23.09.2018FDPFDP

KUBICKI-Interview: Der Enthemmung der AfD müssen wir uns entgegenstellen

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab „Handelsblatt Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Dana Heide und Dietmar Neuerer:

Frage: Der Bundestagswahl vor einem Jahr schloss sich die längste Regierungsbildung in der Bundesrepublik an. Heute, so scheint es, könnte die Koalition an der Personalie Maaßen zerbrechen. Halten Sie das für möglich?

Kubicki: Nein. Aber alle Beteiligten haben sich definitiv nicht mit Ruhm bekleckert – um es freundlich zu formulieren. Wenn sich jetzt die drei Parteivorsitzenden überrascht zeigen, dass diese Beförderung auf völliges Unverständnis bei den Menschen trifft, zeigt dies, wie weit sich diese Koalition von der Wirklichkeit entfernt hat. Ganz abgesehen davon ist die SPD mittlerweile zu schwach, um diese Koalition noch mit Würde zu beenden.

Frage: Wäre es besser für das Land, wenn es Neuwahlen gäbe?

Kubicki: Ja, selbstverständlich. Dieses peinliche Gewürge hat ja nichts mehr mit politischer Gestaltung zu tun. Wenn die Gesichtswahrung der Koalitionspartner wichtiger ist, als drängende politische Probleme zu lösen und unser Land nach vorne zu bringen, dann erfüllt diese Koalition ihre Aufgabe einfach nicht.

Frage: In ein paar Tagen ist die AfD nun schon ein Jahr im Bundestag. Was überwog mehr bei Ihnen am Abend der Bundestagswahl: die Freude über den Wiedereinzug der FDP ins Parlament oder das Entsetzen, dass mit der AfD erstmals seit mehr als 50 Jahren wieder eine Rechtsaußenpartei in den Bundestag einzog?

Kubicki: Natürlich überwog bei mir die Freude über den Wiedereinzug der FDP in den Bundestag. Aber in der Tat: Ich bin erschrocken, dass sich das Verhalten der AfD im Bundestag auf die Debattenkultur auf eine Art und Weise ausgewirkt hat, die ich am Anfang so nicht für möglich gehalten habe.

Frage: Was meinen Sie genau damit?

Kubicki: Mittlerweile gibt es kaum noch Grenzen in der Diskreditierung von anderen Abgeordneten. Unerträglich finde ich auch, mit welcher Anmaßung die AfD-Abgeordneten über die, wie sie es nennen, „Altparteien“ herziehen. Und gleichzeitig erklären sie, sie würden sich auf die Machtergreifung vorbereiten. Sie drohen auch schon Journalisten für den Fall, dass die AfD noch stärker wird und an einer Regierung beteiligt sein könnte. Der Enthemmung der AfD müssen wir uns entgegenstellen.

Frage: Dann haben sich die schon vor der Wahl geäußerten Befürchtungen, dass sich der Parlamentarismus durch die Anwesenheit der AfD dramatisch verändert, bestätigt?

Kubicki: Anfangs war es durchaus erfreulich, dass die Debattenkultur lebhafter geworden ist. Jetzt stelle ich fest: Ein Meinungsaustausch ist gar nicht mehr gewünscht. Es geht fast nur noch um persönliche Diffamierungen. Einige meiner demokratischen, politischen Freunde im Parlament machen da leider mit. Wir müssen aufpassen, dass wir die AfD nicht in eine Opferrolle hineindrängen. Das nützt uns nicht in der Verteidigung der Demokratie.

Frage: Wo liegen die Grenzen?

Kubicki: Selbstverständlich muss man klar Position beziehen, aber immer in einer Form, die den eigenen Grundsätzen entspricht. Meinungsfreiheit muss man in ihrer ganzen Breite ertragen, auch wenn andere eine andere Auffassung vertreten. Man muss gegebenenfalls sogar Beleidigungen hinnehmen. Aber dort, wo die Grenze zur Strafbarkeit überschritten wird, muss man konsequent einschreiten.

Frage: Wo ordnen Sie Äußerungen wie die von Martin Schulz, der sich Alexander Gauland auf den „Misthaufen der deutschen Geschichte“ gewünscht hat, ein? Oder die von Johannes Kahrs, der die AfD als „unappetitliche Rechtsradikale“ beschimpfte, woraufhin deren Abgeordnete den Saal verlassen haben?

Kubicki: Das ist deutlich zu viel. Schulz und Kahrs begeben sich damit auf die Ebene der AfD. Wir können diese Partei nicht angreifen, wenn wir sie mit ihren Mitteln beleidigen. Wer sich Herrn Gauland auf den Misthaufen der Geschichte wünscht, der darf sich nicht darüber aufregen, wenn dieser jemanden in Anatolien entsorgen will. Das ist die gleiche Ebene. Wir müssen wirklich aufpassen, dass wir der AfD nicht in die Falle laufen und bei der Verteidigung unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung die Stilmittel anwenden, die wir bei der AfD bekämpfen.

Frage: In den 60er- und 70er-Jahren war die Stimmung im Bundestag zuweilen ja auch sehr aufgeheizt. Was ist der Unterschied zu heute?

