24.04.2020FDPFDP

KUBICKI-Interview: Grundrechtseinschränkungen sind nicht mehr zulässig

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab dem „Donaukurier“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Herholz.

Frage: Herr Kubicki, Bundeskanzlerin Angela Merkel hält das Vorgehen der Länder in der Corona-Krise für zu forsch. Ist die Kritik an den Lockerungen der Beschränkungen berechtigt? Gehen die Öffnungen zu weit?

Kubicki: Das ist die Meinung der Kanzlerin. Sie hat bei der Frage, wie infektionsrechtlich mit dem Virus umgegangen werden muss, keine Zuständigkeit. Diese liegt ausschließlich bei den Gesundheitsbehörden, die den Ländern unterstehen. Infektionsrechtlich ist das Argument einer bundesweiten Einheitlichkeit nicht tragbar. Wenn wir feststellen, dass die Infektionswahrscheinlichkeit in Bayern etwa viermal so hoch ist wie in Schleswig-Holstein, dürfen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht in beiden Ländern die gleichen Maßnahmen angewendet werden. Bayern muss dann härter vorgehen. Die massiven Grundrechtsbeeinträchtigungen, die zuerst ins Werk gesetzt wurden, können nicht mehr aufrechterhalten werden. Die Begründung war ja, eine Überforderung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Diese Gefahr besteht derzeit nicht. Der Staat kann niemanden davor bewahren, dass er sich infiziert. Er kann nur garantieren, dass Patienten bestmöglich behandelt werden. Soweit das gewährleistet ist, sind massive Grundrechtseinschränkungen verfassungsrechtlich nicht mehr zulässig.

Frage: Sie werfen der Kanzlerin vor, sie bewege sich mit ihrer Kritik an einer „Öffnungsdiskussionsorgie“ am Rande der Amtsanmaßung.

Kubicki: Richtig! Ich habe ihr nicht vorgeworfen, dass sie sich ein Amt anmaßt, sondern dass ihr Auftreten in der Öffentlichkeit an Amtsanmaßung grenzt. Weder die Kanzlerin noch die Bundesregierung sind bei der Bekämpfung des Virus vor Ort zuständig. Frau Merkel kann und sollte gern an öffentlichen Debatten teilnehmen. Aber den Eindruck zu erwecken, wenn die Kanzlerin A sagt, müssen alle anderen folgen, das ist falsch. Die Kompetenz liegt bei den
Ländern. Es geht nicht, dass nur das umgesetzt wird, was die Bundeskanzlerin ihren CDU-Ministerpräsidenten nahelegt – das ist kein infektionsrechtliches Argument. Wir werden sehr verantwortungsbewusst darauf drängen, dass die Grundrechtseinschränkungen, die nicht mehr nötig sind, wieder beseitigt werden. Die Einschränkungen treffen auch bei den Gerichten auf immer weniger Akzeptanz. Weder Parlamentarier noch Mitglieder einer Regierung dürfen warten, bis die Gerichte erklären, dass die Regelungen verfassungswidrig sind.

Frage: Das heißt, die Geschäfte sollen alle öffnen können?

Kubicki: Ja, alle Geschäfte sollten wieder öffnen, soweit sie den Mindestabstand und die Hygieneauflagen einhalten können. Wir wissen sicher, dass dies bei der Eindämmung des Virus hilft. Es hilft nicht, einfach in der Wohnung eingesperrt zu werden. Was wir vermeiden müssen, ist sogenannte Rudelbildung.

Frage: Die Kanzlerin warnt, dass man erst am Anfang der Pandemie stehe, die Infektionszahlen wieder steigen und das Gesundheitssystem überfordert sein könnte. Ist das nicht eine berechtigte Sorge?

Kubicki: Wenn wir nach dieser Logik vorgehen, werden wir nie Maßnahmen aufheben, weil diese Gefahr immer wieder bestehen könnte. Wenn die Infektionszahlen wieder ansteigen sollten, und das Gesundheitssystem wirklich überlastet werden könnte, müssen wir reagieren. Wir haben mittlerweile in einigen Regionen nur noch eine Auslastung von 25 bis 30 Prozent der Intensivbetten. Es gibt Krankenhäuser, die Kurzarbeit anmelden müssen, weil keine Patienten mehr da sind. Die Reproduktionszahl liegt bei unter eins. Ich will die Gefahr durch das Virus nicht verharmlosen, aber wir alle sind aufgefordert, vernünftige Abwägungsentscheidungen zu treffen. Und schließlich ist jeder Einzelne für die Reduzierung seines Infektionsrisikos verantwortlich.

Frage: Kritiker werfen Ihnen vor, es gehe der FDP mehr um Wirtschafts- als um Gesundheitsschutz.

Kubicki: Das ist albern. Mir liegt der Gesundheitsschutz genauso am Herzen wie allen anderen. Niemand, der Verantwortung trägt, will zulassen, dass jemand aufgrund unterlassener Maßnahmen stirbt. Aber es gilt auch festzuhalten: Der Staat garantiert nicht, dass niemand zu Tode kommt. Das geht auch gar nicht. Er garantiert nur, dass jemand, der in Gefahr oder in Not gerät, versorgt werden kann. Aber grundsätzlich gilt das Prinzip der Eigenverantwortung. Menschen, die Sorge haben, dürfen gerne zu Hause bleiben.

Frage: Die Koalition hat sich auf ein weiteres Hilfspaket mit verschiedenen Maßnahmen geeinigt. Jetzt gibt es Kritik, es würde weiter mit der Gießkanne gearbeitet. Wie bewerten Sie diese Beschlüsse?

Kubicki: Es freut mich, dass die schwer getroffene Gastronomie jetzt mit einer Mehrwertsteuer-Senkung gesegnet werden soll. Das macht aber nur Sinn, wenn sie wieder Umsätze machen darf. Eines muss aber grundsätzlich klar sein: Die Finanzierung der Maßnahmen durch Steuermittel von Menschen, die selbst nicht mehr wirtschaften können, wird keinen Bestand über längere Zeit haben können. Wir haben nicht nur vermehrte Ausgaben, wir haben demnächst auch keine Steuereinnahmen mehr, weil die Unternehmen keine Umsätze und Gewinne mehr machen. Kanzlerin Angela Merkel wird aus eigener Erkenntnis feststellen, dass diese Form der bisherigen Gestaltung der Krise, auch aus Gründen der Einnahmesituation des Staates, nicht mehr aufrecht zu erhalten ist.

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