KUBICKI-Interview: Wir brauchen Mut und Kreativität als Grundlage unseres Wohlstands
Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende WOLFGANG KUBICKI gab der „Westfälischen Rundschau“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte THOMAS REUNERT:
Frage: Eine aktuelle Allensbach-Umfrage sagt: Die Deutschen sind materiell in weiten Teilen zufrieden – aber trotzdem voller Sorgen. Teilen Sie diese Einschätzung?
KUBICKI: Die Menschen haben offensichtlich die Sorge, dass die Geschwindigkeit der Veränderung sie überfordert. Das gilt bei der Flüchtlingsfrage ebenso wie bei der Globalisierung. Es ändert sich so schnell so viel, was sie als sicher glaubten.
Frage: Selbst die Sorge um den Arbeitsplatz ist zurückgegangen, aber der Zukunftsoptimismus ist ebenfalls drastisch gesunken.
KUBICKI: Ja. Wenn man sagt „Mir geht es gut wie lange nicht“, dann will man das auch behalten. Und dann macht man sich Sorgen. Sie sehen das gerade bei der Gesundheit. Viele haben Angst, dass sie krank werden könnten. Also machen sie jede Menge Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten. Es hat sich eigentlich nichts geändert, aber gleichwohl ist das Bedürfnis gewachsen, sich auf die Risiken einzustellen. Wenn die Taxifahrer heute erfahren, dass 2020 die Autos allein fahren sollen, dann machen sie sich natürlich Sorgen um ihren Arbeitsplatz. Allgemein: Je größer das Glücksempfinden, desto größer die Sorge, dass das nicht so bleibt.
Frage: Ich gebe Ihnen fünf Stichwörter und bitte um kurze Kubicki-Einschätzungen: Der Flüchtlingsstrom. Politisch und emotional hochgespielt?
KUBICKI: Nicht die Flüchtlinge müssen uns Angst machen, sondern die Frage, wie wir damit umgehen, das bewältigen. Ich glaube schon, dass kaum eine Nation Europas mit so einer großen Zahl von Menschen, die gekommen sind, menschlich umgehen kann. Wer, wenn nicht wir? Aber es müssen eben auch die Voraussetzungen geschaffen werden. Es geht ja nicht nur um das Unterbringen, es geht auch um Beschäftigung. Nichts ist langweiliger für einen 18- oder 20-Jährigen als rumzusitzen, weil der keine Chance hat, sich zu sozialisieren.
Frage: War „Wir schaffen das“ von Anfang an zu weit gesprungen?
KUBICKI: „Wir schaffen das“ ist eine Plattitüde. Wir können es schaffen, wenn wir definieren, was wir schaffen wollen. Wir müssen ja unterscheiden, mit wem wir es zu tun haben. Da sind die Kriegsflüchtlinge, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention unseren Schutz bekommen. Bei denen wir aber auch davon ausgehen, dass sie wieder nach Hause gehen, wenn der Krieg in ihrem Land vorbei ist. Es macht aber auch Sinn, sich mit diesen Menschen zu beschäftigen, weil dadurch auch Kontakte und Beziehungen in die Länder aufrecht erhalten werden, die nützlich sein können. Dann gibt es die Menschen, die wir dringend brauchen. Zuwanderer, die wir brauchen, weil unsere Gesellschaft immer älter wird und wir einen immer größeren Fachkräftebedarf haben. Dafür brauchen wir ein Zuwanderungsgesetz, das regelt, wie viele Menschen wir nach welchen Kriterien pro Jahr nach Deutschland lassen wollen, die dann auch dauerhaft hier bleiben und die hier ein besseres Leben haben wollen.
Frage: Stichwort: Häufung von Terrorakten und damit verbundene unsere innere Sicherheit. Steht diese auf derzeit wackligen Füßen?
