10.01.2014FDPZuwanderung und Integration

LINDNER-Gastbeitrag für „Handelsblatt Online“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER schrieb für „Handelsblatt Online“ den folgenden Gastbeitrag:

Wer Bulgaren oder Rumänen pauschal Sozialmissbrauch unterstellt, wie dies in den vergangenen Tagen getan wurde, der opfert die Weltoffenheit unseres Landes. Deutschland aber braucht mehr denn je eine Willkommenskultur. Auf dieses Ziel ist übrigens jeder, der in Deutschland politische Verantwortung trägt, schon durch das Grundgesetz verpflichtet. Denn in Artikel 3 unserer Verfassung heißt es: „Niemand darf wegen (...) seiner Heimat und Herkunft (...) benachteiligt (...) werden.“

Qualifizierte Zuwanderung ist eine der Antworten auf die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft. Wir sollten uns glücklich schätzen, wenn Menschen zu uns kommen wollen, um mit uns gemeinsam unseren Wohlstand auszubauen und unsere sozialen Sicherungssysteme angesichts des demografischen Wandels stabil zu halten.

Für uns Liberale kommt es deshalb nicht darauf an, woher jemand kommt. Es kommt darauf an, wohin er mit uns will. Wir sind überzeugt: Wer an dieser Gesellschaft teilhaben möchte, wer sich in unser Wirtschaftsleben einbringen will, wer die republikanische Wertordnung des Grundgesetzes akzeptiert, der soll hier auch ein neues Zuhause finden können. Aber damit Menschen voller Tatendrang und Schaffenskraft nach Deutschland kommen, müssen sie uns in Deutschland vor allem eines sein – willkommen. Pauschale Verdächtigungen, falsche Vorhaltungen und mediale Stimmungsmache sind das Gegenteil einer Willkommenskultur.

Gleichzeitig ist auch klar: Die vielen Menschen, die zu uns kommen, um hier bei uns zu arbeiten und ihre Kinder großzuziehen, die Teil unserer Gesellschaft sein wollen – wir würden sie den Stimmungsmachern ausliefern, wenn wir real existierende Probleme nicht angehen. Es gibt diese Probleme, etwa in Duisburg, Offenbach oder Berlin. Mit verwahrlosendem Wohnraum, mit kaum beschulbaren Kindern und mit steigender Kriminalität. Mit diesen Problemen dürfen die Städte und Gemeinden und die Bürgerinnen und Bürger nicht alleine gelassen werden – sie brauchen echte Hilfestellungen. Denn die nicht gelösten Probleme vor Ort bilden sonst den Nährboden, auf dem die Parolen der Stimmungsmacher gedeihen.

Zur Behebung der Missstände müssen alle Behörden gemeinsam an einen Tisch. Es müssen auch europäische Mittel genutzt werden. Schließlich haben wir den Sozial- und Rechtsstaat dafür, dass er sich diesen Fragen annimmt. Verschärfungen der Rechtslage sind hingegen nicht nötig. Denn schon heute heißt es in der Freizügigkeitsrichtlinie der EU wörtlich, dass „Personen, die ihr Aufenthaltsrecht ausüben, während ihres ersten Aufenthalts die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen“ sollen. „Daher sollte das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen für eine Dauer von über drei Monaten bestimmten Bedingungen unterliegen.“

Diese Bedingungen konkretisiert die Richtlinie in der Form, dass Arbeit, ausreichende Finanzmittel und Krankenversicherung vorhanden sein müssen, um sich dauerhaft in einem EU-Staat niederzulassen, damit der Einwanderer nicht Hilfe zum Lebensunterhalt einfordern muss. Diese Vorbedingungen für einen dauerhaften Aufenthalt in unserem Land sind richtig. Wenn die EU-Kommission diese klare Rechtslage infrage stellen sollte, dann muss hier allenfalls eine Klarstellung durch den europäischen Gesetzgeber erfolgen.

Doch bislang wird dieses geltende Recht kaum durchgesetzt. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel, dem größten Bundesland mit den meisten Einwanderern, hat die rot-grüne Landesregierung diese Regelungen bislang in keinem einzigen Fall durchgesetzt. Wenn es aber europäisches Recht gibt, dass deutsche Regierungen nicht umsetzen, dann ist das kein Problem Europas, sondern ein Problem der deutschen Politik. Wer in leicht durchschaubarer Absicht mit dem Finger nach Brüssel zeigt, auf den zeigen drei Finger zurück.

Die Folge dieser Realitätsverweigerung – nicht nur in NRW, sondern in ganz Deutschland – sind populistische Debatten auf Kosten der europäischen Freizügigkeit und auf Kosten der Menschen, die in unser Land kommen, um hier zu leben und hier zu arbeiten. Das dürfen wir nicht hinnehmen.

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