21.08.2017FDPInnen

KUBICKI-Interview: Wir brauchen ein europäisches FBI

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab dem „Deutschlandfunk“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellte Stefan Heinlein:

Frage: Mehr Datenaustausch, mehr Überwachung, so an diesem Wochenende die Forderungen, gemeinsam von Union und SPD. Sind das die richtigen Reflexe auch für Sie als liberalen Politiker?

Kubicki: Zunächst einmal freue ich mich darüber, dass der normale Reflex, wir brauchen neue, stärkere und andere Gesetze, nicht eingreift, sondern dass erkannt worden ist, dass wir mehr Personal in diesem Bereich brauchen mit analytischen Fähigkeiten und eine definitiv bessere Vernetzung. Wir brauchen genauso wie in Deutschland ein europäisches Terrorabwehrzentrum, denn die Grenzen spielen für Terroristen keine Rolle, wie wir aus dem jüngsten Anschlag auch wieder wissen. Und wir brauchen einen Datenaustausch zwischen den Behörden, den es auf deutscher Ebene, auf nationaler Ebene ja bereits gibt, auch wenn er noch nicht so richtig funktioniert, wie wir im Fall Amri gesehen haben. Aber entscheidend ist, dass man Erkenntnisse über Radikalisierung von Personen analysieren muss und ernst nehmen muss und notfalls auch konsequent sein muss. Der Imam, der wahrscheinlich getötet worden ist, war den Sicherheitsbehörden bekannt als jemand, der radikalisiert ist und andere radikalisiert. Er hätte beispielsweise ausgewiesen werden können, und ich plädiere auch in Deutschland dafür, dass wir uns genauer anschauen, was in Moscheen in Deutschland passiert. Denn die Radikalisierung von Muslimen fällt nicht vom Himmel, die ist menschengemacht.

Frage: Mehr Datenaustausch auch die Forderung der Liberalen, der FDP. Muss der Datenschutz – das ist ja ein Thema eigentlich der FDP, Ihrer Partei – jetzt erst mal kleingeschrieben werden für mehr Sicherheit?

Kubicki: Nun hindert Datenschutz nicht daran, Informationen über Gefährder auszutauschen. Das sieht die Gesetzeslage ausdrücklich vor. Entscheidend ist die Zusammenarbeit. Wir fordern als Freie Demokraten auch so etwas wie ein europäisches FBI, was sich konzentriert auf die Terrorismusbekämpfung und die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, die ja auch an Grenzen nicht Halt macht. Wir erfahren gerade, dass die Mafia sich in Deutschland ausweitet. Das kann nur bekämpft werden mit ausreichend Informationen auch aus Italien – und wir brauchen gemeinsame Aktivitäten auf europäischer Ebene, das heißt auch den Zusammenschluss von Polizeibehörden. Und was mich besonders wütend macht mittlerweile ist: Wir geben in Europa Milliardenbeträge für Verfassungsschutz aus und für Geheimdienste. Und wenn man sieht, dass in den letzten zwei Jahren alle Attentäter den Sicherheitsbehörden bekannt gewesen sind vorher als Gefährder, dann fragt man sich, warum man sich nicht konzentriert auf diejenigen, die potenzielle Attentate verüben, anstatt sich mit der Frage zu beschäftigen, ob wir durch Vorratsdatenspeicherung oder mehr Videoüberwachung mehr Sicherheit schaffen können, was definitiv nicht der Fall ist. Ich erinnere daran: Frankreich hat seit 2006 die konsequente allumfassende anlasslose Vorratsdatenspeicherung, ohne dass Attentate verhindert werden konnten, und London ist die Stadt mit den meisten Videokameras, aber der höchsten Attentatsdichte. Insofern müssen wir darauf schauen: Wir brauchen vor allen Dingen Menschen, die sich mit den potenziellen Gefährdern beschäftigen, analysieren und auf die Art und Weise Attentate verhindern, statt anschließend hinterherzulaufen.

Frage: Herr Kubicki, das hört sich so an, als ob auch die FDP, Ihre Partei inzwischen eingesehen hat, dass ein Teil der Freiheit geopfert werden muss auf dem Altar der Sicherheit.

