14.04.2014FDPEuropa

LAMBSDORFF-Interview für „Die Welt“

Berlin. Der Spitzenkandidat zur Europawahl und Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament FDP-Präsidiumsmitglied ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF gab der „Welt“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Thorsten Jungholt:

Frage: Graf Lambsdorff, Sie kennen Russland gut, sind oft dort, sprechen die Sprache. Nach Ihrer Einschätzung: Was treibt Wladimir Putin an?

LAMBSDORFF: Putin ist von Haus aus KGB-Offizier. Es gibt ein sehr treffendes russisches Sprichwort, das heißt: Einen ehemaligen KGB-Offizier gibt es nicht. Putin ist jetzt Präsident, aber er verfolgt noch immer die Agenda des KGB, so, wie er es als junger Mann gelernt hat: russische Größe, russische Stärke zu schützen, zu verteidigen und auszubauen. Sein Satz, dass der Untergang der UdSSR das größte geopolitische Unglück des 20. Jahrhunderts war, steht bis heute. Putin verfolgt also eine spezifisch russische Reichsidee. Er will wieder eine Art Sowjetunion, nicht als kommunistisches Land, aber als Ausdruck russischer Größe.

Frage: Wie weit wird er dabei gehen?

LAMBSDORFF: Ob er für dieses Ziel weiter Völkerrechtsverletzungen zu begehen bereit ist, weiß heute niemand. Jedenfalls ist eine Mischung aus Entschlossenheit und diplomatischem Geschick nötig, um sicherzustellen, dass diese russischen Bestrebungen unsere Friedensordnung in Europa nicht in Gefahr bringen.

Frage: Würden Sie als Diplomat mit der Ukraine-Krise anders umgehen als die Bundesregierung?

LAMBSDORFF: Ich fand gut, dass die drei Außenminister Fabius, Sikorski und Steinmeier in Kiew verhandelt haben, um eine friedliche Lösung zu erreichen. Ich verstehe nur nicht, warum sie so früh abgereist sind und das ausgehandelte Abkommen nicht unter Dach und Fach gebracht haben. Das ist mir unerklärlich. Die drei hätten warten müssen, bis die Tinte trocken ist, möglicherweise hätte das die Eskalation mit der Flucht Janukowitschs und der Annexion der Krim verhindern können.

Frage: Sind Sanktionen gegen Russland richtig?

LAMBSDORFF: Ja, die westliche Wertegemeinschaft darf einen so schweren Völkerrechtsbruch nicht einfach durchgehen lassen. Was aber fehlt, sind konkret formulierte Bedingungen für den Ausstieg aus den Sanktionen und den Wiederbeginn des Dialogs mit Moskau. Wir werden Stabilität in Osteuropa doch nicht ohne oder sogar gegen, sondern nur mit Russland hinbekommen.

Frage: Die osteuropäischen EU- und Nato-Mitglieder wünschen sich mehr Unterstützung, auch durch Militärpräsenz. Müsste die FDP als Partei der Freiheit nicht mehr Verständnis für diese Forderungen von Ländern haben, die um ihre Freiheit fürchten?

LAMBSDORFF: Wir verstehen das sehr gut, ich spreche jede Woche mit polnischen und baltischen Politikern. Wir kennen auch unsere Bündnisverpflichtungen in der Nato, zu denen wir unmissverständlich stehen. Aber wir werden mit Sicherheit keine militärische Eskalation unterstützen, die den Bündnisfall möglicherweise erst auslöst. Ich halte die Gedankenspiele Frau von der Leyens, jetzt Bundeswehrsoldaten nach Polen zu verlegen, für völlig falsch. Das erinnert an das Buch von Christopher Clark über den Ersten Weltkrieg: Es kann doch nicht sein, dass wir uns wie Schlafwandler in einer vermeintlichen Unvermeidlichkeit in eine Eskalationsspirale begeben, die am Ende zu einem Krieg führt.

Frage: Welche Folgen muss die Krim-Krise für die deutsche Energiepolitik haben? Die Kanzlerin hat ja über eine Neuorientierung räsoniert.

LAMBSDORFF: Es ist immer ungünstig, zu abhängig von einem Lieferanten zu sein. Wir müssen die Möglichkeit schaffen, unsere Haushalte und Unternehmen mit weniger oder sogar ohne russische Energielieferungen zu versorgen.

Frage: Wie soll das praktisch gehen?

LAMBSDORFF: Dafür brauchen wir endlich Flüssiggasterminals in deutschen Häfen. Wir brauchen ein Pipelinenetz innerhalb der Europäischen Union, mit dem wir unsere östlichen Partner versorgen können, falls einmal die Zuflüsse aus Russland nicht mehr kommen - entweder, weil Moskau das so entscheidet, oder, weil wir das so wollen. Das ist eine Frage der Souveränität. Außerdem ist unsere eigene Energieversorgung wichtig. Da ist es grotesk, dass Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen gerade jetzt den Braunkohletagebau in Garzweiler verkleinert, also heimische Energieträger beschädigt. Das ist das Gegenteil einer verantwortungsvollen Energiepolitik.

