KUBICKI-Gastbeitrag: Wenn das kein Kotau der Kanzlerin ist, was ist es dann?
Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende WOLFGANG KUBICKI schrieb für „Focus Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Die Bundeskanzlerin hat mit ihrer Entscheidung über den Umgang mit der Causa Böhmermann am vergangenen Freitag zu Recht heftige Kritik geerntet. Bemerkenswert war hierbei, dass sie nicht nur von Künstlern, Fernsehmachern oder Journalisten mit heller Empörung über die Ermächtigungserteilung zur Strafverfolgung gemäß Paragraph 104a StGB bedacht wurde, sondern auch vom eigenen Koalitionspartner – der SPD.
Die sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder Heiko Maas und Frank-Walter Steinmeier erklärten unmittelbar nach der Kanzlerin die Gründe ihrer Ablehnung. Unter Verweis auf die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit als „höchste Schutzgüter unserer Verfassung“ gaben sie zugleich ihrem Bedauern Ausdruck, dass sie nichts dagegen tun könnten, wenn die Kanzlerin sie in einer Pattsituation überstimme.
Eingerahmt wurde dieses angeblich heldenhafte Streiten für unsere Grundwerte von Kommentaren der üblichen roten Claqueure wie dem moralischen Tausendsassa der SPD, Parteivize Ralf Stegner. Dieser sprach von einer „Blamage“ für Angela Merkel und bescheinigte seinen Genossen, sie hätten sich „für die Vernunft“ entschieden und die Kanzlerin „dagegen“.
Was von der SPD-Spitze als außerordentlich mannhaft dargestellt werden sollte, ist im Ergebnis allerdings erbärmlich. Denn wenn es der SPD-Spitze wirklich um die Bewahrung eines höchsten Schutzgutes unserer Verfassung gegangen wäre, hätte sie diese Auseinandersetzung mit der Kanzlerin bis aufs Messer führen müssen – und nicht deren Votum am Kabinettstisch hingebungsvoll geschluckt.
Dass Steinmeier und Maas diesen Streit nicht gesucht haben, deutet darauf hin, dass es für die Sozialdemokraten offenbar noch wichtigere Dinge gibt als die höchsten Schutzgüter unserer Verfassung: Nämlich die Möglichkeit, anschließend auf die Kanzlerin vorwurfsvoll mit dem Finger zeigen zu können.
Da drängt sich die Frage auf: Wie schwach ist eigentlich die traditionsreiche SPD geworden, wenn sie ernsthaft glaubt, sich für eine machtpolitische Niederlage in einem zentralen Bereich auch noch feiern lassen zu können?
Weitaus folgenreicher für das Verhältnis zu unseren Grundwerten aber wird die Erklärung der Bundesregierung sein, den Paragraphen 103 des Strafgesetzbuches abschaffen zu wollen – im Jahre 2018! Die Frage liegt auf der Hand: Wenn die Bundesregierung heute der Auffassung ist, dass die Norm über „Majestätsbeleidigung“ nicht mehr in die Zeit passt, warum soll schnell eine Gesetzesänderung beschlossen werden, die aber erst in zwei Jahren in Kraft tritt?
Dies hat wohl Gründe, die nicht sehr beruhigend sind. Konsequent wäre es ja gewesen, hätte die Bundeskanzlerin am Freitag erklärt, dass sie die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht zulässt, weil dieser Paragraph ohnehin zeitnah gestrichen werden soll. Dies hat die Kanzlerin bekannterweise aber nicht gemacht, denn damit wäre ein Ermittlungsverfahren auf dieser gesetzlichen Grundlage hinfällig.
Paragraph 2 Absatz 3 des Strafgesetzbuches lautet nämlich: „Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.“ Und das heißt im konkreten Falle Böhmermann, dass die Streichung des Paragraphen 103 StGB vor der gerichtlichen Entscheidung logischerweise dazu führt, dass das Gesetz, das diesen Straftatbestand gar nicht mehr vorsieht, das mildere ist. Demnach könnte Jan Böhmermann auch nicht mehr nach Paragraph 103 StGB verurteilt werden. Keine Strafe, so könnte man sagen, ist recht mild.
Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung der Kanzlerin, die Beleidigung eines Staatsoberhauptes erst mit Wirkung zum Jahre 2018 aus dem Strafgesetzbuch streichen zu wollen, mit Rücksicht auf Erdogan getroffen worden. Angela Merkel räumt dem türkischen Staatspräsidenten demnach das exklusive Recht ein, einen eigenen Straftatbestand in der Bundesrepublik zu haben – und dies nur, damit er sein Mütchen kühlen kann.
Der beleidigte türkische Staatspräsident hat mit dieser Erklärung der Kanzlerin mittelbar Einfluss auf die Gesetzgebung der Bundesrepublik gewonnen. Wenn das kein Kotau der Kanzlerin ist, was ist es dann? Eine souveräne Entscheidung der Bundesregierung ist das jedenfalls nicht.
Im Sinne unserer Selbstachtung ist es deshalb unerlässlich, dass der Bundestag diesen Straftatbestand mit sofortiger Wirkung streicht. Damit bliebe Herrn Erdogan immer noch die Möglichkeit, über den „normalen“ Beleidigungsparagraphen 185 StGB zu seinem vermeintlichen Recht zu kommen.
Gerade die Sozialdemokraten, die sich in den vergangenen Tagen so aufgeblasen haben, als wären sie die alleinigen Verfechter der freien Meinung, Kunst und Presse, können jetzt im Bundestag zeigen, wie viel Durchsetzungswille hinter ihrer Empörung steckt. Wenn der SPD-Bundestagsfraktion die Wahrung unserer höchsten Schutzgüter wichtig ist, muss sie einer unverzüglichen Streichung der Majestätsbeleidigung aus dem Strafgesetzbuch zustimmen.
Eines können die Freien Demokraten mit Fug und Recht behaupten: Mit einer Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hätte es dies nicht gegeben.