KUBICKI: Nein. Es wird teilweise etwas Panik betrieben. Insbesondere von der Union, weil man da aus geschichtlicher Erfahrung weiß, wenn Unsicherheit da ist, schart sich die Bevölkerung um das Bestehende. Bedauerlicherweise können die Minister aber auch nicht erklären, was sie in der Vergangenheit falsch gemacht haben und was sie jetzt ändern wollen. So etwas schafft nun mal kein Vertrauen. Aber grundsätzlich sind wir stärker durch Kriminalität bedroht als durch Terrorismus. Zum Beispiel mit Wohnungseinbrüchen. Und das können sie definitiv nicht mit Vorratsdaten-Speicherung bekämpfen, sondern nur mit Menschen und mit Polizei.
Frage: Und auch nicht mehr mit der Armee.
KUBICKI: Die Bundeswehr ist doch kaum in der Lage, zusätzlich die wenigen Aufgaben zu erledigen, die sie außerhalb Deutschlands erledigen muss. Die Soldaten sind zudem ganz anders ausgebildet. Wenn Frau von der Leyen sagt, die könnten den Verkehr regeln, ist das doch nahezu absurd. Dann können wir auch die Freiwillige Feuerwehr auf Wache und Patrouille schicken. Das ist einfach dazu da, eine Stimmung zu nutzen, um daraus politisches Kapital zu schlagen.
Frage: Der Liberale Wolfgang Kubicki ist doch mit Sicherheit ein großer Kämpfer und Befürworter von Europa.
KUBICKI: Das bin ich unbedingt.
Frage: Macht Ihnen der jetzige Zustand Angst? Ist Europa schon im Landeanflug auf einen Crash?
KUBICKI: Europa ist in der Tat dabei, auseinanderzufliegen. Und das nicht nur, weil die Briten sich entschieden haben, die Union zu verlassen, sondern weil wir der Türkei, auch durch die Kanzlerin, die Perspektive eröffnen, der Union beizutreten. Eine Europäische Union ohne Großbritannien aber mit der Türkei ist nicht mehr meine Europäische Union. Es steht uns aber im Oktober noch etwas Schlimmeres bevor. Da werden die Ungarn per Volksabstimmung darüber entscheiden, ob sie Kontingent-Flüchtlinge haben wollen oder nicht. Und sie werden sich mit 80 Prozent entscheiden, dass sie das nicht wollen. Sie werden nicht wollen, dass Kommissionen oder andere Länder darüber bestimmen, wer sich in ihrem Staatsgebiet aufhält. Und dann ist die spannende Frage: Was macht dann die Europäische Union, was macht Deutschland? Als nächstes kommt Tschechien, kommen die baltischen Staaten, Österreich. Die Fliehkraft wird immer größer.
Frage: Gibt es Rettungsansätze?
KUBICKI: Das ist jetzt auch Aufgabe der Kanzlerin, für eine neue europäische Empathie zu sorgen, für ein neues europäisches Bewusstsein, für eine neue Emotionalität. Das kann man erreichen, in dem man erklärt, was wir als einzelnes Land gegenüber Russland wären. Oder gegenüber Amerika. Sollte Herr Trump Präsident der Vereinigten Staaten werden, dann muss Europa stärker werden als jemals zuvor, um als Gegengewicht zu fungieren.
Frage: Wir reden in diesen Tagen immer wieder über Rentenniveau oder über das Eintrittsalter, hat dieses Land überhaupt ein demografisches Konzept?
KUBICKI: Im Moment verblasst die Diskussion hinter den internationalen Krisen und wird auch nur halbherzig geführt. Zumal die Abgabe von Prognosen, auch über die Bevölkerungsentwicklung, über dreißig oder vierzig Jahre eine höchst ambitionierte Sache ist. Beim Rentenniveau ist die Prozentzahl völlig egal, es kommt auf die Basis an. Peer Steinbrück hat gesagt: „Leute, 100 Prozent von nix ist nix. Und zehn Prozent von 100 sind zehn.“ Daran müssen wir arbeiten, dass unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhalten bleibt, dass unser Wohlstandsniveau weiter wächst, denn dann müssen auch die Rentner vor Altersarmut keine große Sorge haben. Übrigens auch ein Thema, das politisch instrumentalisiert wird. Um noch mal zur Demografie zurückzukommen: Wir brauchen nach meiner Einschätzung eine Zuwanderung von 400000 Menschen pro Jahr.
