19.07.2016FDPJustiz und Rechtspolitik

KUBICKI-Gastbeitrag: Integration und Religion

Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende WOLFGANG KUBICKI schrieb für „Focus online“ den folgenden Gastbeitrag:

Es gibt Momente, da hat Andrea Nahles Recht. Anfang dieses Jahres befasste sich die Bundesarbeitsministerin in einem Gastbeitrag mit dem Mega-Thema Integration. Hierin erklärte sie, welche Aufgaben und Herausforderungen nach dem großen Flüchtlingszuzug auf die bundesdeutsche Gesellschaft in den kommenden Jahren zukommen werden.

Zugleich sagte sie aber auch, welche Pflichten sie für die Flüchtlinge sieht. So kam sie zu dem richtigen Schluss: „Wer hierherkommt, bei uns Schutz sucht und ein neues Leben beginnen will, muss sich an unsere Regeln und Werte halten.“ Man könnte grundsätzlich hinzufügen: Das gilt nicht nur für Flüchtlinge.

Es liegt auf der Hand, dass die Integration von über einer Million Menschen, die zum Teil ein ziemlich anderes Weltbild haben, nicht reibungslos vonstatten geht. Und es zeigt sich am Negativ-Beispiel der problembeladenen französischen Banlieues oder dem verrufenen Brüsseler Stadtteil Molenbeek, dass Integration gelingen muss, damit wir nicht gravierende Nachfolgeprobleme bekommen.

Damit Integration gelingen kann, müssen wir aber zuerst selbst wissen, welche Werte und Errungenschaften für uns nicht verhandelbar sind und dies von Vornherein klar machen. Und wir müssen uns darauf einstellen, diese Werte und Errungenschaften mit den Mitteln des Rechtsstaates im Zweifel auch zu verteidigen.

Vor einigen Tagen machte eine Meldung aus Berlin die Runde, wonach eine Lehrerin ein pädagogisches Gespräch mit einem Imam über dessen Sohn abbrach, weil der Imam ihr aus religiösen Gründen den Handschlag verweigert hat.

Daraufhin sah sich der Imam schmerzlich diskriminiert und erstattete Strafanzeige gegen die Lehrerin – nicht etwa, weil sie ihrer Pflicht nicht nachgekommen ist und das pädagogische Gespräch abgebrochen hat, sondern wegen Beleidigung und Verletzung der Religionswürde. Die Schule wiederum entschuldigte sich anschließend beim Imam, sollte es „zwischen der Familie und Mitarbeitern unserer Schule zu Missverständnissen gekommen sein“. Die Familie des Imam forderte dennoch ein Gespräch mit allen Beteiligten – zum Wohle des Sohnes. Denn dieser musste miterleben, wie der Vater empfindlich herabgewürdigt wurde.

Man stelle sich einmal vor, die Tochter der Lehrerin wäre bei diesem Gespräch zugegen. Hätte diese Tochter miterlebt, wie der Imam mit ihrer Mutter umgegangen ist, hätte sie nicht auch den Eindruck bekommen können, der Imam habe ihre Mutter herabgewürdigt und beleidigt? Mit welchem Recht also darf der Imam für sich mehr Respekt einfordern als er selbst der Lehrerin zugesteht?

Religion darf in einem Rechtsstaat keine Entschuldigung dafür sein, sich über Recht und Gesetz hinwegzusetzen. Denn tatsächlich war dies nicht eine bloße Verweigerung eines Handschlages, es war die religiös begründete Verweigerung eines Handschlages. Und zwar deshalb, weil die Lehrerin des Sohnes eine Frau ist. Das ist keine Petitesse.

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem richtungsweisenden Urteil im Jahre 2014 festgestellt, dass es ein überragendes Interesse der Allgemeinheit daran gibt, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten Parallelgesellschaften entgegenzuwirken.

Das heißt auch, dass wir zuallererst dafür Sorge tragen müssen, dass das Grundgesetz überall und für jeden gilt. Artikel 3 Absatz 2 benennt es für den dargestellten Fall unmissverständlich und klar: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Wenn wir uns scheuen, diesen Grundsatz aus Rücksicht auf bestimmte Gefühle und Interessen konsequent durchzusetzen, werden wir sehen, dass er seine Grundsätzlichkeit verliert. Ein Rechtsstaat macht sich überflüssig, wenn er Grenzübertretungen nicht verfolgt und sanktioniert.

Daher hat die Lehrerin vollkommen richtig gehandelt. Sie muss, ja, sie darf es nicht hinnehmen, dass ihr Geschlecht bestimmt, wie ihr Gegenüber sie behandelt. Die Schule der Lehrerin hat diese Konsequenz vermissen lassen und fiel damit ihrer Mitarbeiterin in den Rücken. Und mangelnde Konsequenz bringt letztlich schmerzhafte Konsequenzen: Denn wenn wir auch nur den geringsten Zweifel aufkommen lassen, dass Respektlosigkeit deshalb nicht schlimm ist, weil sie religiös begründet werden kann, werden wir auf lange Sicht Einschränkungen unserer Freiheit hinnehmen müssen.

Es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Die in mehreren Bundesländern geplanten Staatsverträge mit Muslimen könnten auch einen Beitrag zur Integration leisten und sind vielleicht deshalb wichtiger denn je – vorausgesetzt, sie bekennen sich klar zu den Werten des Grundgesetzes. Das Grundgesetz gewährt die Religionsfreiheit.

Dies darf aber nicht dazu führen, dass wir religiöse Interpretationen tolerieren, die von einer „natürlichen“ Vorrangstellung des Mannes ausgehen. Auf die Klarstellung, dass Religionsfreiheit nicht „grundrechtsbefreiter Raum“ bedeutet, müssen alle Beteiligten drängen – sonst darf es hierfür keine staatliche Unterstützung geben.

Es gehört zum Wesen von Toleranz, dass sie Grenzen hat – denn sonst hieße sie Gleichgültigkeit. Der Rechtsstaat gewährt allen in ihm lebenden Menschen Toleranz. Gleichgültig sind ihm die Menschen nicht.

 

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