26.08.2015FDPAsylpolitik

LINDNER-Interview: Die erste kleine Vorwahl für den Bundestag

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Mitteldeutschen Zeitung“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten LARS GEIPEL, BÄRBEL BÖTCHER und DOREEN HOYER:

Frage: Herr Lindner, wissen Sie, wer der Oberbürgermeister von Dessau ist?

LINDNER: Ich weiß, dass er in der FDP ist. Aber wir kennen uns bislang nicht persönlich.

Frage: Aber Peter Kuras ist bei der Oberbürgermeisterwahl in Dessau als unabhängiger Kandidat angetreten. Was heißt das für Ihre Partei?

LINDNER: Das ist eine Tendenz, die wir überall beobachten. Die Wahlen für die Spitzen unserer Städte und Gemeinden haben einen starken Persönlichkeitscharakter, die Parteien sind nachrangig. Ich finde es auch nicht schlecht, die Persönlichkeit ins Zentrum zu stellen – im Gegenteil: Es ist eine Stärkung unserer Demokratie.

Frage: Nach einer Durststrecke hat die FDP 2015 in Hamburg und Bremen wieder gute Wahlergebnisse eingefahren. Ist das schon die Trendwende?

LINDNER: Ich spreche noch nicht von einer Trendwende. Wir haben ein Signal bekommen, dass die Richtung unserer Erneuerung stimmt. Eine Trendwende können wir uns erst nächstes Jahr im März erarbeiten. Die drei Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sind der Gradmesser und werden zeigen, ob die Trendwende gelingt. Das wird die erste kleine Vorwahl für den Bundestag. Insbesondere Sachsen-Anhalt hat für die FDP eine enorme symbolische Bedeutung. Es ist für uns unerträglich, dass es 25 Jahre nach dem Mauerfall in den ostdeutschen Parlamenten keine liberale Stimme gibt – das wollen wir ändern.

Frage: Welche Erwartungen haben Sie an die Wahlen im nächsten Jahr?

LINDNER: Gerade in Sachsen-Anhalt haben wir schon einige Male bewiesen, dass die FDP echtes Comeback-Potenzial hat. Die Menschen hier schauen sehr genau hin und sind bereit, den Liberalen eine neue Chance zu geben. Wir stehen jetzt an der Schwelle, wieder ins Parlament einzuziehen. Für den Landtag würde das jedenfalls eine enorme Belebung der Debatten bedeuten.

Frage: Welche Schwerpunkte würden Sie denn in den Debatten setzen?

LINDNER: Wir stehen für eine Offenheit für Fortschritt, wirtschaftliche Vernunft und eine gesamtstaatliche Bildungsoffensive. Gerade in diesem Bereich muss auch der Bund mehr Verantwortung übernehmen und durch ausreichende Finanzierung für höhere Qualität an deutschen Schulen sorgen. Auch die Vergleichbarkeit der Bildung ist wichtig.

Frage: Sind Sie für ein Zentralabitur?

LINDNER: Cornelia Pieper, die ehemalige stellvertretende FDP-Vorsitzende, hat lange Zeit wegen ihres Engagements für das Zentralabitur viel Prügel bekommen. Hier hat sich die FDP sehr gewandelt. Früher verstand sich die Partei als Bewahrerin des Bildungsföderalismus. Wir haben aber erkannt, dass Bildung kein Wettbewerb zwischen Politikern und Bürokraten sein sollte.

Frage: Streben Sie bei der Wahl in Sachsen-Anhalt eine Regierungskoalition mit der CDU an?

LINDNER: Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Das unterscheidet die FDP von Protestparteien. Die Frage ist immer, ob es hinreichende Gemeinsamkeiten mit einem möglichen Partner gibt. Sie sprechen so selbstverständlich von der CDU. Wir stellen uns ganz unabhängig auf. Wir möchten gewählt werden als Freie Demokraten, nicht als Hilfstruppe von irgendjemandem. Mir fällt es jedenfalls zunehmend schwer, im politischen Tagesgeschäft noch Unterschiede zwischen CDU und SPD zu erkennen.