Frage: Was kann die FDP dazu beitragen, den Menschen dieses Landes das Vertrauen in den Rechtsstaat zurückzugeben?
KUBICKI: Reden wir also über Vertrauensverlust. Das passiert dann, wenn Sie bei der Polizei anrufen und mitteilen, dass bei Ihnen eingebrochen wird und die Polizei sagt: „Ist gut, in 40 Minuten sind wir da!“ Dann haben sie nicht den Eindruck, dass der Rechtsstaat entsprechend reagiert. Wenn Sie merken, dass durch Personalkürzungen, auch im juristischen Bereich, die Chancen minimiert werden, dass Verfahren auch erfolgreich durchgeführt werden können.
Frage: Der Wirtschaft geht es nach eigenen Angaben derzeit nicht schlecht. Das Steueraufkommen bestätigt das in weiten Teilen. Ist eine Partei, die sich liberale Wirtschaftspolitik auf die Fahne geschrieben hat, da nicht über?
KUBICKI: Das ist ja das Thema von „German Mut“. Wir müssen den Menschen wieder Zuversicht geben, müssen ihnen den Mut geben, wieder etwas zu wagen. Gerade die jungen Menschen, die hier ausgebildet sind. Ein Alarmzeichen ist doch, dass immer mehr Studierende in den öffentlichen Dienst wollen. Über 32 Prozent mit steigender Tendenz. Was eben eindeutig darauf hindeutet, dass die Risikobereitschaft abgenommen hat. Wir brauchen Mut und Kreativität, das ist die Grundlage unseres Wohlstands. Fortschritt kommt aus Mut.
Frage: Sie wollen 2017 im zarten Knabenalter von dann 65 Jahren für den Bundestag kandidieren – was treibt Sie an?
KUBICKI: Zunächst einmal: Da wir ja alle auffordern, länger zu arbeiten, ist das natürlich ein leuchtendes Beispiel für die Gesellschaft. Es macht aber auch Spaß, und ich persönlich habe mir vorgenommen zu helfen, dass die Freien Demokraten im nächsten Bundestag wieder vertreten sind. Und zwar mit aller Kraft. Ich sage immer gerne in Anlehnung an die Fernsehserie: Die Bellheims müssen es wieder machen!
Frage: Glauben Sie, dass allein schon die Diskussionen um das deutsche Verhältnis zu Herrn Erdogan geeignet sind, Landtags- und Bundestagswahlen zu beeinflussen?
KUBICKI: Man muss das mal klarstellen: Nicht der Herr Erdogan schützt uns vor den Flüchtlingen, sondern die Ungarn und die Österreicher, die dafür Sorge getragen haben, dass der Flüchtlingsstrom abebbt. Den, mit dem wir eigentlich schimpfen müssten, den hofieren wir jetzt, weil wir glauben, er halte in der Türkei die Flüchtlinge fest.
Frage: Wenn es doch zu weiteren Zugeständnissen an Erdogan kommt...
KUBICKI: Halte ich das für eine Katastrophe, ihm jetzt entgegenzukommen. Es wäre viel besser, erst einmal abzuwarten. Deutschland und Europa sind auch allein stark genug. Und wir müssen auch vor den drei Millionen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund in Deutschland nicht wirklich Angst haben.
Frage: Zum guten Schluss: Sie machen ein wenig den Eindruck, als hätten Sie Sprungfedern unterm Gesäß. Gibt es ein Rezept für den Dampf?
KUBICKI: Das Leben genießen und optimistisch sein. Wenn man ein Problem hat, muss man rangehen. Wer nicht versucht, ein Problem zu lösen, ist schon gescheitert. Ich wurde mal gefragt: Was war Ihre mutigste Entscheidung? Und ich habe gesagt: Nach zwei gescheiterten Ehen wieder zu heiraten! Das hat sich gelohnt!