19.12.2018FDPFDP

LINDNER-Interview: "Es gibt Kontaktaufnahmen"

LINDNER-Interview: "Es gibt Kontaktaufnahmen"

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab "FOCUS Online" das folgende Interview. Die Fragen stellte Margarete van Ackeren.

Frage: Herr Lindner, was ist Ihr politischer Weihnachtswunsch für 2018?

Lindner: Ich wünsche mir eine Nachdenkpause für die gesamte politische Öffentlichkeit in Deutschland. Die würde uns wirklich guttun. Dann können wir nicht nur in Ruhe über die inhaltlichen Ziele fürs nächste Jahr nachdenken, sondern auch darüber, ob der Stil der Auseinandersetzung in unserer Demokratie zeitgemäß ist.

Frage: Worauf zielen Sie?

Lindner: Im Bundestag und in den Medien erleben wir oft eine Überreizung der Auseinandersetzung. Ich wünsche mir, dass wir stärker Unterschiede in der Sache herausarbeiten, ohne dass gleich unlautere Motive unterstellt werden. Ich wünsche mir auch, dass wir nicht permanent über die Stöckchen der AfD springen und ihr zusätzliche Erregungsenergie zuführen, sondern sie in der Sache auseinanderschrauben. Die AfD zu beschimpfen oder ihr – wie bei der Wahl der Vizepräsidentin des Bundestags – demokratische Mitwirkungsrechte zu beschneiden, ist jedenfalls falsch.

Frage: Zur „neuen Sachlichkeit“ fällt mir gerade Ihr Parteikollege Wolfgang Kubicki ein. Er hat neulich in einem autorisierten Interview gesagt, Anton Hofreiter von den Grünen mache ihn aggressiv und könnte ihn dazu verleiten, ihm eine zu „knallen“ ….

Lindner: Sie verlangen doch nicht von mir, dass ich jetzt auch noch der Sprecher oder Interpret meines Kollegen Wolfgang Kubicki bin! Dieses Interview von ihm hatte eher einen unterhaltenden Charakter.

Frage: Sie haben es nicht so ernst genommen?

Lindner: Ich würde nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen.

Frage: Sie haben vor Wochen gesagt: „Jeder oder jede an der Spitze der CDU wäre besser als Angela Merkel.“ Die Veränderung ist gekommen. Wird jetzt mit Annegret Kramp-Karrenbauer also aus Ihrer Sicht vieles besser?

Lindner: Annegret Kramp-Karrenbauer hat alle Chancen, aus der Erneuerung für die CDU auch eine Erneuerung für das Land zu machen. Ich bin gespannt auf ihre Akzente. Sie ist nicht belastet mit der Hypothek einer 18-jährigen Vergangenheit als Parteichefin. Das ist eine Chance.

Frage: Kramp-Karrenbauer hat ja nicht die besten Erfahrungen mit „Jamaika“. Sie hat diese Koalition im Saarland wegen der Liberalen 2012 Knall auf Fall – und dann auch noch zum „FDP-Feiertag“ Dreikönig – platzen lassen. Ist das eine Belastung für ihr Verhältnis?

Lindner: Der Vorgang war vom Stil her nicht optimal. Aber er belastet unser Verhältnis nicht. Es kommt ja in den besten Parteien vor, dass man mal „nein“ zu „Jamaika“ sagt. So betrachtet wären wir also quitt.

Frage: Wann erwarten Sie eine neue Chance, dass die FDP „ja“ sagen kann zu „Jamaika“?

Lindner: Ich wage keine Prognose – weder zum Zeitpunkt, wann es solche Gespräche geben könnte, noch zu deren Erfolgsaussichten. Ich nehme erstaunt zur Kenntnis, dass die CDU in Sachen Solidaritätszuschlag binnen eines Jahres die Wende hingelegt hat und jetzt die schnelle komplette Abschaffung verlangt. 2017 waren wir mit diesem Wunsch noch komplett allein. Genauso gut wie zu Jamaika-Gesprächen könnte es aber auch zu Neuwahlen kommen, sollte die GroKo zerbrechen. Wir alle wissen nicht, wie dann die Mehrheitsverhältnisse wären.

