LINDNER-Interview: Die GroKo wird mit schlechter Laune regieren
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab „Spiegel Online“ (Mittwoch) das folgende Interview. Die Fragen stellten Christoph Schult und Severin Weiland:
Frage: An diesem Mittwoch wurde Angela Merkel zum vierten Mal seit 2005 zur Kanzlerin gewählt, allerdings nur mit einer knappen Mehrheit von neun Stimmen. Wie beurteilen Sie den Ausgang?
Lindner: Die Große Koalition wird nach diesem Start mit schlechter Laune regieren. Das Ergebnis entlarvt, dass viele mit der Richtungslosigkeit unzufrieden sind. Es reicht nicht, mit vielen Milliarden Euro Steuergeld ein paar Lieblingsprojekte der beteiligten Parteien zu finanzieren.
Frage: Merkel hat nach Aussage von CSU-Chef Horst Seehofer während der Jamaika-Verhandlungen über Sie und die FDP gesagt: „Die wollen mich weghaben.“ Es ist anders gekommen. Ist Merkels Wahl eine Niederlage für Sie?
Lindner: Mir scheint, dass in Berlin zu viel über Karrieren spekuliert wird. Die FDP hat dokumentiert, dass wir auf Regierungsposten verzichten, wenn wir dafür unser Wort brechen müssten.
Frage: Sie wollten also die Kanzlerschaft von Frau Merkel gar nicht beenden?
Lindner: Hätten die Inhalte gestimmt, wäre sie von uns in einer Koalition gewählt worden. Wir haben mehr Freiräume für die Menschen versprochen, Tempo bei der Digitalisierung, ein modernes Einwanderungsrecht, ein neues Bildungssystem und eine Politik, die die Mitte finanziell entlastet. Aber mit Jamaika war das nicht möglich. Nach zwölf Jahren kann man insbesondere Frau Merkel nicht vorwerfen, dass sie vor allem an Kontinuität interessiert ist. In Zeiten des Wandels ist ein „Weiter-so“ aber gefährlich.
Frage: Wie sehr müssen Sie sich noch des Vorwurfs erwehren, Sie hätten sich bei Jamaika aus dem Staub gemacht?
Lindner: Durch unsere Entscheidung kam vieles in Bewegung. In den anderen Parteien und in der Sache. Nehmen Sie die Klimapolitik. Als wir die Klimaziele 2020 für physikalisch unerreichbar erklärt haben, wurden wir noch in die Nähe von Trump gerückt. Den neuen Realismus der CDU begrüße ich daher, denn er hat bei Jamaika gefehlt. Allerdings fehlt der nächste Schritt, wenigstens die Ziele 2030 ernsthaft und mit innovativer Politik zu erreichen. Statt Subventionen, Verboten oder Quoten plädieren wir dafür, CO2 einen Preis zu geben, damit der Markt die effektivste Form der Einsparung findet. Mit unserer Entscheidung haben wir unseren Wählerinnen und Wählern jedenfalls gezeigt, dass wir zu unseren Überzeugungen stehen.
Frage: FDP-Generalsekretärin Nicola Beer hat kürzlich als langfristiges Wahlziel 25 Prozent ausgegeben. Bei Umfragen von 8 bis 10 Prozent klingt das reichlich vermessen.
Lindner: Nicola Beer hat Vergleiche in Europa angestellt. Die FDP hat 1969 mit 5,8 Prozent der Republik eine andere Richtung gegeben und 2009 mit 14,6 Prozent nicht. In stürmischen Zeiten empfinde ich 10 Prozent Unterstützung da als Motivation. Darauf bauen wir auf. Wir machen den Menschen ein Angebot, die den Gedanken der Selbstverantwortung spannend finden. Ein Unternehmer, der die Subvention für seine Photovoltaik-Anlage liebt und nicht die Marktwirtschaft, ist bei uns falsch. Aber eine Lehrerin, die auf dem Land lebt und mit dem Elternverein improvisieren muss, damit sie Digitalisierung ins Klassenzimmer bekommt, findet bei uns eine politische Heimat. Wie viele Wähler man damit langfristig erreichen kann, wird man sehen.
Frage: Wo sehen Sie die FDP im Parteiensystem der Zukunft?
Lindner: In der Mitte. Wir regieren in drei Ländern mit Union, SPD und Grünen. Das dokumentiert unsere Kompromissfähigkeit und unsere Eigenständigkeit zugleich. Wie es im Bund weitergeht, hängt nicht nur von uns ab. Der grüne Parteichef Robert Habeck sagt etwa, seine Partei müsse liberaler werden, aber er veröffentlicht noch Texte, die sich wie von der Linkspartei lesen. Zugleich träumen die Grünen noch von Schwarz-Grün. Wie das weitergeht, ist spannend.
Frage: Wollen Sie nach dem Ende von Jamaika neue Kontakte zu den Grünen pflegen?
Lindner: Es gibt Kontakte zu allen Parteien. Die Grünen haben 2017 negativen Wahlkampf gegen uns gemacht, dort sitzen Vorurteile besonders tief. Vielleicht sind es manchmal aber auch nur Kampagnen gewesen, um die eigenen Anhänger zu beeindrucken. Die Arbeit im Bundestag wird Klarheit schaffen.
