KUBICKI-Interview: Dann rumst es mal kurz
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab „Spiegel Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Severin Weiland:
Frage: Herr Kubicki, haben Sie schon eine Wohnung in Berlin?
Kubicki: Noch nicht. Aber ich werde bald Freunde und Mandanten bitten, mir bei der Suche nach einer Zwei- bis Drei-Zimmerwohnung behilflich zu sein. Am liebsten wäre mir Berlin-Mitte.
Frage: Die FDP ist also ab dem 24. September im Bundestag?
Kubicki: Es kann immer was passieren – große Katastrophen, ein Anschlag – was Auswirkungen auf den Wahlkampf haben kann. Aber so wie die Dinge liegen, wird die FDP in den Bundestag kommen. Die Losung von Christian Lindner und von mir ist: Wir wollen drittstärkste Kraft werden, vor den Grünen und den Linken.
Frage: Sie haben ein großes Ego, Lindner nicht weniger. Wird das auch weiter gut gehen mit dem Vorsitzenden und dem Vize?
Kubicki: Sicher. Haben Sie je ein schlechtes Wort von ihm über mich oder von mir über ihn gehört? Ich finde, Christian Lindner ist ein Glücksfall für die FDP. Wir haben eine gute Arbeitsteilung gefunden.
Frage: Soll die FDP eigentlich in die Regierung gehen?
Kubicki: Wir sollten es mit einkalkulieren. Wir sind keine Protestpartei, die FDP ist eine Gestaltungspartei. Die FDP muss den Anspruch haben, Regierungsverantwortung zu übernehmen.
Frage: Um jeden Preis?
Kubicki: Natürlich nicht. Aber wenn die Bedingungen stimmen, sollte die FDP in eine Regierung eintreten. Das erwarten auch unsere Wählerinnen und Wähler. Wir haben nicht – wie Linke und AfD – eine Distanz zum Gemeinwesen in der Bundesrepublik. Wir tragen dieses Land mit und wollen es voranbringen – mit einer besseren Bildungspolitik, mit einer Mittelstands- und Wirtschaftspolitik, die auch die digitalen Herausforderungen in den Blick nimmt, die fast jede Branche in den kommenden Jahren betrifft.
Frage: Wären Sie personell auf eine Regierungsverantwortung vorbereitet?
Kubicki: Einfach wird es nicht, wir müssen erst einmal 400 bis 500 Mitarbeiter für eine neue Bundestagsfraktion gewinnen. Wenn wir in die Bundesregierung könnten und müssten, würden wir wohl auch kompetente Mitarbeiter aus den drei Landesregierungen abziehen, an denen die FDP beteiligt ist. Aber das sind keine Gründe, es nicht zu tun.
Frage: Die Liberalen sind in einer Ampel mit SPD und Grünen in Rheinland-Pfalz, in NRW in einer schwarz-gelben Koalition, in Schleswig-Holstein mit Grünen und CDU in einer Jamaika-Koalition. Ist die FDP mal wieder beliebig?
Kubicki: Ach, die alten Vorurteile. Wir sind so beliebig wie SPD und CDU – und im Übrigen die Grünen auch. Nur uns wird immer wieder diese Frage gestellt ...
Frage: ... weil die FDP mit dem Vorwurf lebt, ihr ginge es am Ende um Dienstwagen und Posten.
Kubicki: Ja. Und wir sind die Partei der reichen Erben und der Hoteliers! Alles Banane! Darüber gucken wir einfach hinweg! Ich sage immer: Wir haben Prinzipien, sind aber nicht kompromisslos. Das haben wir mit den Koalitionsgesprächen in Schleswig-Holstein gezeigt, wir investieren in den Straßenbau, in Kitas, wir bringen die Energiewende in vernünftige Bahnen.
Frage: Sie pflegen ein gutes Verhältnis zu Schleswig-Holsteins Grünen-Umweltminister Robert Habeck. Wie wichtig war das für die Jamaika-Gespräche in Kiel?
Kubicki: Sehr wichtig. Das Wichtigste ist: Sie brauchen ein Grundvertrauen. Sonst können Sie es vergessen. Sie müssen in Koalitionsgesprächen Vorurteile abbauen – das fängt bei Begrifflichkeiten an. Beim Thema „Flexibilisierung“ denken Grüne und SPD daran, wir wollten die Menschen quälen und traktieren, wir hingegen daran, dass sich Menschen auf veränderte Situationen, auf den Wandel einstellen müssen. Indem Sie darüber sprechen, lernen Sie auch, den anderen zu verstehen und sich in seine Lage hineinzuversetzen. Der andere darf nicht sein Gesicht verlieren – und wenn es gut läuft, kommen sie zu Kompromissen.
Frage: Können Sie sich ein solches Vertrauensverhältnis wie mit Habeck auch in Berlin vorstellen, etwa mit Claudia Roth?
Kubicki: Mit Claudia Roth schon, wir schätzen uns sehr.
Frage: Das überrascht mich.
