KUBICKI-Interview: Die FDP ist angstfrei
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab dem „Handelsblatt“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Thomas Sigmund:
Frage: Die politische Klasse in Berlin ist gelähmt. Die SPD verweigert sich der Regierungsverantwortung. Eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen steht in den Sternen. Wie überwindet die Politik solche Blockaden?
Kubicki: Wir wären nicht eine gefestigte Demokratie, wenn wir nicht in der Lage wären, aus dem Wahlergebnis etwas Vernünftiges zu machen. Das erwarten die Bürger zu Recht von uns.
Frage: Warum passiert dann nichts?
Kubicki: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat jedenfalls noch nicht zu Sondierungsgesprächen eingeladen. Wir würden dieser Einladung sofort folgen, bei denen wir uns nicht nur atmosphärisch annähern könnten. Wir könnten auch die Grundlagen schaffen, um so schnell wie möglich in Koalitionsverhandlungen eintreten zu können. Alle sind sich ihrer Verantwortung bewusst. Es gibt deshalb keinen Grund, noch länger zuzuwarten.
Frage: Blockiert nicht die Angst vor der Wut der Wähler und einem weiteren Zulauf für die AfD die notwendigen Kompromisse?
Kubicki: Das glaube ich nicht. Vor allem sollten wir und auch die Medien nicht den Eindruck erwecken, die Machtübernahme durch die AfD steht im Bund unmittelbar bevor. Ich gehe davon aus, dass sich alle bewusst sind, dass eine der größten Volkswirtschaften der Welt eine stabile Regierung braucht.
Frage: Die Politik befeuert aber im Moment die Wut der Menschen. SPD-Fraktionschefin Nahles will der CDU sogar was auf die Fresse geben. Spielt das nicht der AfD in die Hände?
Kubicki: Frau Nahles wollte offenbar in der eigenen Partei damit als Arbeiterführerin Eindruck schinden. Ich würde Ihr empfehlen, davon Abstand zu nehmen, damit Sie nicht den Gaulands und Weidels von der AfD in die Hände spielt.
Frage: Wie weit treibt die FDP die Sorge um, dass sie wie in der schwarz-gelben Koalition 2009 nicht liefern kann, was sie ihren Wählern verspochen hat?
Kubicki: Ich sage es mal scherzhaft: Die FDP ist nach vier Jahren außerparlamentarischer Opposition angstfrei. Im Ernst aber: Wir haben bei der Bildung der Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein gezeigt, dass man Kompromisse schließen kann, ohne dass ein Partner sein Gesicht verliert. Das ist zwar schwer auf den Bund zu übertragen, weil sich da die handelnden Personen nicht so gut kennen wie in Kiel. Aber es ist möglich. Die FDP will vernünftige Lösungen erreichen.
Frage: Bei der CSU greift aber für jeden sichtbar die Angst vor der AfD um sich?
Kubicki: Bei der CSU greift vor allem die ungelöste strategische Ausrichtung um sich. Die innere Befindlichkeit der CSU und der Streit mit der CDU darf aber nicht dazu führen, dass Deutschland deswegen dauerhaft ohne neue Regierung bleibt. Beide sollten so schnell wie möglich eine Einigung finden.
Frage: Sie haben in Schleswig-Holstein eine Jamaika-Koalition erfolgreich verhandelt. Was ist die wichtigste Erkenntnis aus dieser komplexen Gemengelage?
Kubicki: Ich will hier anderen keine Ratschläge geben. Wenn man aber beachtet, dass der andere ein Partner werden soll und er nur das liefern kann, was er an der Parteibasis durchsetzen kann, ist schon viel gewonnen. Während der Verhandlungen muss zwischen allen Beteiligten Vertrauen entstehen. Das haben wir in Kiel, aber derzeit noch nicht in Berlin. Wir brauchen zudem ein gemeinsames Projekt, in dem sich alle vier Partner wiederfinden bei dem Ziel, Deutschland fit für die Zukunft zu machen.
Frage: Kümmern sich die Parteien nicht viel zu sehr um die Themen der Vergangenheit. Über Zukunftsthemen wie Digitalisierung und Bildung ist kaum etwas zu hören.
Kubicki: Das stimmt. Wir müssen uns aber auch um die Menschen kümmern, die AfD gewählt haben.
Frage: Können Sie ein Beispiel nennen?