Frage: Ist es weise, die Förderung von Schiefergas in Deutschland zu verteufeln?

LAMBSDORFF: Es geht ja noch gar nicht um Förderung, schon die Forschung auf diesem Gebiet wird verteufelt. Das zeigt die typisch fortschrittsfeindliche Haltung von SPD und Grünen. Wenn sich herausstellt, dass Schiefergasförderung auch in einem dicht besiedelten Land wie Deutschland möglich ist, dann sollten wir es machen. Wenn sich herausstellt, dass die Umweltschäden den Nutzen überwiegen, nicht. Dann wird der Bedarf für Flüssiggasterminals nur umso dringender.

Frage: Wenn Sie sehen, dass in Deutschland ein staatliches Kraftwerk geplant wird, dass funktionierende Kernkraftwerke abgeschaltet werden, um anschließend mehr Strom aus französischen Meilern wie Fessenheim zu beziehen: War dann die Entscheidung der Bundesregierung unter Beteiligung der FDP richtig, den Atomausstieg weiter zu beschleunigen?

LAMBSDORFF: Aus der damaligen Situation unmittelbar nach dem Unglück in Fukushima habe ich Verständnis für diejenigen, die das so entschieden haben. Aber das heißt nicht, dass wir angesichts sich ändernder geopolitischer und wirtschaftlicher Entwicklungen an einer einmal getroffenen Entscheidung stur festhalten müssen. Japan selbst hat seine damalige Entscheidung ja gerade zurückgenommen. Wenn es notwendig ist, die Laufzeiten von Atomkraftwerken zu verlängern, um die Grundlastversorgung in Deutschland sicherzustellen, dann muss man darüber reden – auch wenn einige dann gleich wieder vom Ausstieg aus dem Ausstieg schwadronieren. Aber man kann doch nicht so tun, als ob die Welt sich nicht weitergedreht hätte! Und den Ausstieg aus Deutschland als Industriestandort möchte ich nicht verantworten. Es ist ohnehin höchste Zeit für einen europäischen Energiemarkt, auf dem jeder Haushalt und jeder Betrieb frei entscheiden kann, woher er seinen Strom bezieht.

Frage: Das heißt: Mehr Macht in der Energiepolitik für Europa?

LAMBSDORFF: Wenn Sie so wollen, ja. Der funktionierende Energiemarkt in Europa ist eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre. Denn damit könnten auch die unfairen und viel zu hohen Energiepreise in Deutschland sinken. Atomstrom aus Frankreich, Kohlestrom aus Tschechien, Ökostrom aus Skandinavien - jeder muss das kaufen können, so, wie man einen Peugeot, Skoda oder Volvo kauft, wenn man das will.

Frage: Ein Thema für den Europa-Wahlkampf?

LAMBSDORFF: Natürlich. Die FDP will europaweite Marktwirtschaft statt 28-facher nationaler Planwirtschaft mit 28 verschiedenen Fördersystemen für Erneuerbare. Das ist ein ganz zentrales Wahlkampfthema. Dazu kommt die Fortsetzung der stabilitätsorientierten Euro-Politik: Wir Liberale stehen völlig klar zum Stabilitäts- und Reformkurs, anders als Union und SPD, die jetzt wieder nach Euro-Bonds rufen. Und wir werden uns schließlich massiv für die Privatsphäre der Menschen und gegen staatliche Schnüffelei einsetzen.

Frage: Warum sollte irgendein Wähler darauf vertrauen, dass die am Boden liegende FDP irgendetwas davon durchsetzen kann?

LAMBSDORFF: Weil die Liberalen in Europa relevant sind. Es gibt nur drei Parteien, die bei der Gestaltung der EU nach der Wahl eine Rolle spielen werden: Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale. Nur diese drei Parteien sind bei den Staats- und Regierungschefs vertreten, die den Kommissionspräsidenten nominieren. Liberale stellen dort vier Regierungschefs, darunter den Premierminister der Niederlande. Und wir sind die drittgrößte Fraktion im Europaparlament.

Frage: Ihr Parteifreund Rainer Brüderle hat gerade ein Buch vorgestellt, in dem er sich ausführlich mit dem Regierungsversagen der FDP beschäftigt. Hilft Ihnen das im Europawahlkampf?

LAMBSDORFF: Rainer Brüderle hatte das Gefühl, sich etwas von der Seele reden zu müssen, das hat er getan. Ich bin Spitzenkandidat einer rundum erneuerten FDP und kämpfe für marktwirtschaftliche Politik in Europa. Dort haben Union und SPD ein ernstes Problem: Sie predigen in Brüssel Wasser und saufen zu Hause Wein. In der EU Reformpolitik fordern, aber hier bei uns Frauenquoten, Mindestlöhne und Rentengeschenke beschließen - das ist nicht seriös, das hat mit Marktwirtschaft nichts zu tun.

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