05.01.2015FDPFDP

KUBICKI-Interview: Sorgen der Menschen ernst nehmen

Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende WOLFGANG KUBICKI gab der „Welt“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte ULRICH EXNER:

Frage: Die Welt: 2014 ist um – und wieder hat die FDP nur verloren.

KUBICKI: Das kam ja nicht unerwartet. Bei den Europawahlen im Mai war die Erinnerung an die Legislaturperiode 2009 bis 2013, an die vielen enttäuschten Erwartungen an unsere Regierungszeit noch zu frisch.

Frage: Nach Europa kam Sachsen, dann Brandenburg, dann Thüringen – wie lange hält ihre Partei das noch durch?

KUBICKI: Die FDP ist in sich gefestigt, wir haben nach wie vor rund 57.000 Mitglieder; es gibt mehr Eintritte als Austritte. Unsere Veranstaltungen sind gut besucht. Die Partei lebt und würde weitere Wahlniederlagen aushalten, auch wenn ich die nicht für wahrscheinlich halte. Unsere Perspektive ist klar der Wiedereinzug in den Bundestag 2017.

Frage: Und Sie selbst? Wie lange halten Sie persönlich noch durch?

KUBICKI: Ich bin jetzt 44 Jahre in der FDP, das war selten völlig schmerzfrei. Also, ich bin Kummer gewöhnt und werde mit Sicherheit bis mindestens 2017 durchhalten, um dann sowohl die Landtagswahl hier bei uns in Schleswig-Holstein als auch die Bundestagswahl zu bestreiten.

Frage: Aber so anstrengend wie jetzt war es selten, oder?

KUBICKI: Es ist in der Tat ein Unterschied, ob sie politische Veranstaltungen nur überwiegend in Schleswig-Holstein absolvieren oder ob sie als stellvertretender Bundesvorsitzender ständig weite Strecken zurücklegen müssen. Köln, Kaiserslautern, Trier, dann streiken zum Teil auch noch die Lokführer oder die Piloten. Das nimmt einem viel Zeit und Kraft.

Frage: Was Sie nicht daran hindert, auch noch als Dauergast in den Talkshows aufzutreten.

KUBICKI: Natürlich nicht. Dadurch erreicht man allein mit einer Show deutlich mehr

Menschen als durch einzelne Veranstaltungen. Und außerdem kommen zu diesen Veranstaltungen vor Ort auch mehr Menschen, wenn der Redner aus dem Fernsehen bekannt ist. Das ist im Interesse aller Beteiligten.

Frage: Welcher Auftritt war der gelungenste?

KUBICKI: Zwei waren sehr ordentlich, einer bei Günther Jauch, einer bei Markus Lanz. In beiden Fällen ging es um den Fall Hoeneß. Der hatte für mich als Strafverteidiger sowohl eine fachliche als auch eine politische Komponente. Man kann dann über beides reden, über Steuerhinterziehung als strafrechtliches Delikt. Und über Steuerverschwendung als politisches Vergehen. Es ist ja richtig, dass jemand, der Steuern hinterzieht, ins Gefängnis muss. Aber dass einer, der zum Beispiel im Fall des Berliner Flughafens Millionen an Steuern verschwendet, überhaupt nichts zu befürchten hat, das ist nicht richtig.

Frage: Was schlagen Sie vor?

KUBICKI: Das, was ich schon oft gefordert habe: Steuerverschwender müssen genauso hart bestraft werden wie Steuerhinterzieher.

Frage: Haben Sie mit Hoeneß nach dem Urteil gesprochen?

KUBICKI: Ja. Ich habe ihm damals davon abgeraten, in Revision zu gehen.

Frage: Warum?

KUBICKI: Weil der für eine mögliche Revision zuständige Erste Strafsenat nicht eben als angeklagtenfreundlich bekannt ist. Es wäre also durchaus denkbar gewesen, dass das Urteil im Falle einer Revision nicht milder, sondern härter ausgefallen wäre.

