KUBICKI-Interview: Die große Koalition betreibt Augenwischerei
Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende WOLFGANG KUBICKI gab „Focus Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte MARTINA FIETZ:
Frage: Sie wollen gegen die Vorratsdatenspeicherung klagen, wenn sie Gesetz wird. Warum?
KUBICKI: Wir werden uns das Gesetz genau anschauen, wenn es verabschiedet wird. Die aktuellen Absichtserklärungen sind jedenfalls nicht geeignet, die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes und des Verfassungsgerichts zu erfüllen.
Frage: Wo sehen Sie Probleme?
KUBICKI: Eine solche Maßnahme, die weit in die Grundrechte eingreift, muss erforderlich, zweckmäßig und verhältnismäßig sein. Es ist überhaupt nicht zweckmäßig, wenn man die Kommunikationsdaten von Skype und Whatsapp ausnimmt und man auf sämtliche Mail-Verkehre verzichtet. Auf diese Weise kann der beabsichtigte Zweck, schwerste Straftaten aufzuklären, sicher nicht erfüllt werden.
Frage: Sie sind Anwalt. Fürchten Sie durch die beabsichtigte Vorratsdatenspeicherung eine Beeinträchtigung Ihrer Arbeit?
KUBICKI: Die Tatsache, dass auch die Daten von Trägern von Berufsgeheimnissen gespeichert werden sollen, stört mich immens. Ein Verwertungsverbot nützt da gar nichts. Allein die Tatsache, dass solche Daten gespeichert werden können, ist ein Verstoß gegen den besonderen Schutz der Berufsgeheimnisträger und ihrer Mandanten und Klienten. Das betrifft aber nicht nur Anwälte, sondern auch Ärzte und Psychiater beispielsweise. Wenn Menschen, die vielleicht unter Depressionen leiden, das Gefühl haben müssen, dass ihre Gespräche mit ihrem Arzt aufgezeichnet werden, ist eine offene Kommunikation nicht mehr möglich.
Frage: Die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung argumentieren, diese sei nötig, um schwerste Straftaten aufklären zu können. Können Sie diesem Argument gar nichts abgewinnen.
KUBICKI: Doch. Als die FDP in Regierungsverantwortung war, hat die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ein Konzept für das Quick-Freeze-Verfahren vorgelegt. Das bedeutet, dass der Kommunikationsverkehr bei einer vorliegenden schweren Straftat auf richterliche Anordnung für einen bestimmten Zeitraum eingefroren werden kann …
Frage: Da sagen Ermittler, das reiche nicht aus …
KUBICKI: Den Ermittlern wird nicht geholfen, wenn jetzt beispielsweise der Mailverkehr völlig ausgenommen wird. Welch ein Unsinn. Wenn wir unterstellen, dass Menschen schwerste Straftaten begehen, sollten wir sie nicht für blöd halten. Sie werden sich selbstverständlich der Kommunikationsmittel bedienen, die nicht der Aufzeichnung unterliegen. Betroffen sind am Ende allein die unbescholtenen Bürger.
Frage: Also ist der Kompromiss der großen Koalition Augenwischerei?
KUBICKI: Ja, er ist Augenwischerei und der untaugliche Versuch, ein Streitthema abzuräumen. Er dient dazu, der Bevölkerung eine trügerische Sicherheit vorzugaukeln.
Frage: Viele Menschen argumentieren, sie hätten nichts zu verheimlichen. Deshalb sei es für sie unerheblich, ob ihre Daten gespeichert würden.
KUBICKI: Das werden diese Menschen sicher überdenken, wenn sie feststellen, dass sie einen Kredit, eine Wohnung oder einen Arbeitsplatz nicht bekommen. Unabhängig davon: In einer freiheitlichen Gesellschaft gibt es auch ein Recht, sein Privatleben vor dem Staat zu verbergen. Ich will nicht, dass der Staat in meine Privatsphäre eindringt. Ich will, dass er sie schützt. Es kann nicht sein, dass der Staat unter dem Vorwand, Verbrechen zu bekämpfen, versucht, gesellschaftliche Entwicklungen zu beeinflussen.
Frage: Das heißt: Sie unterstellen, dass der Staat diese Daten auch nutzt, wenn es nicht um Verbrechensbekämpfung geht.
KUBICKI: Selbstverständlich. Wir haben bei der Maut die Debatte darüber, ob die erhobenen Daten nicht verwandt werden können, um Bewegungsprofile zu erstellen. Das verleitet doch geradezu dazu, die Ehrlichkeit der Steuerzahler zu prüfen, die den Weg zum Arbeitsplatz steuerlich geltend machen. Dass ein grundsätzliches Misstrauen gegen den Staat berechtigt ist, sehen Sie schon daran, dass unsere Rechtsordnung einen Verwaltungsgerichtsweg eröffnet hat. Den bräuchten wir nicht, wenn wir glauben würden, der Staat würde immer rechtmäßig handeln. Die hohe Zahl der Urteile gegen Verwaltungshandeln zeigt in beeindruckender Weise, wie häufig sich Behörden, auch Sicherheitsbehörden, rechtswidrig verhalten.