LINDNER-Interview: Die Bundesregierung muss ihre Flüchtlingspolitik korrigieren
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Ostfriesen-Zeitung“ (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten ANDREAS HERHOLZ:
Frage: Die Parteichefs von Union und SPD treffen sich zu Flüchtlings-Krisengipfeln. Was erwarten Sie von diesen Gesprächen?
LINDNER: Die schwarz-rote Bundesregierung muss ihre bisherige Flüchtlingspolitik dringend korrigieren. Es war ein schwerer Fehler der Kanzlerin, die Grenzen in Ungarn zu öffnen, das Dubliner Abkommen außer Kraft zu setzen und Selfies mit Flüchtlingen zu machen. Das war das Signal „Kommt alle, wenn ihr ein besseres Leben wollt“. Das hatte eine starke Wirkung und hat noch mehr Menschen motiviert, sich auf den Weg zu uns zu machen. Frau Merkel erweckte den Anschein, Deutschlands Aufnahmefähigkeit sei unbegrenzt. Tag für Tag sehen wir aber in den Kommunen, dass dies nicht der Fall ist. Frau Merkel und ihre Regierung müssen umkehren und ihre Linie ändern. Wir brauchen eine schnelle Begrenzung des unkontrollierten Zuzugs und auf der anderen Seite ein liberales Einwanderungsgesetz.
Frage: Zerbricht die Große Koalition an der Flüchtlingskrise?
LINDNER: Mit Neuwahlen ist nicht zu rechnen, auch wenn wir sie nicht fürchten. Sowohl die Union als auch die SPD würden bei Wahlen an Zustimmung verlieren. Die Koalition wird nicht zerbrechen, sondern sich weiter durchwursteln. Ob Flüchtlingskrise, ungelöste Griechenlandkrise oder die drohende Konjunkturschwäche – zu keinem Thema haben Union und SPD eine einheitliche Meinung, und wenn, dann eine falsche.
Frage: CSU-Chef Seehofer droht damit, dass Bayern eigenständig reagieren werde, sollte die Bundesregierung nicht handeln.
LINDNER: Ich erwarte, dass Horst Seehofer wieder von der Palme klettert und Bayern nicht eigenmächtig handelt. Nach den Gesetzen hätte die CSU auch nur wenig Raum, um selbst weitgehend zu handeln. Notfalls könnte die Bundesregierung vom Bundeszwang Gebrauch machen, den das Grundgesetz vorsieht. Mich entsetzt aber dieser Umgangston in der Regierung. Die Union streitet sich auf offener Bühne, die SPD-Minister schauen dem zu, aber fallen tatenlos aus. Was machen denn Herr Gabriel und Frau Nahles zurzeit eigentlich? Bei der Umsetzung der SPD-Projekte in der Bundesregierung konnte es nicht schnell genug gehen, jetzt bei der Bewältigung dieser großen Krise ist nichts zu vernehmen. Die Bundesregierung sollte Maßnahmen ergreifen, dass in Europa, in der Türkei und im Libanon der Flüchtlingsstrom begrenzt und der Druck reduziert wird. Wir brauchen eine gemeinsame verstärkte Sicherung der europäischen Außengrenzen und müssen dafür sorgen, dass das Dublin-Abkommen wieder eingehalten wird. Wenn wir jetzt wieder Schlagbäume und Zäune an der deutsch-österreichischen Grenze errichteten, würde uns das um Jahrzehnte zurückwerfen – aber die deutsche Regierung verliert sich im Binnenstreit.
Frage: Was fordert die FDP konkret zur Bewältigung der Krise?
LINDNER: Wir brauchen eine umfassende Änderung des Ausländer- und Aufenthaltsgesetzes, die von der Kanzlerin offensiv vertreten werden sollten. Kriegsflüchtlinge sollten kein weitgehendes Asylrecht erhalten, das ihnen ein dauerhaftes Bleiberecht und Familiennachzug garantiert. Sie erhalten nur noch vorübergehenden humanitären Schutz ohne automatische Verlängerung des Aufenthaltes und ohne sicheren Familiennachzug. Ein solches Notverfahren, ähnlich wie beim Zustrom der Kriegsflüchtlinge aus Ex-Jugoslawien in den neunziger Jahren wäre ein klares wirksames Zeichen. Deutschland muss zudem eine noch aktivere Rolle im Nahen und Mittleren Osten übernehmen, um die Lage in den Krisenregionen und den Nachbarländern zu stabilisieren.
Frage: Der Winter naht. Droht jetzt eine humanitäre Katastrophe?
LINDNER: In der Bundesregierung weiß eine Hand nicht, was die andere tut. Der Flüchtlingskoordinator Altmaier ist mehr in Fernsehstudios unterwegs als in Flüchtlingswohnheimen. So löst man keine Probleme. Die Bundesbauministerin Hendricks hat bisher keine einzige Maßnahme auf den Weg gebracht, um das Bauen einfacher, günstiger und schneller zu machen. Wir werden einen Wohnungsnotstand erleben. Schon jetzt haben Familien Schwierigkeiten, bezahlbare Wohnungen zu bekommen. Der innere Frieden in unserer Gesellschaft wird gefährdet. Bei der Regierung erleben wir ein anhaltendes Staatsversagen. Inzwischen sind auch einige gutwillige Bürgerinnen und Bürger der Meinung, dass es so nicht weitergehen kann.
Frage: Schon wird das Ziel der Schwarzen Null, eines Bundeshaushaltes ohne neue Schulden, wieder in Frage gestellt. Wäre das angesichts der Flüchtlingskrise akzeptabel?
LINDNER: Die deutsche Wirtschaft ist gegenwärtig stark, die Steuereinnahmen sind hoch und die Zinsen sehr niedrig. In dieser Lage muss es möglich sein, auch eine Krise wie den Flüchtlingsstrom ohne neue Schulden und ohne höhere Steuern zu bewältigen. Die Bundesregierung muss innerhalb des Haushaltes umschichten. Die Schwarze Null darf jetzt nicht in Frage gestellt werden.