Kubicki: Wir opfern damit keine Freiheit, denn Freiheit muss geschützt werden. Wir werden ja bedroht in unserer Freiheit durch Attentäter, durch organisierte Kriminelle. Das Vorurteil, was Sie gerade wieder provozieren, die Freien Demokraten seien grundsätzlich gegen staatliche Maßnahmen, ist falsch. Im Gegenteil! Wir fordern seit Jahren schon deutlich mehr Polizei, deutlich mehr Verfassungsschützer und deutlich mehr Analysefähigkeiten. Das ist ja das Entscheidende. Es reicht ja nicht nur, Daten zu haben; man muss sie im Zweifel auch richtig einordnen können. Daran mangelt es, und wir brauchen definitiv eine stärkere nationale Zusammenarbeit und eine stärkere internationale Zusammenarbeit. Denn noch einmal: Attentäter, gerade Dschihadisten und Islamisten, machen an Grenzen keinen Halt.

Frage: Haben Sie eine Erklärung, Herr Kubicki, warum die Politik jetzt so lange zögert, warum das nicht möglich ist, auf nationaler und auf europäischer Ebene diese Forderungen umzusetzen, denn es ist ja nicht allein Ihre Partei, die FDP, die das fordert, sondern Union und SPD und eigentlich auch alle anderen Parteien fordern das. Warum schafft es nicht die Politik, diese Forderungen umzusetzen?

Kubicki: Weil die Politik ja nur die Rahmen vorgeben kann. Umsetzen müssen das im Zweifel die jeweiligen Behörden, die für Sicherheit zuständig sind, und da wissen wir aus der eigenen Vergangenheit in Deutschland, dass es eine Reihe von Egoismen gibt, Informationen nicht auszutauschen. Ich erinnere nur daran, dass das NPD-Verbotsverfahren das erste Mal gescheitert ist, weil die Ämter untereinander nicht mitgeteilt hatten, wer denn in welchen Vorständen als V-Mann sitzt, und zum Schluss der Verdacht aufkam, die Führungsetage der NPD sei vollständig vom Verfassungsschutz finanziert. So was Ähnliches haben wir auch im Terrorabwehrzentrum bei uns in Deutschland. Es ist noch nicht reibungslos. Man hortet eigene Informationen und will sich abgrenzen von anderen Behörden. Nur ist das der falsche Weg. Wir brauchen eine sehr intensive Zusammenarbeit, denn die Bedrohungslage wird nicht abnehmen; sie wird eher zunehmen. In dem Maße, in dem der IS in Syrien und im Irak ins Hintertreffen gerät, wird er versuchen, in Europa Attentate zu begehen, und unsere Aufgabe besteht darin, dieses zu verhindern.

Frage: Attentate in Europa, Herr Kubicki, das ist das Stichwort. Blicken wir auf die blutige Landkarte des Terrors in den letzten Monaten: Berlin, Manchester, Paris und jetzt Barcelona. Dann fällt auf: Das sind allein westliche Metropolen, die sind im Fadenkreuz des Terrors. Städte wie Warschau, Prag oder Budapest sind davon völlig unberührt. Warum ist man in Ost- und Mitteleuropa offenbar besser geschützt vor Terrorangriffen als bei uns im Westen?

Kubicki: Zunächst einmal stimmt diese Analyse nicht, denn es gab ein böses Attentat in St. Petersburg. Es gab jetzt auch ein Attentat in Sibirien, für das der IS seine Herrschaft reklamiert. Es gibt also auch im asiatischen Bereich, auch in diktatorischen Ländern entsprechende Attentate. Aber es fällt selbstverständlich auf: Der IS versucht, in einer Welt, in der die Medien frei operieren können, sich deshalb Informationen möglichst schnell und möglichst weit verbreiten, aktiv zu werden.

Frage: Aber Medienfreiheit gibt es auch in Ungarn oder Tschechien.

Kubicki: Es ist das, was der IS eigentlich will. Er will sozusagen einen Spalt treiben in die Gesellschaft, zwischen westlichen Gesellschaften, in denen auch Muslime wohnen, in Spanien 1,9 Millionen, in Deutschland über drei Millionen. Er will diesen Spalt hineintreiben und damit die Gesellschaft chaotisieren und unsicher machen. Aber ich finde es bemerkenswert, dass die westlichen Gesellschaften darauf nicht reagieren, wie der IS sich das vorstellt. Hunderttausende von Menschen gehen auf die Straße und erklären, wir haben keine Angst, und das ist doch auch ein ermutigendes Zeichen. Wir finden uns wieder zusammen, auch in der Abwehr von solchen Anschlägen, die der IS begeht.

Frage: Herr Kubicki, aber hat Viktor Orbán oder Milos Zeman, der tschechische Präsident nicht Recht, wenn er sagt, wir lassen keine Flüchtlinge ins Land, wir lassen keine muslimische Gemeinde bei uns im Land entstehen und sind dadurch sicherer vor Terroranschlägen als in Brüssel oder Berlin?