Frage: Sie könnten sich also auch eine Koalition mit der SPD oder den Grünen vorstellen?

LINDNER: Natürlich muss das theoretisch möglich sein. Aber praktisch haben SPD und Grüne nichts mehr zu tun mit den Parteien, die sie zu Zeiten des Erneuerungsimpulses „Agenda 2010“ waren.

Frage: Wird es im nächsten Jahr wieder eine Zweitstimmenkampagne der FDP geben?

LINDNER: Die Zweitstimme ist die wichtigste Stimme im Wahlrecht, natürlich werden wir wieder um diese Stimmen werben. Wir werden sagen: Wählt FDP – aber nicht, damit jemand anderes irgendetwas werden kann. Sondern wählt uns, wenn ihr die Stimme der Marktwirtschaft, Bürgerrechte und Toleranz stärken wollt.

Frage: Die Unterbringung von Flüchtlingen stellt die deutsche Politik momentan vor große Probleme. Wie würde die Debatte laufen, wenn die FDP noch im Bundestag wäre?

LINDNER: Ich würde konkret drei Punkte vorschlagen. Erstens müssen wir von der ungeordneten zur geordneten Zuwanderung kommen. Die Staaten des Balkans sollten zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden und zugleich muss die Visa-Pflicht wiedereingeführt werden. Gleichzeitig sollten wir ein Einwanderungsgesetz schaffen, das die Einreise qualifizierter Menschen erleichtert. Zweitens haben wir einen Stau unbearbeiteter Asylanträge. Asylanträge von Menschen aus dem Irak, aus Eritrea und aus Syrien sollten nach einer Sicherheitsüberprüfung pauschal angenommen werden. Sie werden ohnehin zu 99,5 Prozent bewilligt. Drittens sind Länder und Kommunen überfordert. Der Bund sollte 100 Prozent der Kosten während des Asylverfahrens übernehmen und die Organisation zentral steuern.

Frage: Sie haben jüngst gesagt, Sie würden Flüchtlinge eher in ländlichen Regionen als in Ballungsgebieten unterbringen. In Sachsen-Anhalt gibt es viele ländliche Regionen. Würden Sie also mehr Flüchtlinge hier unterbringen, als momentan geplant?

LINDNER: Es geht um die Unterbringung in einer Erstaufnahmeeinrichtung während der Prüfung des Asylantrags. Ich halte es nicht für sinnvoll, ausgerechnet dort Flüchtlinge unterzubringen, wo Wohnraum ohnehin knapp ist. Etwas anderes ist es, wenn der Asylantrag genehmigt worden ist. Dann müssen die Menschen dorthin, wo es Arbeit gibt, also eher weg von ländlichen Gebieten.

Frage: Die AfD hat sich nach einer kurzen Blütezeit gespalten. Wie stehen Sie zu ehemaligen AfD-Mitgliedern, die gern in die FDP eintreten wollen?

LINDNER: Kritisch. Eine Partei kann sich ihre Mitglieder bei der Aufnahme aussuchen. Da sollte man auf die Leute schauen, die die eigenen Grundüberzeugungen teilen und verteidigen. Wer bei der AfD war oder ist, hat viele Ressentiments mitgetragen. Stichworte wären Pegida, „Lügenpresse“, „Altparteien“. Die AfD vertritt völkisches Gedankengut. Wir als Liberale schauen dagegen auf den Einzelnen, jeden Einzelnen. Die AfD ist also das Gegenteil von uns. Wer von dieser Partei zu uns wechseln will, ist genauso glaubwürdig wie jemand, der von der Linkspartei zur FDP will. Die Motive sind zumindest fragwürdig. AfD-Mitglieder werden deshalb nur nach strenger Einzelfall-Prüfung aufgenommen.

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