Frage: Lassen Sie uns zur Union kommen, zu Ihren Gesprächspartnern Jens Spahn und Alexander Dobrindt. Sind diese durch ihre Funktionen - der eine Gesundheitsminister, der andere CSU-Landesgruppenchef - eingehegt?
Lindner: Es sind starke Persönlichkeiten, aber nicht unsere einzigen Kontakte in die Union. Im vergangenen Jahr habe ich mit dem NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet dort schließlich eine schwarz-gelbe Koalition verhandeln dürfen. Die weitere Entwicklung der Union ist offen. Es gibt Anzeichen dafür, dass die neue CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer in der Thronfolge Merkels ganz weit nach oben gerückt ist. Wohin sie ihre Partei programmatisch steuert, darauf bin ich neugierig. Denn in der Wirtschaftspolitik steht sie sehr weit links von der Mitte, in der Gesellschaftspolitik sehr weit rechts von der Mitte.
Frage: Die SPD verzichtet aus Rücksicht auf die Union auf ihren Vorstoß zu einer Reform des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche. Auch die FDP wollte hier eine Liberalisierung. Wie bewerten Sie das?
Lindner: Moment. Es geht nicht um Werbung, sondern um die Information über medizinische Hilfe. Die Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch sind in keiner Weise betroffen. Wenn sich Frauen in schwierigen Lebenssituationen einer intensiven Beratung unterziehen müssen, bevor sie einen legalen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen dürfen - dann sollten sie sich über den Eingriff informieren können. Es ist eine Schande, dass die SPD sich der Union in letzter Minute unterworfen hat. CDU und CSU verweigern sich einer Lösung im Interesse von Frauen in Not aus Angst, radikale Abtreibungsgegner an die AfD zu verlieren. Angst ist aber nie ein guter Ratgeber. Wir werden als Kompromissvorschlag unseren Gesetzentwurf zur Abstimmung stellen, der anstößige Werbung unter Strafe stellt, seriöse Information aber erlaubt.
Frage: Ein Thema der neuen Großen Koalition ist die Einlagensicherung der europäischen Banken. Gehen Sie da auch auf Konfrontation zur Union?
Lindner: Ja. Die finanzielle Eigenverantwortung ist ein Gebot der Klugheit, weil niemand dauerhaft auf Kosten anderer wirtschaften sollte. Die Fehler der Finanzkrise der organisierten Unverantwortlichkeit dürfen nicht wiederholt werden. Wenn man unsere stabile Bankensicherung jetzt mit den riskanten Systemen in Europa fusioniert, dann bringt das nicht mehr Stärke, sondern die Rückkehr der Krisen. Die Kunden von Sparkassen und Volksbanken wären angeschmiert. Wir wollen mehr Europa, aber bei Sicherheit, Migration und Digitalisierung - und nicht bei unkontrollierbaren Finanztransfers.
Frage: Die FDP-Fraktion sitzt neben der AfD-Fraktion, es gibt öfters Zwischenrufe in ihre Richtung. Wie nehmen Sie das wahr?
Lindner: Zwischenrufe beleben die Debatten, wenn sie scharfsinnig oder witzig sind. Die der AfD wirken aber inzwischen wie unfreiwillige Komik.
Frage: Die AfD hat jüngst mehrmals medial die Agenda des Bundestags beherrscht.
Lindner: Die AfD hat es sich zum Geschäftsmodell gemacht, mit unsachlichen Tabubrüchen Aufmerksamkeit zu erzielen. Das sind aber stumpfe Waffen. Die Regierung bringt man nur in Schwierigkeiten durch fachlich präzise Vorstöße.
Frage: Was halten Sie davon, dass jüngst der Grünen-Politiker Cem Özdemir in der Debatte um den deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel die AfD des Rassismus beschuldigt hat?
Lindner: Der Kollege Özdemir hat der Versuchung nachgegeben, in der eigenen Anhängerschaft den Applaus zu suchen, indem er sich an der AfD abarbeitet. So treffend das in der Sache sein mag, man führt damit der AfD Energie zu. Deren Anhängerschaft entzückt die Empörung der Grünen geradezu. Man sollte denen nicht den Gefallen tun, über ihre Stöckchen zu springen.
Frage: Die Unionspolitiker Spahn und Dobrindt versuchen, mit ihrem konservativen Ansatz, die AfD auf ihre Art zu schwächen.
Lindner: Unser Ansatz ist, nüchtern die Probleme klein zu machen, die die AfD groß gemacht haben. Dabei wünsche ich der Regierung Mut und Klarheit - wenn Herr Seehofer bei der Durchsetzung des Einwanderungsrechts vorankommt, wird er unsere Unterstützung haben, das gilt auch für Frau Giffey, sollte sie die Integrationsprobleme angehen. Mit dem Versuch, der AfD nachzulaufen oder sie mit moralisierenden Vorträgen zu entzaubern, wird man keinen Wähler überzeugen.