Kubicki: Viele Bürger fühlen sich von der Politik nicht mehr ernst genommen. Viele verstehen nicht, warum Flüchtlinge Gesundheitskarten bekommen, Obdachlose nicht. Junge Menschen haben Sorge, dass sie im Alter nicht mehr von ihrer Rente leben können. Wir diskutieren derzeit die Rentenfrage nur unter Gesichtspunkten, die Angst erzeugen.
Frage: Was ist Ihre Antwort darauf?
Kubicki: Es kann doch nicht sein, dass Menschen von ihren Lohnerhöhungen durch die kalte Progression nichts haben. Es kann nicht sein, dass junge Familien sich kein Eigenheim mehr leisten können. Die müssen wir unterstützen. Es ist doch ein Treppenwitz der Geschichte, dass in Ländern wie Spanien oder Portugal die Eigentumsquote erheblich höher ist als in Deutschland. Dafür brauchen wir eine starke Wirtschaft. Nur die erreichen wir nicht durch Klimaziele, die wir durch das schnelle Aus für Verbrennungsmotoren erreichen.
Frage: Das klingt aber eher nach Streit als nach Kompromissen mit den Grünen.
Kubicki: Nein, ich möchte vielmehr zeigen, dass es sinnvoller ist, sich auf Ziele zu einigen und dann zu sehen, wie wir sie erreichen können.
Frage: Gilt das auch für Bildung und Digitalisierung?
Kubicki: Selbstverständlich. Die Debatte um den Breitbandausbau ist doch an Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten. Deutschland will bis zum Jahr 2030 einen flächendeckenden Breitbandausbau von 50 Megabit erreichen. Dann sind andere Staaten um ein Vielfaches weiter. Wenn wir nicht schnell in die Hufe kommen, werden wir international vollends abgehängt.
Frage: Und der Bildungsbereich?
Kubicki: Hier geht es leider erst mal gar nicht um die Digitalisierung der Bildung. Da sind wir aktuell meilenweit davon entfernt. Hier geht es zunächst darum, kaputte Schultoiletten zu sanieren. Ich sage es noch mal, wenn wir uns in Berlin noch monatelang Zeit lassen, werden die Bürger sich in ihrem Eindruck bestätigt sehen, die Politik kümmert sich vor allem um sich selbst und nicht um ihre Probleme. Dass es uns heute wirtschaftlich so gut geht, das beruht auf Entscheidungen, die vor zehn oder 15 Jahren getroffen wurden. Wenn wir noch weitere 15 Jahre warten, bis wir diese wichtigen Felder anpacken, ist es schon zu spät.
Frage: Hat Herr Schäuble den Weg nach Jamaika erleichtert, seit er bereit ist, das Amt des Bundestagspräsidenten zu übernehmen?
Kubicki: Ich finde es richtig, dass Wolfgang Schäuble dieses Amt übernimmt. Das mag jetzt von einem FDP-Politiker seltsam klingen, aber nach Norbert Lammert traue ich Wolfgang Schäuble zu, den Herausforderungen im Parlament gerecht zu werden. Schon allein durch seine persönliche Autorität und politische Erfahrung tut er dem Parlament gut.
Frage: Aber der Weg für die FDP ist jetzt frei, das Bundesfinanzministerium zu übernehmen?
Kubicki: Es gibt auf jeden Fall mehr Spielraum für eine Neuausrichtung der Finanzpolitik in Deutschland.
Frage: Was meinen Sie damit konkret?
Kubicki: Das würde die FDP gerne zuerst der Union und den Grünen in den Sondierungsgesprächen mitteilen.
Frage: Sie werden parteiintern als Nachfolger von Herrn Schäuble gehandelt.
Kubicki: Uns geht es vor allem um die Grundlagen einer gemeinsamen Politik. Wenn wir die festgelegt haben, dann können wir auch erst entscheiden, was etwa im Amt des Finanzministers überhaupt umgesetzt werden kann.
Frage: Bei welchen Personen haben Sie mehr Bedenken, dass Jamaika an ihnen scheitert: Horst Seehofer oder Jürgen Trittin?
Kubicki: Ich habe inhaltlich bei keinem der beiden Bedenken. Aber sagen wir es mal so: Jürgen Trittins Auftreten erhöht meinen Blutdruck.
Frage: Wir hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass es Neuwahlen gibt?
Kubicki: Ich glaube, dass wir uns am Ende auf einen vernünftigen Koalitionsvertrag einigen. Wenn das dann nicht vor Dezember gelingt, wäre das auch kein Beinbruch.