07.11.2013FDPEuropapolitik

LINDNER-Gastbeitrag für das „Handelsblatt“

Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER schrieb für das „Handelsblatt“ (Donnerstag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Auf Abwegen

„Die Staatsschuldenkrise in Europa ist nicht überwunden. Unverändert sind strukturelle Reformen nötig, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und die finanzpolitische Eigenständigkeit der Euro-Staaten wiederherzustellen. Die von Deutschland ausgehende stabilitätsorientierte Krisenstrategie zeigt jedoch erste Erfolge. Diese vielversprechenden Signale nehmen unser Land in eine besondere Verantwortung, selbst den Maßstäben gerecht zu werden, die wir anderen empfohlen haben. Gerade deshalb geben die Gespräche zur Bildung einer Großen Koalition Anlass zur Sorge.

Der finanzpolitische Kurs der nächsten Bundesregierung ist im Einzelnen noch vage. Aber dennoch ist ein Richtungswechsel bereits unverkennbar: Diese Koalition wird nicht nur groß, sondern vor allem teuer. Der Kitt zwischen Schwarz und Rot sind Mehrausgaben. Jeder bekommt alles – koste es, was es wolle. In den vergangenen vier Jahren hatte dagegen Ausgabendisziplin Priorität. Nach der Rekordverschuldung des Jahres 2009 konnte für 2014 ein strukturell ausgeglichener Haushaltsentwurf vorgelegt werden. Am Ende der Wahlperiode hat der Bund weniger Geld ausgegeben als zu Beginn – zum ersten Mal seit 1949. Die Sozialkassen sind voll.

Durch ausgeglichene Haushalte kann sich der Staat aus der Abhängigkeit der Kapitalmärkte befreien und sich wieder neuen Handlungsspielraum erarbeiten. Bei stetigem Wachstum sinkt seine Schuldenquote. Die Staatsausgaben unter Kontrolle halten und eine wachstumsorientierte Finanz- und Arbeitsmarktpolitik formulieren – das begründet Deutschlands gegenwärtige Stärke. Sie droht nun leichtfertig durch Gefälligkeitspolitik verspielt zu werden.

Die Vorhaben der Koalitionäre übersteigen inzwischen um ein Vielfaches die finanziellen Möglichkeiten: Der geplante Griff in die Rentenkasse, die Erhöhung der Pflegebeiträge, die Belastung von Kleinsparern und privater Altersvorsorge durch eine zusätzliche Steuer – all das kommt die Bürgerinnen und Bürger teuer zu stehen. Dass es dabei allerdings gerade nicht um Schuldenabbau oder dringend erforderliche Investitionen geht, zeigt sich ebenfalls schon jetzt: Während das Bundestagspräsidium vergrößert wird, versenken die Großkoalitionäre andererseits die geplante Schuldentilgung ab dem Jahr 2015.

Deutschland verspielt damit die einmalige Chance, den Weg der Entschuldung des Staates erfolgreich weiterzugehen. Was wäre stattdessen zu tun?

Erstens: Wir brauchen ein Moratorium für neue Staatsaufgaben. Die Steuermehreinnahmen sollten vordringlich für den Abbau der Neuverschuldung, zur Stabilisierung des Wachstums und zur Rückführung des Schuldenberges reserviert werden. Die Chancen dafür sind gut: In den zurückliegenden zehn Jahren sind die Steuereinnahmen von 440 auf nunmehr 600 Milliarden Euro gestiegen. Und auch in den kommenden Jahren sprudeln die Steuerquellen: Die Konjunktur ist robust, der Arbeitsmarkt ist in erfreulicher Verfassung. Davon profitiert vor allem der Staat, dessen Einnahmen noch einmal um etwa 100 Milliarden Euro ansteigen werden.

Zweitens: Wachsende Steuereinnahmen sind kein Naturgesetz – übrigens genauso wenig wie niedrige Zinsen, die, kombiniert mit dem demografischen Wandel, schnell zum Pulverfass werden können. Die Reformen am Arbeitsmarkt und wettbewerbsfähige Lohnkosten der vergangenen Jahre haben in Deutschland einen Wachstumsschub möglich gemacht. Wichtigste Aufgabe der neuen Regierung ist, die Wachstumsimpulse der Vergangenheit nicht nur zu verbrauchen, sondern neue zu setzen. Die Angebotsbedingungen der deutschen Wirtschaft müssen gepflegt werden. Steigende Sozialversicherungsbeiträge, neue Regulierungen auf dem Arbeitsmarkt und die Einführung einer Vermögensteuer, wie jetzt noch einmal von der SPD gefordert, verschlechtern aber die Rahmenbedingungen für Binnenkonsum und Export gleichermaßen. Angesichts der durch die Tarifabschlüsse ohnehin wieder steigenden Lohnstückkosten würde die deutsche Wirtschaft erheblich an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen. Dazu darf es nicht kommen.

Drittens: Echte Wachstumsimpulse sind nur von Maßnahmen zu erwarten, mit denen wir die Produktivität der deutschen Wirtschaft weiter erhöhen: Steigerung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren, Ausbau und Modernisierung der Infrastruktur, bessere Bildung und mehr Investitionen für Forschungsvorhaben.“

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