05.03.2018FDPFDP

LINDNER-Interview: Deutschland tritt auf der Stelle

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab dem „Handelsblatt“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Dana Heide:

Frage: Herr Lindner, was haben Sie gedacht, als klar war, dass die SPD-Mitglieder einer Großen Koalition zugestimmt haben?

Lindner: Ich habe mich in meiner Erwartung bestätigt gefühlt, dass die SPD zustimmt. Zwei Drittel des Koalitionsvertrages tragen die Handschrift der SPD, da ist es keine Überraschung dass die Partei zustimmt. Allerdings hat man an den kontroversen Debatten innerhalb der SPD auch gesehen, dass sich einige mehr Erneuerung gewünscht hätten. Das ist mir sympathisch.

Frage: Sie hatten die Ergebnisse der Koalitionsgespräche scharf kritisiert, es sei nicht das Erneuerungsprogramm, das Deutschland nun brauche. Ist dieses Ergebnis nun gut für Deutschland oder hätten Sie sich eher Neuwahlen gewünscht?

Lindner: Ich habe bereits vor dem Wochenende gesagt, dass die FDP mit jedem Ergebnis wird umgehen können. Bei einem Scheitern des Mitgliederentscheids wären wir bereit gewesen zur Neuwahl. Jetzt werden wir die Rolle der Opposition annehmen und da wo es notwendig ist, Veränderungen anmahnen. Richtig ist aber, dass die CDU bereit gewesen ist, viele Positionen und Inhalte der SPD zu opfern. Diese programmatische Opferbereitschaft der CDU führt dazu, dass das Land auf der Stelle tritt. Wohlstand wird umverteilt, die Regierung verliert sich im bürokratischen Klein-Klein. Der große Wurf lässt auf sich warten.

Frage: Das klingt, als hätten Sie die nächsten vier Jahre für Deutschland schon abgeschrieben.

Lindner: Nein, es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass es auch in Zukunft zu Verbesserungen kommt. In der Oppositionszeit der FDP, die wir nicht in alle Ewigkeit verlängern wollen, gibt es zwei Prioritäten: Erstens wollen wir alternative Möglichkeiten aufzeigen. Zweitens werden wir die Auseinandersetzung mit den anderen Parteien suchen.

Frage: Die Rolle der Opposition ist doch aber sehr beschränkt.

Lindner: Man kann auch in der Opposition die Regierung durch Argumente treiben.

Frage: Wo sehen Sie Deutschland in vier Jahren?

Lindner: Deutschland wird in vier Jahren schwächer sein, weil andere stärker geworden sind. Ich gehe aber davon aus, dass in den nächsten Jahren der Druck auf die Große Koalition größer wird, von den ursprünglichen Vorhaben abzuweichen. An allen Stellen wird sichtbar werden, dass es überall vorangeht, nur nicht bei uns. Ich halte eine Steuerreform für unverzichtbar. Bürger und Betriebe müssen entlastet werden. Auch in der Frage des Freihandels erwarte ich eine Veränderung. Deutschland steht da auf der Stelle. Und drittens: Dass wir ein Heimatministerium statt eines Digitalisierungsministeriums erhalten, wird in den nächsten Jahren ein drängendes Problem werden.

Frage: Die Vorzeichen für eine stabile Große Koalition sind ja denkbar schlecht. Die SPD ist zerrissen wie nie, auch in der CDU rumort ist. Wie lange wird diese Regierung halten?

Lindner: Ich gehe davon aus, dass die Große Koalition vier Jahre hält.

Frage: Hätten Sie sich jemand anders an der Spitze der Regierung gewünscht als Frau Merkel?

Lindner: Es ist doch klar: Jemand der zwölf Jahre eine Regierung führt, setzt seine eigenen Entscheidungen der Vergangenheit weiter um. Gerade wenn Parteien so unterschiedliche Positionen und Ziele haben wie SPD und CDU ist die Spitzenpersönlichkeit von besonderer Bedeutung. Frau Merkel ist mit ihrer Methode, Widersprüche nicht zu entscheiden, sondern mit Geld zuschütten zu wollen, nach zwölf Jahren gescheitert.

Frage: Die SPD hat ihren Mitgliedern versprochen, die Partei auch während der Regierungsbeteiligung zu erneuern. Kann das gelingen?

Lindner: Bei einem solchen Prozess kommt es darauf an, zu schauen, wofür man eigentlich steht. Einen Schritt hat die SPD bereits getan: Der Mitgliederentscheid. Diese Lebendigkeit der innerparteilichen Demokratie hat mich beeindruckt. Die hohe Beteiligung und die intensive Debatte sind für die Weiterentwicklung der gesamten Parteienlandschaft sehr wichtig.

Frage: Sie teilen die Kritik also nicht, dass es ein undemokratischer Prozess war, weil beim Mitgliederentscheid ja auch Menschen abstimmen konnten, die noch nicht einmal wahlberechtigt sind?

Lindner: Diese Kritik habe ich nie für stichhaltig gehalten. Wenn die Mitglieder einer Partei direkt über einen Koalitionsvertrag entscheiden, dann hat das eine höhere demokratische Legitimation, als all das, was wir in den vergangenen Jahrzehnten erlebt haben. Dass die Union als einzige Partei an der Funktionärsdemokratie festhält, finde ich bedauerlich und verstaubt.

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