18.02.2016FDPAsylpolitik

LAMBSDORFF-Interview: Merkel muss eine europäische Lösung schaffen

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF gab dem „Reutlinger General-Anzeiger“ (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte JÜRGEN RAHMIG:

Frage: Der EU-Gipfel könnte einer der wichtigsten überhaupt werden. Europa steht vor der Zerreißprobe. Wie konnte es dazu kommen? Welche Verantwortung trägt die Kanzlerin?

LAMBSDORFF: Richtig war, dass in der angespannten Lage der Flüchtlinge in Budapest etwas getan werden musste. Das war eine menschliche Notwendigkeit. Aber es gab zwei entscheidende Fehler: Die Bundeskanzlerin hat sich dabei einmal mehr nicht mit den europäischen Partnern abgestimmt, genau wie bei der Energiewende nach Fukushima. Und zweitens hat sie nicht bedacht, was eine solche einseitige Einladung an die Flüchtlinge für Konsequenzen hat – gerade vor dem Hintergrund, dass sich diese Nachricht über die sozialen Medien verbreitet hat wie ein Lauffeuer.

Frage: Warum ist nun eine Lösung so schwierig geworden?

LAMBSDORFF: Frau Merkel muss jetzt diesen Fehlentscheidungen hinterherregieren. Die Menschen in Deutschland haben das Gefühl, dass ihre Regierung die Sache nicht im Griff hat. Daran trägt die CSU eine erhebliche Mitschuld, die sich benimmt wie ein rebellischer Teenager. Bei großen Herausforderungen aber braucht eine Regierung, zumal eine Große Koalition, das Vertrauen der Bürger, dass die demokratischen Politiker zur Lösung fähig sind. Das sage ich als Staatsbürger, nicht als Oppositionspolitiker, denn wir sehen ja, dass jetzt gerade die Extremisten Zulauf haben. Das kann kein Demokrat wollen. Das zweite Problem ist, dass die europäischen Partner verstimmt sind. Die sagen jetzt: Liebe Frau Bundeskanzlerin, hätten Sie mit uns gesprochen, dann hätten wir auch eine abgestimmte Position entwickeln können. Hinterher um Hilfe zu rufen reicht nicht. Mittlerweile sind die Fronten verhärtet und die Bundesregierung findet kaum noch Länder, die bereit sind, Deutschland zu entlasten.

Frage: Deutschland steckt in dem alten Führungsdilemma innerhalb der EU. Also Führung ja, aber wie?

LAMBSDORFF: Wenn Deutschland eine europäische Führungsrolle ausübt, dann geht das nur unter zwei Bedingungen: Erstens mit anderen Partnern, die auch führen, wie beispielsweise Frankreich. Zweitens: Wenn wir eine Führungsrolle übernehmen, dann müssen die anderen diesen Kurs auch mittragen. Wenn man vorausgeht, ohne dass einem die anderen folgen, dann bringt das nichts. In der Flüchtlingsfrage sehen wir, dass Frau Merkel ohne Absprachen das Ruder an sich reißen wollte, aber die anderen Mitgliedstaaten nun ihre Gefolgschaft verweigern. Das ist keine Führung, sondern ein Alleingang.

Frage: Wo führt denn Frankreich zum Beispiel?

LAMBSDORFF: Premierminister Valls hat ein ganz konkretes Angebot für eine neue europäische Sicherheitspolitik gemacht. Da ist Musik drin, denn zur Sicherheitspolitik gehört natürlich der Schutz unserer Außengrenzen, dazu gehört auch eine Politik, die verhindert, dass Libyen ein gescheiterter Staat wird mit entsprechender Massenflucht nach Europa. Das sind alles Dinge, die uns unmittelbar betreffen, von Europa bis zu Hause vor Ort – bis hin in unsere Kommunen und in unsere Turnhallen.

Frage: Die Fehler sind doch schon vorher gemacht worden, als es um Lampedusa ging. Zu dem Zeitpunkt hatte sich Berlin einer Lösung verweigert.

LAMBSDORFF: Das ist völlig richtig. Als sich im Oktober 2013 das Schiffsunglück vor Lampedusa ereignete, haben Italiener und Griechen sofort davor gewarnt, dass das Dublin-Verfahren zur Verteilung von Flüchtlingen nicht funktionieren wird, wenn es wirklich hart auf hart kommt. Wir brauchen seit Jahren eine Reform des Dublin-Systems. Doch da haben die Innenminister in Berlin trocken gesagt: Europäische Solidarität schön und gut, aber um die Flüchtlinge kümmert ihr euch ganz alleine. Auch das fällt uns jetzt auf die Füße.

Frage: Werden die Europäer sich zusammenraufen? Was machen die Briten?

LAMBSDORFF: Die FDP will Großbritannien drinnen halten, England ist schließlich das Mutterland des Liberalismus. Viele von Camerons Forderungen finden wir gut: mehr Wettbewerbsfähigkeit, mehr Marktwirtschaft, mehr Entscheidungen vor Ort, das können wir alles unterstützen.

Frage: Die Briten haben Forderungen gestellt und Europa kommt ihnen entgegen. Sie sagen, dass Sie das begrüßen, aber gibt es denn auch Forderungen, die Sie kritisch sehen?

LAMBSDORFF: Es gibt eine Forderung, die wir als Freie Demokraten sogar rundweg ablehnen. Cameron will die Leistungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus anderen EU-Mitgliedstaaten mit einer sogenannten Notbremse kürzen. Hier muss man genau hinschauen: Es geht nicht um Menschen, die einfach so nach England kommen und nicht arbeiten, sondern um EU-Bürger, die Jobs in England haben und ganz brav ihre Steuern und Abgaben zahlen wie jeder Engländer auch. Dass Spanier oder Polen gegenüber englischen Arbeitskollegen benachteiligt werden sollen, die genau den gleichen Job machen, das gleiche Gehalt bekommen, die gleichen Steuern und Abgaben zahlen, geht überhaupt nicht.

Frage: Wo liegt denn da das Problem für uns?

LAMBSDORFF: Cameron legt hier die Axt an eine der Grundsäulen des europäischen Binnenmarkts, der gerade für Deutschland als Exportnation so wichtig ist. Wenn wir bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit nachgeben, dann könnten als Nächste zum Beispiel die Italiener eine Notbremse bei der Warenverkehrsfreiheit auf deutsche Autos fordern. Oder die Polen sagen, wir wollen eine Notbremse bei der Dienstleistungsfreiheit gegen deutsche Supermärkte wie Aldi, Lidl oder Obi. Sie sehen schon: Deutsche Unternehmen, die in Europa mit ihren Waren und Dienstleistungen erfolgreich sind, geraten hier ganz konkret in Gefahr.

Frage: Erwarten sie auf dem Gipfel konkrete Ergebnisse?

LAMBSDORFF: Ich hoffe, dass die Kanzlerin eine gemeinsame europäische Lösung schafft, denn ich will nicht, dass in ganz Europa die Extremisten stärker werden. Sonst müssen wir zurück zur Anwendung des Dublin-Systems, also das Recht wieder anwenden, das sie ausgesetzt hat. Als Freie Demokraten wollen wir keinen Rechtsruck, sondern einen starken Rechtsstaat.

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