Kubicki: Claudia Roth hat mir erzählt, dass sie Jungdemokratin gewesen ist und wir beide uns 1972 bei der Bundesdelegiertenkonferenz in Leverkusen gesehen haben. Ich konnte mich nicht daran erinnern. Wie dem auch sei – Claudia Roth ist eine sehr herzliche Person. Da würde es bestimmt gehen.
Frage: Und mit anderen Grünen nicht?
Kubicki: Ich sage es mal so: Bei Herrn Özdemir und Herrn Hofreiter hätte ich mehr Probleme, weil mir die nonchalante Arroganz, die manche Grüne als Weltenretter pflegen, gegen den Strich geht. Aber auch das wäre händelbar.
Frage: An Koalitionsgespräche im Bund hat die FDP keine guten Erinnerungen. Was war 2009 bei der Schwarz-Gelben Koalition der größte Fehler?
Kubicki: Wir haben uns mit Prüfaufträgen und Arbeitskreisen abspeisen lassen. Ich habe damals der Fraktionschefin Birgit Homburger, die mir von ihrem guten Verhältnis zu Unions-Fraktionschef Volker Kauder vorschwärmte, gesagt: Frau Homburger, Profil gewinnt man nicht in Harmonie, sondern in der Auseinandersetzung. Wir haben uns damals kleiner gemacht, als wir sind. Dann darf man sich aber auch nicht beschweren – denn wer sich klein macht, der wird klein gewählt.
Frage: Und Sie und Christian Lindner werden es anders machen?
Kubicki: Sicherlich. Dann rumst es mal ganz kurz, um zu zeigen, dass wir nicht alles mit uns machen lassen.
Frage: Wenn die FDP mit der Union zu verhandeln hätte, hatte sie es mit Wolfgang Schäuble zu tun, der die FDP in der vergangenen Koalition als Finanzminister entkleidet hat.
Kubicki: Ich bin dankenswerterweise 65 und als Anwalt lange Zeit im Beruf, an Lebenserfahrung mangelt es mir nicht. Ich bin mir sicher, dass Herr Schäuble und ich schnell eine Arbeitsebene finden, die darauf fußt, dass man sich gegenseitig ernst nimmt. Das Schlimmste in der Politik ist es, den anderen nicht ernst zu nehmen.
Frage: Wäre eine Dreier-Konstellation für die FDP besser?
Kubicki: Es gäbe zwar mehr Abstimmungs- und Kommunikationsbedarf, aber in einer Dreierkonstellation tragen sich die zwei kleineren Partner wechselseitig mit – denn sie wissen, wenn der größere Partner einen der kleinen über den Tisch zieht, kann das beim nächsten Mal einem selbst passieren.
Frage: Wie finden Sie Frau Merkel?
Kubicki: Sehr humorvolle Frau, nahezu britisch.
Frage: Schätzt Frau Merkel Sie?
Kubicki: Das weiß ich nicht. Zumindest aber weiß ich von Bekannten aus der CDU-Spitze, dass die Feindbeobachtung in Sachen Kubicki wohl ziemlich umfangreich ist.
Frage: Warum sollte Merkel angesichts der schlechten Erfahrungen mit der FDP sich nochmals auf Schwarz-Gelb einlassen?
Kubicki: Merkel würde wahrscheinlich lieber Schwarz-Grün machen.
Frage: Warum das?
Kubicki: Erstens wegen der schlechten Erfahrung mit der alten FDP und der mangelnden Erfahrung mit der neuen FDP. Zweitens, weil sie die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat im Auge behalten muss mit zwei schwarz-grünen und grün-schwarzen Ländern. Und drittens, weil einige in der CDU glauben, mit den Grünen den Umwandlungsprozess der eigenen Partei vorantreiben zu können.
Frage: Schlechte Aussichten für die FDP also?
Kubicki: Nein. Sollte Schwarz-Gelb möglich sein, wird es einen massiven Druck der deutschen Wirtschaft geben, eine solche Koalition einzugehen.
Frage: Soll die FDP dann das Finanzressort nehmen?
Kubicki: Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, aber ich habe große Zweifel, dass der größere Koalitionspartner das zulassen wird. Der Finanzminister hat eine herausgehobene Position innerhalb des Kabinetts und wenn eine Kanzlerin einen FDP-Finanzminister entlassen würde, dann wäre die Koalition am Ende. Mit dem Amt des Finanzministers wird der Grad an Autonomie für den kleineren Koalitionspartner groß – und das schafft Probleme.
Frage: Glauben Sie noch an die Ampel, eine Koalition mit SPD und Grünen?
Kubicki: Nein, die SPD – auch unter ihrem Spitzenkandidaten Martin Schulz – wird aus dem Jammertal bis zur Wahl nicht mehr herausfinden. Ich bedauere das wirklich sehr. Denn es gab – denken Sie an Willy Brandt und Helmut Schmidt – große SPD-Politiker, die dieses Land mitgeprägt haben. Und es gibt auch heute bei der SPD sehr gute Ansätze, das Land voranzubringen.