Frage: Wie viele enttäuschte CDU-Mitglieder, die lieber Friedrich Merz an der Spitze gesehen hätten, haben denn schon bei der FDP um Asyl gebeten?

Lindner: Es gibt viele Kontaktaufnahmen ...

Frage: Zahlen haben Sie noch nicht?

Lindner: Nein. Ohnehin darf man eins nicht verkennen: Friedrich Merz wird Wirtschaftskompetenz zugetraut. Aber er ist gesellschaftspolitisch konservativ. Merz-Fans sind nicht ohne weiteres FDP-kompatibel. Denn wir bieten einen Full-Flavour-Liberalismus an. Da geht es auch um Toleranz in Fragen der gesellschaftlichen Modernisierung.

Frage: Kramp-Karrenbauer setzt gesellschaftspolitisch auch konservative Akzente. Zum Beispiel bei ihrer Kritik an der „Ehe für alle“.

Lindner: Gesellschaftspolitisch dürfte mit der neuen CDU-Spitze auch die Kluft zu den Grünen größer geworden sein. Man kann Frau Merkel ja vieles vorhalten. Aber eins rechne ich ihr hoch an: Sie hat die CDU gesellschafts- und familienpolitisch stark modernisiert. Vom Modell der Hausfrauen-Ehe Marke „Kinder, Küche, Kirche“ hin zu zeitgemäßerem Denken. Den Weg sollte man fortsetzen und nicht rückabwickeln.

Frage: Wer in Deutschland „liberal“ sagt, meint meist „wirtschaftsliberal“, von einer Liberalisierung der Gesellschaft ist selten die Rede ….

Lindner: … da ist was dran …

Frage: Liegt das an Ihnen, der FDP, oder an uns, den Medien?

Lindner: In jedem Fall werden wir 2019 eine Reihe von Fragen gesellschaftspolitischer Liberalität aufrufen. Sie müssen dringend diskutiert werden. Wie halten wir es mit der nichtkommerziellen Leihmutterschaft? Wie mit der nichtkommerziellen Sterbehilfe? Wie halten wir es mit dem Staatsangehörigkeitsrecht?

Frage: Und? Wie halten Sie es zum Beispiel damit?

Lindner: Wenn wir mehr Integration wollen, müssen wir doch Menschen in der ersten Generation die Chance auf einen deutschen Pass eröffnen, ohne dass sie gleich Verbindungen in die alte Heimat kappen müssen. Sie haben dort oft noch Dinge zu klären, auch rechtliche Fragen zu Erbe oder Eigentum. Hier eine Entscheidung zu erzwingen, bremst Integration.

Frage: Die neue CDU-Vorsitzende will den so genannten Generationenschnitt: Zuwanderer sollen nach zwei oder drei Generationen entscheiden müssen, zu welchem Land sie stehen und dann einen Pass abgeben.

Lindner: Den Generationenschnitt will ich auch! Nach drei oder vier Generationen brauchen Menschen, die hier leben, den Pass einer anderen Nation wirklich nicht. Also: In der Übergangszeit sollten wir großzügig den Doppelpass gewähren. Wenn er aber keinerlei praktische Relevanz mehr hat, sollten wir auf die Entscheidung für einen Pass drängen. Ich sehe weitere drängende Themen in der Gesellschaftspolitik. Wir sollten zum Beispiel dringend verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen für Verantwortungsgemeinschaften schaffen.

Frage: Verantwortungsgemeinschaften?

Lindner: Ich denke etwa an zwei befreundete Witwen, die im Alter für einander sorgen. Wenn solche Menschen eine WG gründen, sich umeinander kümmern, ihre Ärzte gegenseitig von der Schweigepflicht entbinden und sich gegenseitig als Erben einsetzen, braucht es verlässliche Rahmenbedingungen.

Frage: Wie weit gehen Sie da? Wollen Sie solchen Verantwortungsgemeinschaften dieselben Freibeträge zugestehen wie Eheleuten? Dieselben Ansprüche bei der Hinterbliebenen-Rente?

