12.06.2013FDPEuropapolitik

LAMBSDORFF-Interview für das "Handelsblatt"

Berlin. Der Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament FDP-Präsidiumsmitglied ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF gab dem "Handelsblatt" (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte RUTH BERSCHENS:

Frage: Graf Lambsdorff, entwickelt sich die Türkei zu einem autoritär regierten islamischen Staat?

LAMBSDORFF: Die Befürchtung ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Äußerungen von Premier Erdogan über die Demonstranten erinnern an die schlechten alten Zeiten, als die Türkei ein autoritärer Staat war. An diesem Punkt ist das Land heute allerdings längst nicht.

Frage: Kann die EU auf die Entwicklung in der Türkei Einfluss nehmen?

LAMBSDORFF: Die EU muss darauf bestehen, dass sich die Türkei als EU-Beitrittskandidat an die politischen Kriterien von Kopenhagen hält, dass sie also die Minderheitenrechte und die Versammlungsfreiheit respektiert.

Frage: Die EU-Mitgliedschaft ist für die Türkei allerdings in weite Ferne gerückt. Wird sich das Land womöglich ganz von Europa abwenden und Richtung Osten orientieren?

LAMBSDORFF: Die Türkei hat jahrelang versucht, ihr Verhältnis zu den Nachbarländern im Osten zu stabilisieren - vergeblich. Fakt ist, dass die Regierung in Ankara mit Syrien und anderen Anrainerstaaten große Probleme hat. Auch deshalb gibt es für die Türkei keine Alternative zur EU. Europa ist der größte Markt für türkische Produkte und die Quelle von Know-how, ohne das die türkische Wirtschaft nicht vorwärtskommt. Realistischerweise muss jede türkische Regierung daher erkennen, dass sie Europa braucht.

Frage: Das hindert Premier Erdogan aber nicht daran, die Europäer mit seinem Verhalten gegenüber der eigenen Opposition zu provozieren.

LAMBSDORFF: Das ist richtig. Darüber wird es in der türkischen Regierungspartei AKP aber noch heftige Diskussionen geben. Dabei bildet Staatspräsident Abdullah Gül einen positiven Gegenpol zu Erdogan. Gül steht zwar ebenso wie Erdogan fest auf dem Boden der islamischen Werte, tritt aber viel offener, konzilianter und liberaler auf. Alles läuft auf die Frage hinaus: Erdogan oder Gül? Daran wird sich die Zukunft der Türkei entscheiden.

Frage: Könnte dieser Streit das Land in einen Bürgerkrieg führen?

LAMBSDORFF: Das glaube ich nicht. Die Türkei ist eine funktionsfähige Demokratie und deshalb ein völlig anderer Fall als Ägypten, Libyen oder Tunesien. Vergleiche mit dem arabischen Frühling halte ich für abwegig. Bei aller Kritik an Erdogan muss man doch festhalten, dass er ein demokratisch gewählter Politiker ist, der auch wieder abgewählt werden kann.

Frage: Es besteht also keine Gefahr für deutsche Investoren in dem Land?

LAMBSDORFF: Nein, die sehe ich im Moment nicht.

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