Frage: Hoeneß ist seit Jahresanfang Freigänger. Eine korrekte Entscheidung?

KUBICKI: Definitiv. In vielen anderen Bundesländern wäre er schon längst Freigänger. In Berlin wäre er sogar gleich in den Offenen Vollzug gekommen. 2015 wird ein besseres Jahr für ihn, keine Frage.

Frage: 2015 gibt es nur zwei Wahlen. Also kann die FDP auch nur zweimal verlieren.

KUBICKI: Ich gehe davon aus, dass wir in Hamburg mit Katja Suding erfolgreich bestehen können. Und auch in Bremen haben wir mit der neuen Spitzenkandidatin Lencke Steiner eine realistische Chance.

Frage: Das ist sehr optimistisch. In Bremen ist das Fehlen der FDP in der Bürgerschaft in den vergangenen dreieinhalb Jahren nicht ein einziges Mal aufgefallen. Und in Hamburg sehen die jüngsten Umfragen Ihre Partei bei zwei Prozent.

KUBICKI: Umfragen sind Momentaufnahmen. Auch bei uns in Schleswig-Holstein wurde die FDP im Februar 2012 bei zwei Prozent vermessen. Bei der Wahl zehn Wochen später waren es dann 8,2 Prozent. In Hamburg hat Katja Suding vor vier Jahren aus dem Stand sechs Prozent geholt. Damit hatte vorher auch niemand gerechnet.

Frage: Und wenn die FDP doch wieder ander Fünfprozenthürde scheitert? Wer ist dann schuld?

KUBICKI: Unter anderem auch ich. Ich werde in Hamburg über 25 Mal auftreten! Wenn wir es wider Erwarten nicht schaffen, dann haben wir es noch nicht geschafft, die Partei so aufzustellen, dass sie ausreichend Anziehungskraft auf den Wähler entwickelt.

Frage: Daran hat es zuletzt in der Tat gemangelt. Mit welchen Argumenten holen Sie die Leute zurück? In welchen Bereichen soll die FDP in den Wahlkämpfen punkten?

KUBICKI: Erstes Thema: Verkehr. Wir werden Straßen auch bauen, und nicht nur darüber reden. Wir schicken die Leute nicht in den Stau. Zweites Thema: Bildung. Wenn wir die Inklusion ernsthaft umsetzen wollen, dann brauchen wir mehr Personal. Wir wollen nicht drüber reden, sondern den Kindern gerecht werden. Das schaffen wir nur, wenn die Schulen mehr Autonomie bekommen, wenn die Schulen selbst entscheiden können, wie sie ihre Kinder zum Ziel führen. Und drittens: Selbstbestimmung, das ist unser zentrales Thema. Dass mir Dritte nicht vorschreiben, wie ich zu leben habe. Was ich zu essen und zu trinken habe. Welche Farbe mein Haus hat. Das soll mir nicht das Amt vorschreiben. Das will ich selber bestimmen können.

Frage: Ihr Parteivorsitzender, Christian Lindner, beschwert sich gelegentlich über die Vernachlässigung der FDP durch die Medien. Teilen Sie diesen Eindruck?

KUBICKI: Nein, ich habe mich noch nie über mangelnde Berichterstattung beklagt. Was mich besorgt, ist, dass es mehr als vor zwanzig, dreißig Jahren eine Art Mainstream dessen gibt, was man kommunizieren darf und was nicht.

Frage: Das hört sich jetzt eher nach ‚Pegida‘ an als nach FDP.

KUBICKI: Es stimmt aber. Wenn man zum Beispiel bereits durch die öffentlich artikulierte Sorge, dass der Rechtsstaat sich aus der Bekämpfung von salafistischen Umtrieben zurückziehen könnte, als ausländerfeindlich diskreditiert wird, bekommen wir ein riesiges Problem.

Frage: Wer tut das?