Lindner: Die Details jetzt schon zu beantworten, wäre zu früh. Es geht um eine Art Baukasten-System. In Frankreich gibt es ein Vorbild mit dem „Pacte civil de solidarité“.

Frage: Ähnliche Ideen verfolgen auch die Grünen …

Lindner: Es ist jedenfalls höchste Zeit, dass solche Gemeinschaften in Deutschland klare rechtliche Rahmen bekommen. Wir sind eine besonders alte und besonders kinderarme Gesellschaft, da steht es uns gut an, darüber nachzudenken, wie der Staat die verlässliche Übernahme von Verantwortung durch verbriefte Rechte unterstützt. Das könnte den Alltag erleichtern. Denn ausgefeilte zivilrechtliche Verträge mit dem Notar sind sehr kompliziert – und teuer.

Frage: Warum kommen Sie jetzt auf einmal mit so vielen Ideen?

Lindner: Freie Demokraten verfolgen sie seit längerem. Mit solchen Themen aber sind wir über Jahre kaum durchgedrungen – wegen der Finanz- und Eurokrise und wegen der Dauer-Debatten zum Flüchtlingsthema. Wir haben in Fragen der gesellschaftlichen Modernisierung in diesem Land einen Entscheidungsstau. Weiteres Beispiel: Wir halten auch eine Legalisierung von nichtkommerzieller aktiver Sterbehilfe nach Schweizer Vorbild für geboten. Viele Menschen wünschen sich das dringend.

Frage: Fürchten Sie nicht, dass ein solches Angebot den Druck auf ältere Menschen erhöht, einen „nicht ganz so freien Freitod“ in Erwägung zu ziehen, um nicht anderen zur Last zu fallen?

Lindner: Das Argument muss man ernst nehmen und mit den Alltagserfahrungen der Schweiz abgleichen. Ich meine schon, dass eine nichtkommerzielle Beihilfe zur Selbsttötung – auch durch einen Arzt – nicht kriminalisiert werden sollte. Sie sollte zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts möglich sein. All diese Debatten stehen an. Wir können nicht nur über Fragen der Wirtschaftspolitik sprechen. Die allerdings werden ohnehin einiges an Kraft binden.

Frage: Warum?

Lindner: Im nächsten Jahr wird alleine wegen der wirtschaftlichen Abkühlung die wirtschaftliche Erneuerung auf die Agenda rücken. Wir brauchen Klarheit zum Brexit, müssen dessen Folgen abfedern, und Beschränkungen des Freihandels in der Welt werden ihren Tribut fordern. Das wird viel Energie beanspruchen.

Frage: Sie waren ja ziemlich stolz, dass sie mit Emmanuel Macrons „En Marche“ bei der Europawahl gemeinsame Sache machen. Passen der Mann und seine Wirtschaftspolitik denn zur FDP? Jetzt verteilt er erst einmal Wohltaten, um die Leute zu besänftigen. Bei Merkel haben Sie das als „Kamelle-Politik“ gerügt!

Lindner: Der Reformwille Emmanuel Macrons beeindruckt mich. Das heißt aber nicht, dass jede Maßnahme gut gemacht wurde. Die ökologische Steuerreform hat offenkundig viel Unterstützung gekostet. Jetzt repariert er das.

Frage: Ist das nicht eher eine Reform-Rückabwicklung als eine Reparatur, was Macron gerade macht?

Lindner: Das kann man noch nicht sagen. Fest steht: Liberaler und progressiver als unter Macron wird Frankreich bei keinem anderen werden.

Frage: 2019 stehen schon wieder wichtige Wahlen an, nicht nur in Europa. Was wünscht sich der Privatmann Christian Lindner zum Fest?

Lindner: Ich wünsche mir einfach entspannte Tagen im Kreis von Freunden und Familie. Es war ein ausgesprochen forderndes und anstrengendes Jahr. Im Vergleich des gesamten letzten Lebensjahrzehnts war es das anstrengendste. Jetzt eine Ruhephase wäre einfach nur schön.

Social Media Button