18.06.2014FDPEuropa

LAMBSDORFF-Gastbeitrag für „Die Welt“

Berlin. Der Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament FDP-Präsidiumsmitglied ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF schrieb für „Die Welt“ (Mittwoch-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

All in! David Cameron pokert hoch, er will Jean-Claude Juncker als nächsten Kommissionspräsidenten unbedingt verhindern. Zeitweise hat er sich sogar dazu verstiegen, die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens an diese Personalie zu knüpfen. Derartige Erpressungsversuche dürfen sich die anderen Europäer nicht gefallen lassen. Allerdings hadert auch die Bundeskanzlerin mit ihrer Entscheidung. Ein Votum für Juncker würde aus ihrer Sicht die Regierungen schwächen und das Europaparlament stärken. Das aber ist falsch. Die Benennung europäischer Spitzenkandidaten war weder Ausdruck von übersteigertem Machtwillen des Europaparlaments noch war sie inhaltsleerer Selbstzweck.

Sie war vielmehr eine konkrete Maßnahme, um das Demokratiedefizit der EU zu bekämpfen: Hier eine Führungsposition, da die Kandidaten, und der Wähler entscheidet – so funktioniert Demokratie nun einmal. Dem Parlament unredliches Verhalten zu unterstellen, weil es bei der Auswahl des Kommissionspräsidenten auf die Berücksichtigung des Wahlergebnisses pocht, zeugt dagegen von einem eigenartigen Demokratieverständnis. Bekanntlich aber klagt kein Land lauter über den angeblichen Mangel an Demokratie und Bürgernähe in der EU als Großbritannien. Dass ausgerechnet David Cameron das Konzept der Spitzenkandidaten ablehnt, ist deshalb besonders scheinheilig und verlogen. So unvollständig und verbesserungsfähig das Verfahren auch sein mag – es kommt gerade der berechtigten Kritik an Brüssel entgegen.

Die wahren Motive der Gegner sind andere: Sie wollen nicht mehr Demokratie, sondern die Rückabwicklung der EU. Wer wie die Tories oder die AfD ein Vetorecht für jedes einzelne nationale Parlament bei jeder einzelnen europäischen Entscheidung fordert, blockiert Europa ein für allemal – auch da, wo europäische Lösungen sinnvoll sind.

Um diese Schmierenkomödie zu beenden, sollten endlich inhaltliche Fragen mit personellen verknüpft werden. Der liberale Ministerpräsident der Niederlande, Mark Rutte, hat bereits letztes Jahr Vorschläge dazu geliefert. Anhand konkreter Fälle werden Rückübertragungen von Kompetenzen auf die nationale Ebene gefordert, beispielsweise bei europäischen Forstabkommen, einheitlichen Katastrophenschutz-Versicherungen oder den Zugangsanforderungen für Internetseiten des öffentlichen Sektors. Solche Themen gehören wieder in die Hände der Mitgliedsstaaten. Wenn Juncker Kommissionspräsident wird und die EU gleichzeitig schlanker, dann ist das gut für Demokratie und Subsidiarität. Schluss also mit der Personaldebatte und volle Aufmerksamkeit für die echten Herausforderungen Europas!

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