KUBICKI: Schauen Sie sich doch die Berichterstattung über die ‚Pegida‘-Demonstrationen an: Da äußern Menschen genau solche Gedanken und dürfen sich abends bei RTL anhören, das sei ein Zeichen von Ausländerfeindlichkeit. Das ist es eben nicht. Das ist eine ernst zu nehmende Sorge, auf die Politik reagieren muss.

Frage: Wie sollte die Politik reagieren?

KUBICKI: Es sollte jedenfalls nicht so sein, dass sich einerseits durch verstärkten Zuzug von Menschen aus islamischen Ländern die Gefährdungslage bei uns in Deutschland erhöht und zum selben Zeitpunkt der Leiter des Bundesamtes für den Verfassungsschutz erklärt, dass er nicht ausreichend Personal habe, um nach Deutschland zurückkehrende IS-Kämpfer zu überwachen. Oder dass der Leiter des nordrhein-westfälischen LKA berichtet, dass er nicht in der Lage sei, Gefährdungspotenziale hinreichend unter Kontrolle zu behalten. Wenn erklärt wird, dass es keine Frage des Ob mehr sei, sondern nur des Wie und Wann ein islamistischer Anschlag in Deutschland ausgeführt wird, dann teile ich die Sorgen, die sich die Menschen zum Beispiel bei den Pegida-Demonstrationen in Dresden machen.

Frage: Und schlagen deshalb was vor?

KUBICKI: Es wird uns nicht gelingen, die Bereitschaft der Menschen zu einer Willkommenskultur aufrechtzuerhalten und vielleicht sogar noch zu verstärken, wenn wir in der aktuellen Situation beim Verfassungsschutz oder bei der Polizei Personaleinsparen. Das geht nicht. Wir müssen die Sorgen der Menschen ernst nehmen und das auch in unserem politischen Handeln dokumentieren. Wenn ich in einem Ort XY ein Flüchtlingsheim errichte, kann ich dort nicht gleichzeitig die Polizeistation schließen. Solche gesellschaftlichen Unwuchten muss man erkennen und vermeiden, auch, wenn man noch nicht ganz so lange im politischen Geschäft ist wie ich.

Frage: Wie fühlen Sie sich eigentlich als alternder Silberrücken in ihrem neuen jungen Parteivorstand?

KUBICKI: Ach, es ist bei uns wie überall: Es gibt Menschen, die sind mit 30 schon ziemlich alt, und es gibt welche, die sind mit 63 noch ziemlich jung. Ganz davon abgesehen gehöre ich der Generation der Silverager an. Und die wird bekanntlich dringend gebraucht.

Frage: Vermissen Sie jemanden aus der alten Garde?

KUBICKI: Guido Westerwelle. Einer der ganz wenigen, der auch heute noch in der Lage wäre, jeden großen Saal zu füllen.

Frage: Sie waren mit ihm als Parteivorsitzendem aber auch nicht immer einverstanden.

KUBICKI: Wir haben ein ambivalentes Verhältnis. Persönlich passt es gut, politisch gelegentlich nicht. Aber er hat als Außenminister nach zwei Jahren erheblich an Statur gewonnen. Er ist der Staatsmann geworden, der er am Anfang seiner Amtszeit einfach nicht war.

Frage: Brüderle?

KUBICKI: Als Freund ja. Aber als Speerspitze der liberalen Bewegung eher nicht.

Frage: Philipp hat gerade zu Protokoll gegeben, dass nach ihm nichts besser geworden sei in der FDP. Hat er recht?

KUBICKI: Nach ihm konnte jedenfalls auch nichts mehr schlechter werden. Aber das lag nicht allein an seiner Person. Meine Partei ist mit dem Wahlerfolg 2009 mental einfach nicht fertig geworden. Wir sind damals abgehoben und glaubten, schon alles erreicht zu haben. Das war mitnichten der Fall.

 

Social Media Button