch, optimistisch statt ängstlich.
Frage: Die FDP hat in der Koalition mit CDU/CSU die Vorratsdatenspeicherung verhindert, jetzt führt die Bundesregierung sie ein. In einem zentralen Punkt der Inneren Sicherheit bleiben Sie also beim alten Wir-sind-dagegen-Kurs?
LINDNER: Absolut. Ich wünschte, die SPD wäre genauso prinzipientreu geblieben. Die Digitalisierung ist eine Chance, aber die Regeln müssen stimmen. Der Einzelne muss entscheiden können, was mit seinen Daten geschieht, ob bei öffentlichen oder kommerziellen Datensammlern. Die anlasslose Verdächtigung der Bürger führt dagegen in einen Kontrollstaat. Deshalb habe ich unsere Parteifreunde Gerhart Baum, Burkhard Hirsch, Wolfgang Kubicki und Marco Buschmann gebeten, eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht vorzubereiten.