21.04.2017FDPAußenpolitik

KUBICKI-Gastbeitrag: So nicht, Frau Roth, so nicht, Herr Özdemir!

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki schrieb für „Welt.de“ den folgenden Gastbeitrag:

Das Verfassungsreferendum in der Türkei vom vergangenen Sonntag hat nicht nur für die Europäische Union schwerwiegende Fragen aufgeworfen. Das Resultat vom 16. April stellte auch ernste Fragen an die Integrationspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Denn diese Abstimmungsergebnisse zeigten vor allem für das größte türkische Land neben der Türkei ein vergleichsweise hohes Maß an Zustimmung für die Erdogan’schen Autokratiereformen.

In Stuttgart stimmten 66,26 Prozent, in Düsseldorf 69,58 und Essen – als trauriger Spitzenreiter – 75,89 Prozent für die demokratiefeindlichen Pläne am Bosporus. Im Schnitt waren dies fast zwei Drittel der Wähler. Wer diese Werte nicht zumindest im Ansatz als Ausdruck einer integrationspolitischen Unebenheit versteht, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, bewusst wegzuschauen.

Nun kann man – wie es die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth im „Welt“-Interview tat – die Schuldfrage gleich beantworten, indem dem verdutzten Leser die sattsam bekannte grüne Selbstkasteiungsmentalität vorgehalten wird.

Im Zweifel seien ohnehin die Deutschen schuld, so Roth, habe man in der Vergangenheit doch das eigene Land als Teil des christlichen Abendlandes dargestellt und damit Muslime ausgegrenzt.

Abgesehen davon, dass Deutschland Teil des christlichen Abendlandes ist: Warum die Zugehörigkeit zum Okzident nun der Grund vieler für die Zustimmung zu einem autokratischen System in der türkischen Heimat sein soll, bleibt unklar. Kein noch so schwaches Argument scheint für die Grünen ungeeignet zu sein, damit sie nicht in die Verlegenheit kommen müssen, die über Jahre unhinterfragte und festgemauerte Weltsicht infrage zu stellen.

Da hilft es ihnen auch nicht, dass Spitzenkandidat Cem Özdemir in der eigenen Umfragenot nun den übermotivierten Rechtsstaatshaudrauf mimt. Indem er den innertürkischen Zwist als Kampfmittel in die deutsche Innenpolitik zieht, tut er spiegelverkehrt genau das, wovor er immer selbst gewarnt hat, als er die Auftritte türkischer Regierungsmitglieder als unzulässigen Eingriff in die deutsche Innenpolitik kritisierte.

Mit einer schon fast exhibitionistisch zur Schau gestellten Kopflosigkeit wickeln sich die Grünen als ernst zu nehmende Kraft langsam selbst ab.

Auch der verzweifelte Versuch, jetzt auf die Doppelpassfrage auszuweichen, um einen gemeinsamen grünen Nenner in dieser Diskussion zu finden, wird ihnen dabei nicht helfen.

Wer sich wirklich um Antworten nach dem 16. April bemüht, muss sich zuerst die Fragen stellen: Warum haben die Türken in anderen Staaten wie Großbritannien oder den USA mit überwältigender Mehrheit mit Nein zur Erdogan-Autokratie gestimmt? Ist bei unseren türkischstämmigen Mitbürgern die gesellschaftliche Integration schwieriger als bei anderen? Falls dies der Fall sein sollte, warum ist das so?

Es sollte keinerlei Zweifel daran bestehen, dass Integration nicht ausschließlich eine Bringschuld bedeutet, sondern zunächst auch eine Holschuld der Hinzugekommenen. Das Bekenntnis zu unserer Demokratie, zu Pluralität und zu unserem Rechtssystem ist die Voraussetzung und Grundlage für alle, die hier leben.

Wer von den Vorzügen einer freien und pluralen Gesellschaft profitiert, zugleich für seine Landsleute aber die Autokratie bevorzugt, muss sich fragen, ob Deutschland wirklich sein richtiges Zuhause ist.

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