Kubicki: Damals ging es um Grundsatzdebatten wie die Wiederbewaffnung der Bundeswehr oder die deutsche Ostpolitik. Damals waren Beleidigungen als Stilmittel seltener, obwohl die Diskussionen in der Sache etwas härter geführt worden sind. Heute erlebe ich: Es geht in vielen Diskussionen nicht um die Sache, sondern um das Bloßstellen und Beleidigen des politischen Gegners. Das ist bedenklich. Wir müssen den demokratischen Diskurs offenhalten und dürfen das Meinungsspektrum nicht immer weiter verengen. Das passiert dann, wenn die selbsternannten Anständigen andere Meinungen nicht mehr zulassen. Das nützt nur der AfD. In Schleswig-Holstein haben wir das Problem nicht.

Frage: Im Landtag von Schleswig-Holstein ist die AfD mit fünf Sitzen vertreten. Was läuft dort anders?

Kubicki: Bei uns wird offen über Probleme diskutiert. Und dann werden die Probleme gelöst. Was bei den Sozialdemokraten besonders ist: Die SPD instrumentalisiert gerne Probleme für politische Gruppierungen in ihrem Kampf gegen Rechts, indem sie daraus identitätsstiftende Maßnahmen macht. Das wundert mich aber nicht, weil die SPD ja schon lange nicht mehr weiß, wohin sie politisch eigentlich möchte. Es scheint mittlerweile, als wäre dieser Kampf die einzig verbindende Klammer bei den Genossen

Frage: Besteht nicht auch das Problem darin, dass die Debatten im Bundestag stark von immer einem Thema dominiert werden: der Flüchtlingspolitik?

Kubicki: In Schleswig-Holstein ist die Zustimmung zu Jamaika exorbitant hoch, weil wir die Migrationsfrage nicht zum unlösbaren Problem hochstilisieren. Im Bundestag ist das anders.

Frage: Auch außerhalb des Bundestags erleben wir eine aufgeheizte Stimmung. Sie selbst haben Kanzlerin Merkel eine Mitschuld an den gewaltsamen Protesten in Chemnitz gegeben, als sie gesagt haben: „Die Wurzeln für die Ausschreitungen liegen im „Wir schaffen das“ von Kanzlerin Angela Merkel.“ Was würde denn helfen, die Stimmung im Land wieder zu beruhigen?

Kubicki: Ich habe der Kanzlerin keine Schuld gegeben. Ich habe darauf hingewiesen, dass 2015 mit Beginn der Flüchtlingskrise zwei Komponenten zusammengekommen sind: Die AfD ist wegen der Flüchtlingsproblematik und der mangelnden Integration so stark geworden. Im August 2015 lag sie in Umfragen bei rund drei Prozent und jetzt liegt sie bei um die 15 Prozent. Dass da ein Zusammenhang besteht, wird wohl niemand leugnen. Hinzu kommt: Es ist von Frau Merkel fälschlicherweise der Eindruck erweckt geworden, dass wir spielend mit der Migrationsfrage fertig werden können. Das war ein großer Fehler. Deswegen sind viele Menschen frustriert auf die Straße gegangen und haben gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung protestiert.

Frage: Was hätte denn anders laufen müssen?

Kubicki: Wenn man die Menschen besser auf die Anstrengungen vorbereitet hätte, die auf uns zugekommen sind, dann hätte man viele Enttäuschungen über Versprechungen nach dem Motto „Wir schaffen das“ vermieden. Gerade in Deutschlands Osten wenden sich viele von staatlichen Einrichtungen ab. Das muss uns doch zu denken geben. Wir müssen die Menschen zurückholen. Das schaffen wir aber nur, wenn wir uns ehrlich machen und die drängenden Probleme endlich anpacken und lösen.

Frage: Ist denn da noch viel zu korrigieren?

Kubicki: Ja. Die größte Integrationsleistung liegt dabei bei den Unternehmen. Wir müssen die Menschen, die bei uns ankommen, in die Betriebe bringen. Wir brauchen endlich ein Einwanderungsgesetz, das auch einen Spurwechsel beinhaltet. Es macht keinen Sinn, gut integrierte Menschen wieder in ihre Heimat zurückzuschicken, wenn sie hier bleiben wollen. Sie sollten die Möglichkeit haben, auch die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. Und wir müssen dazu beitragen, dass diejenigen, die wir hier nicht haben wollen, von ihren Heimatländern zurückgenommen werden. Und wenn die das finanziell nicht leisten können, müssen wir ihnen das fehlende Geld geben.

Frage: Wenn man sich die Aufmärsche von Rechten, wo auch AfD-Anhänger mitlaufen, anschaut, bekommt man aber doch eher den Eindruck, dass für diese Menschen Zuwanderung per se ein Problem darstellt.

Kubicki: Nein. Das Problem ist, dass derzeit bestimmte Themen nicht zu Ende diskutiert werden, etwa wenn es um den Schutz der deutschen oder europäischen Außengrenzen geht. Das ist das, was die AfD groß macht. Den Menschen fällt doch auf, dass die Politik derzeit bei Schlagwörtern aufhört, ohne konkret zu werden. Die Versprechen, dass die, die da kommen, Deutsch lernen, sich integrieren und bestenfalls auch arbeiten, ist faktisch für einen wesentlichen Teil nicht eingehalten worden. Es gibt keine Erklärung, wie lange wir für die Integration brauchen. Was ist die Langzeitperspektive? Was heißt, „wir schaffen das“? So lange wir auf diese Fragen keine Antworten haben, solange erlauben wir, dass die AfD mit Spekulationen, mit Verschwörungstheorien und Gerüchten Sorgen und Ängste von Menschen schürt.

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