Kubicki: Ich will es mal so formulieren: Vielleicht hat Herr Orbán bisher nur Glück gehabt, dass in Ungarn nichts passiert ist, und wir wünschen den Ungarn, dass es so bleibt. Das heißt aber nicht, dass man mit der Erklärung, wir lassen keine Muslime ins Land, wir lassen keine Flüchtlinge ins Land, entsprechende Attentate abwehren kann. Denn wir wissen beispielsweise auch aus der eigenen deutschen Geschichte, dass ein Teil der Attentäter Deutsche waren, die hier radikalisiert worden sind. Wir haben auch Deutsche, die zum Islam übertreten. Das heißt, das Problem wird nicht alleine dadurch bewältigt, dass wir erklären, wir wollen keine Flüchtlinge, wir nehmen keine Flüchtlinge auf. Nein! Viel entscheidender ist, dass wir den Menschen, die zu uns gekommen sind, die Integration erleichtern in die Gesellschaft und dass wir sie auch bitten und auffordern, überall dort, wo sie feststellen, dass in den eigenen Glaubensräumen Menschen sich radikalisieren, sie die Behörden unterrichten, damit dagegen gearbeitet werden kann. Noch einmal: Herr Orbán und vielleicht die Polen haben gerade Glück gehabt, aber wir hoffen, dass es bei ihnen so bleibt. Es ändert aber nichts daran, dass offene Gesellschaften für Attentate schlicht und ergreifend anfälliger sind als geschlossene Gesellschaften.

Frage: Glück – das ist sicherlich eine Argumentation, die Viktor Orbán oder Milos Zeman oder auch der slowakische Präsident Fico nicht übernehmen werden, sondern sie sagen: Die Abwesenheit von Terror in Ost- und Mitteleuropa ist auch eine Folge unserer rigiden Asyl- und Flüchtlingspolitik.

Kubicki: Die Behauptung kann man ja gerne in den Raum stellen. Aber die Annahme, dass die Attentate in Spanien oder die Attentate in Paris, die ja von französischen Staatsbürgern begangen worden sind, zwar mit Migrationshintergrund, aber trotzdem von Jugendlichen, die in Frankreich aufgewachsen und groß geworden sind, dass sie nicht geschehen wären, wenn man sich abschotten würde, diese These halte ich nicht nur für gewagt, sondern für falsch.

Frage: Herr Kubicki, reden müssen wir an diesem Montagmorgen noch über ein anderes Thema ganz kurz. Am Wochenende hat sich das deutsch-türkische Verhältnis erneut eingetrübt. Kann man mit Erdogan jetzt noch reden, oder muss man ihm nun knallhart die Grenzen aufzeigen?

Kubicki: Ich finde, Letzteres ist auch eine Frage der Selbstachtung. Herrn Erdogan muss ganz klar gezeigt werden, dass seine Äußerungen, mit denen er versucht, eine Einmischung in den deutschen Wahlkampf zu betreiben, mit der Behauptung, er fordere seine Mitbürger auf – das sind deutsche Staatsbürger, die hier wählen –, nicht zur Wahl zu gehen beziehungsweise demokratische Parteien nicht zu wählen, dass diese Form der Einmischung nicht hingenommen werden kann. Ich erinnere daran, dass in den Vereinigten Staaten eine ganze Kommission sich mit der Frage beschäftigt, ob Russland versucht hat, sich in den amerikanischen Wahlkampf einzumischen – verdeckt. Hier ist das ganz offen. Das muss zurückgewiesen werden. Und wenn Herr Erdogan den deutschen Außenminister in der Form angeht, in der er es die letzten Tage getan hat, dann muss man erklären: Lieber Herr Erdogan, Sie sind gerade dabei zu verhindern, dass es Visafreiheit für türkische Staatsbürger geben kann. Und eine vernünftige Reaktion der Bundesregierung wäre vielleicht auch mal, keine Visa mehr für Regierungsmitglieder der Türkei auszustellen, wenn sie nach Deutschland und Europa einreisen wollen. Das wäre eine sehr ordentliche Maßnahme, die auch, glaube ich, Konsequenzen haben würde in den eigenen Reihen. Wenn türkische Regierungsmitglieder nicht mehr nach Deutschland reisen dürfen, keine Visa bekommen, sie sozusagen auf eine Art schwarze Liste kommen, dann wird, glaube ich, auch der Innendruck auf Herrn Erdogan steigen, sich künftig anders zu benehmen als gegenwärtig.

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